Der Wylerhof – atmosphärische Dichte

W2H Architekten
3. junho 2021
Foto: Miriam Fluri
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Einen Neubau mit 56 Wohnungen und 8 Ateliers inmitten eines gewachsenen Quartiers im Berner Stadtteil Breitenrain-Lorraine realisieren zu können – das allein ist bereits eine Besonderheit. Gegen Nordosten grenzt die Parzelle an das Wifag-Areal, in dessen Industriehalle bis in die 2000er-Jahre Druckmaschinen hergestellt wurden. Auf der Parzelle des Neubaus standen Lagerhallen und eine Schreinerei, welche Modelle neuer Druckmaschinen herstellte. Diese ehemaligen Industriebauten auf der Parzelle im ansonsten homogenen Wohnquartier mit Bauten aus den 1920er- bis 1950er-Jahren stellte lange eine Bruchstelle dar. Die beiden Neubauten vervollständigen nun städtebaulich die Quartierstruktur. 

Blick in den Hof – vor den privaten Aussenräumen befindet sich eine Grünfläche. (Foto: Miriam Fluri)
Ausschnitt der Hoffassade mit Hauseingängen und Balkonen der Wohnküchen (Foto: Miriam Fluri)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


Wir wollten den Neubau nicht nur städtebaulich in die bestehende Struktur einbinden, auch gestalterisch verfolgten wir die Absicht, die Atmosphäre des Quartiers aufzunehmen. Dies zum Beispiel mit der differenzierten Behandlung von Balkonen und Loggien, der Gestaltung der Geländer, der Farbgebung oder auch mit den Fensterbänken, Brüstungsabdeckungen, Dachrändern und Fassadenbändern in Beton. Dabei haben wir versucht, vorgefundene Elemente neu zu interpretieren und damit eine atmosphärische Dichte zu erzeugen. 

Staffelung entlang der Elisabethenstrasse (Foto: Miriam Fluri)
Einbindung in die Häuserzeile entlang der Wyerfeldstrasse (Foto: Miriam Fluri)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Nebst der architektonischen Gestaltung der Bauten im Quartier wirkten weitere vorgefundene architektonische und städtebauliche Elemente sehr direkt auf das Projekt ein. So haben wir uns entschieden, den nördlichen Baukörper von der Strassenseite her zu erschliessen, der südliche hingegen wird über den Hof erschlossen. Zum Hof hin haben wir dort Atelierräume angeordnet, welche separat oder in Verbindung mit den angrenzenden Wohnungen gemietet werden können. Weiter haben wir als Regel definiert, dass sämtliche Zimmer der Erdgeschosswohnungen im Hochparterre liegen müssen. Dadurch sind im Erdgeschoss Wohnungen entstanden, welche durch überhohe Wohnräume und unterschiedliche Niveaus spannungsvolle Raumfolgen bieten.

Der Hof eines benachbarten Ensembles aus den 1920er-Jahren stand Pate für unseren Wylerhof: Wir wollten einen lebendigen Identifikationsraum ermöglichen. Alle Wohnungen haben einen Aussenraum zum Hof hin, teilweise vom Wohnbereich, teilweise von der Wohnküche aus. Zusammen mit den Hauszugängen über den Hof entsteht so ein belebter Begegnungsraum für die Bewohnerinnen und Bewohner. Die unterschiedliche Struktur von Erschliessung und Grundriss der beiden Baukörper erzeugt trotz aller Gemeinsamkeiten eine grosse Vielfalt an unterschiedlichen Wohnungen. 

Eingangsbereich einer Erdgeschosswohnung (Foto: Miriam Fluri)
Blick aus einer Wohnküche über den Balkon hinweg zum Hof (Foto: Miriam Fluri)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Die Bauherrschaft hat die Ideen mitgetragen und bei der Vermietung berücksichtigt. Anfängliche Bedenken bezüglich der Vermietbarkeit der Atelierräume waren rasch verflogen. Es hat sich gezeigt, dass solche zumietbaren Räume nicht nur in der Theorie beliebt sind. Sie können tatsächlich neue Formen des Wohnens und Arbeitens ermöglichen. Schliesslich ist es erfreulich zu sehen, wie die Bewohnerinnen und Bewohner den Hof mit Leben füllen, sich diesen aneignen und unsere Vorstellung so zur Realität wird. 

Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Anfangs war das Hofgebäude mit der Einstellhalleneinfahrt als nüchterner Beton-Zweckbau mit Flachdach vorgesehen. In der Weiterbearbeitung wurde daraus ein prägender Bau im Hof in Holzbauweise mit zwei nebeneinanderliegenden Satteldächern. Der Hofbau weckt Erinnerungen an Schopfbauten, die Einfahrt der Einstellhalle ist «getarnt» und integriert. Die von fast allen Wohnungen sichtbaren Dachflächen haben wir mit einem ornamentalen Muster spielerisch gestaltet. Der Hofbau wurde bewusst als «Bau im Bau» inszeniert. Rückblickend war diese Überarbeitung für die Atmosphäre des Hofs entscheidend. 

Offene Abfolge von Wohn-, Ess- und Kochbereich (Foto: Miriam Fluri)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


Der Wylerhof entstand durch einen Wettbewerbserfolg im Jahr 2013, darauf folgte eine Umzonung des Areals in eine Wohnzone. Das Projekt hat uns über mehrere Jahre mit einzelnen Unterbrüchen beschäftigt – so lange wie kein anderes bisher. Teamkonstellationen intern wie extern änderten sich im Verlaufe der Bearbeitungszeit immer wieder. Für uns ist der Wylerhof der bisher grösste Neubau, den wir abschliessen konnten und somit sicherlich ein wichtiger Bau in unserem Portfolio. 

Blick von einem Balkon auf die Hoffassade (Foto: Miriam Fluri)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Nicht alltäglich ist die Wahl der Fassade: Wir haben auf ein Einsteinmauerwerk in Backstein mit Steinwolldämmung verfüllt (ThermoCellit von AGZ Ziegeleinen) gesetzt. Sowohl die Fachplaner (Bauingenieur) als auch die Bauleitung und die Unternehmer haben damit teilweise Neuland betreten. Die beiden Neubauten sollten als verputzte Häuser im Quartier stehen. Um dabei nicht eine Kulissenarchitektur zu schaffen, ist der Entscheid für ein Einsteinmauerwerk mit einem entsprechenden mineralischen Verputz ein wichtiger Faktor, denn dies bietet auch raumklimatische und bauphysikalische Vorteile. 

Situation
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 1. bis 3. Obergeschoss
Querschnitt
Bauwerk
Neubau Wylerhof Bern
 
Standort
Wylerringstrasse 27/29, 3014 Bern
 
Nutzung
Wohnhaus
 
Auftragsart
Wettbewerb, 2013
 
Bauherrschaft
Bauherrengemeinschaft Wylerhof, p.A. Gebäudeversicherung Bern, Ittigen
 
Architektur
W2H Architekten AG, Bern
Andreas Herzog, Remo Kipfer, Thomas Feider, Annette Wannheden, Linda Sigrist, Florian Schmid und Daniel Biry
 
Fachplaner 
Metron Bern AG Landschaftsarchitektur, Bern
Bächtold + Moor AG Bauingenieure, Bern
Toneatti Engineering AG Elektroplanung, Bern
Gruner Roschi AG HLKS, Köniz
Grolimund + Partner AG Bauphysik, Bern
 
Bauleitung 
Eberhart Bauleitungen AG, 3014 Bern
 
Jahr der Fertigstellung
2020
 
Gesamtkosten BKP 1–9
26,9 Mio.
 
Gebäudekosten BKP 2
24,5 Mio.
 
Gebäudevolumen
34 215m3 nach SIA 416
 
Kubikmeterpreis
716 CHF/m3
 
Fotos
Miriam Fluri, Uetendorf

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