Lernen unterm Matterhorn

GWJ Architektur
5. September 2024
Das neue Schulhaus «NIWW Walka» greift die Dreiteilung und Massstäblichkeit der Vorgängerbauten Walka I bis III auf, die im kollektiven Gedächtnis der Zermatter verankert sind. (Foto: Susanne Goldschmid)
Frau Herren, Herr Iseli, wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Eva Herren: Zermatt ist geprägt von einer kleingliedrigen historischen Struktur und einem autofreien Dorfkern. Das hat unseren Entwurf auf vielerlei Ebenen beeinflusst: Wir haben uns an den drei gestaffelten und ineinander verschobenen Baukörpern des ehemaligen Schulhauses orientiert, die zwischen 1958 und 1972 errichtet worden waren. Die ursprüngliche Massstäblichkeit der drei Chalets bleibt als wiedererkennbares Zeichen bestehen. Das ist wichtig, weil sie Teil des kollektiven Gedächtnisses der Einheimischen ist. Die Baukörper integrieren sich mit einer Abtreppung am Hang in die Topografie und sind ein selbstverständlicher Teil der umliegenden Dorfstruktur. 

Hangseitig haben wir einzigartige Pausenplätze angelegt, die den Blick auf das Matterhorn freigeben. Die unterschiedlich gestalteten Aussenräume und Zugänglichkeiten wirken dabei keineswegs trennend. Vielmehr bieten sie den verschiedenen Nutzenden – also den Kindergärtnerinnen, den Primarschülern, aber auch den Dorfbewohnern, die beispielsweise zur Bibliothek möchten, oder den Vereinen, die abends die Sporthalle benutzen – unterschiedliche Identifikationsmöglichkeiten und Aneignungsorte. 

Das grosszügige Atrium ist der Dreh- und Angelpunkt und das gemeinsame Zentrum des Schulhauses «NIWW Walka», von hier gehen alle Korridore aus. Es ist gleichzeitig Eingangshalle und Pausenraum, ein Aufenthalts- und Begegnungsraum für alle, das «Herz» der neuen Schule. Und es ist auch die direkte architektonische Antwort auf die extreme Hanglage: Nicht nur die Menschen verteilen sich vom Atrium aus, sondern auch das Licht. Über alle fünf Etagen bringt es viel Tageslicht nach innen.

Die Bibliothek, die auch den Dorfbewohnern offensteht, ist vom Atrium aus zugänglich. Der helle, einsehbare Raum wirkt besonders einladend. (Foto: Susanne Goldschmid)
Blick vom 1. Obergeschoss ins Atrium. Durch grosse Glasflächen fällt viel Licht in die angrenzenden Räume. (Foto: Susanne Goldschmid)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Daniel Iseli: In Zermatt zu bauen, ist anspruchsvoll: Mehr als zwei Millionen Besucher kommen pro Jahr in die alpine 6000-Einwohner-Gemeinde. Das gesamte Dorf ist autofrei, nur spezielle Elektrofahrzeuge dürfen dort fahren. Die klimatischen Bedingungen, die Reisesaison und die Unterrichtszeiten engen das Zeitfenster für Bauarbeiten zudem ein. Wir haben auf diese konstruktiven und logistischen Herausforderungen mit der Dreiteiligkeit des neuen Schulhauses reagiert: Die Bauabschnitte erlaubten es, zeitversetzt zu bauen und zugleich den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten, indem die Kinder im jeweils noch oder schon bestehenden Gebäudeteil unterrichtet wurden. Diese Vorgehensweise reduzierte auch den Bedarf an teuren Provisorien – an einem Ort wie Zermatt mit kaum vorhandenen Freiflächen war das besonders wertvoll.

Auch die Kleinsten können durch die gläsernen Brüstungen nach unten sehen. (Foto: Susanne Goldschmid)
Das Farbkonzept ist zurückhaltend und darf von den Kindern mit buntem Leben gefüllt werden. Nischen bieten Raum dazu. (Foto: Susanne Goldschmid)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Eva Herren: Es geht in der Architektur immer darum, wo und wie das Leben stattfindet. In diesem Fall haben wir uns besonders darauf konzentriert, das Gebäude durch die Kinder zu beleben und erlebbar zu machen. Darum sind Farbkonzept und Materialisierung sehr zurückhaltend.

Es war uns wichtig, eine «Schule für alle» zu entwerfen, mit der sich alle Nutzenden identifizieren können. Das Atrium ist dabei von zentraler Bedeutung. Die Brüstungen der Galerien sind zum Beispiel so gestaltet, dass auch die Kleinsten durch den tiefergelegten Glaseinsatz nach unten schauen können. Blickbeziehungen ergeben sich wie von selbst.

Schulalltag im Klassenzimmer. Die grossen Fenster sind nach Süden ausgerichtet. (Foto: Susanne Goldschmid)
Foto: Susanne Goldschmid
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Daniel Iseli: Die Schule ist geprägt von zwei zentralen Materialien: Beton und Holz. Wir haben dabei fast ausschliesslich heimische Lärche eingesetzt. Die beiden Materialien erzeugen eine angenehme Grundstimmung, die sich durch das ganze Gebäude zieht. Doch in den Vordergrund drängt sich unsere Architektur nicht. Vielmehr wird das Schulhaus erst durch die Kinder belebt und ausgestaltet. 

Das ist es, was wir meinen, wenn wir hinsichtlich unserer Projekte von einem «robusten Gerüst» sprechen. Wir gestalten Strukturen, die angeeignet und bespielt werden wollen.

Situation (© GWJ Architektur)
Grundriss Erdgeschoss (© GWJ Architektur)
Grundriss 1. Obergeschoss (© GWJ Architektur)
Grundriss 2. Obergeschoss (© GWJ Architektur)
Grundriss 3. Obergeschoss (© GWJ Architektur)
Grundriss 4. Obergeschoss (© GWJ Architektur)
Grundriss 5. Obergeschoss (© GWJ Architektur)
Schnitt (© GWJ Architektur)
Bauwerk
Schulhaus «NIWW Walka» 
 
Standort
Metzggasse 14, 3920 Zermatt
 
Nutzung
Schule
 
Auftragsart
Offener Projektwettbewerb
 
Bauherrschaft
Einwohnergemeinde Zermatt
 
Architektur
GWJ Architektur AG, Bern
 
Fertigstellung
2024
 
Gebäudekosten BKP 2
CHF 40 Mio. (inklusive Mehrwertsteuer)
 
Gebäudevolumen
35'878.5 m³
 
Energiestandard
Minergie P
 
Fotos
Susanne Goldschmid, Bern

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