Zukunftsversprechen

Burkard Meyer Architekten BSA
12. September 2024
Blick in das repräsentative Foyer. (Foto: Roger Frei)
Herr Burger, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Es war für uns eine ganz besondere Aufgabe, mit einem Holzbau-Unternehmen einen Bau zu entwickeln, der ein neues Innovationszentrum mit einer modernen, hochflexiblen Arbeitsplatzstruktur verbindet. Der Neubau komplettiert den Standort der ERNE AG in Stein und bildet zusammen mit den Produktionshallen das Firmenareal. Dabei ergänzt der Bau den bestehenden Holzmodulbau und formt ihn zu einem neuen Ganzen. Er bietet Platz für 100 neue Arbeitsplätze und beherbergt zudem Modelle für zukunftsweisende Technologien in der Bauwirtschaft. Für die Bauherrschaft bietet sich mit dem Erweiterungsbau darüber hinaus eine Chance, sich als technologischer Entwicklungs- und Realisierungspartner von innovativen Gebäudelösungen zu präsentieren. Konstruktiv gesehen haben wir prototypische Bauteile eingesetzt und altbewährte Holzbausysteme weiterentwickelt. Während die Fassade aus Aluminium und Glas besteht, ist das Innere von den Naturbaustoffen Holz und Lehm bestimmt. Prägendes Element des Baus ist die Geschossdecke in Holz-Beton-Verbundbauweise. ERNE hat die Konstruktion vor einigen Jahren gemeinsam mit uns für das Projekt Suurstoffi 22 in Rotkreuz entwickelt.

Die Fassade des Baus besteht aus Aluminium und Glas. Die Innenräume hingegen sind geprägt von den Naturbaustoffen Holz und Lehm. (Foto: Roger Frei)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Von Beginn an waren wir in einem intensiven Austausch mit der Bauherrschaft, und zwar auf der Ebene der räumlichen Konzeption, der architektonischen Gestaltung sowie hinsichtlich der konstruktiven Umsetzung. So setzt der Neubauteil mit seiner Erschliessung und der Anordnung der Primärräume die Logik des Bestands fort. Die horizontale Erschliessungsfigur bildet zusammen mit der zentral im Atrium liegenden Treppe und den Verbindungsbrücken ein Kontinuum, das die vertikale Verbindung zum im Erdgeschoss liegenden «Marktplatz» schafft. Dieser ist der neue Mittelpunkt des Hauses und bietet durch die offene, geschossübergreifende Räumlichkeit den Mitarbeitenden neue Möglichkeiten des kollaborativen Arbeitens. Zudem eignet sich dieser Raum auch für Veranstaltungen. In Kombination mit dem zum Innenhof ergänzten Aussenbereich ergibt sich ein vielfältiges Angebot unterschiedlich nutzbarer Kollektivräume. Auf der Ebene der Konstruktion führte die enge Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft insbesondere zur Entwicklung von neuen Bauteilen wie den schon erwähnten Geschossdecken oder den Kernen aus Stampflehm, die die Atmosphäre im Haus prägen.

Das Hybrid-System aus hell lasierter Schweizer Stabbuche und Beton hilft, CO2-Emissionen einzusparen. Die Konstruktion nutzt dank starrer Verbindungen die unterschiedlichen statischen Eigenschaften der beiden Materialien optimal. So sind grosse Spannweiten möglich. (Foto: Roger Frei)
Für Treppenhauswände und Nasszellen wurde Stampflehm aus dem Aushub verwendet. (Foto: Roger Frei)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Am Anfang haben wir über einen Solitär nachgedacht, den wir in unseren ersten Skizzen als Kontrapunkt zum Bestand entwickelten. Es gab im Laufe des Prozesses auch Überlegungen, den Neubau so zu planen, dass er später aufgestockt werden kann, während der Bestandsbau rückgebaut und in Form von ganzen Raummodulen weiterverkauft würde. Letztendlich hat sich gezeigt, dass die Kombination von bestehendem Modulbau und neu hinzugefügtem Skelettbau in vielerlei Hinsicht grosse Vorteile hat. Neben dem variierenden Raumangebot zeigt der Komplex auch zwei sich ergänzende Formen der Vorfertigung und bildet damit die unterschiedlichen Kompetenzfelder der Bauherrschaft ab. Heute steht der Neubau als Erweiterung zum Bestand am Eingang des Firmenareals in Stein – ein Auftakt zum Firmengelände der ERNE Holzbau AG. Er zeigt neben einer räumlichen Vielfalt auch die unterschiedlichen konstruktiven Technologien und kann damit zugleich als Kondensat der Recherche der letzten Jahre sowie auch als Versprechen für die technologischen und ökologischen Herausforderungen der Zukunft verstanden werden.

Das Atrium ist der neue Mittelpunkt der Anlage. Brücken und Treppen erzeugen nicht nur eine spektakuläre Raumwirkung, sondern sorgen auch für eine vielfältige Bespielbarkeit. (Foto: Roger Frei)
Das Tragwerk besteht aus Stabbuche. (Foto: Roger Frei)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Ja, sehr. Die Bauherrschaft und wir als Architekten sahen den Bau als Chance, etwas Beispielgebendes für die Baukultur von morgen zu schaffen. Dafür steht – auch im Sinne der Materialwahl – die Reduktion von CO2, ein sortenreines Bauen, ein Tragwerk aus Schweizer Buche, aber auch die Photovoltaik-Anlage an der Fassade. Innovativ ist auch, dass die sichtbar in der Fassadenebene liegenden Holzstützen sowie die innen liegenden korridor- und atriumbildenden Tragelemente mit einer Holz-Beton-Verbunddecke kombiniert wurden. Die hybriden Deckenelemente wurden eigens für die spezifischen Anforderungen eines Bürogebäudes konzipiert und dienen sowohl der Kühlung und Lüftung als auch der Heizung. Ausserdem tragen sie wesentlich zu einer guten Raumakustik bei. 

Im Erweiterungsbau befinden sich 100 neue Arbeitsplätze. (Foto: Bernhard Strauss)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Das im Werk vorgefertigte und CO2-sparende Hybrid-System aus hell lasierter Schweizer Stabbuche und Beton nutzt mit seinen starren Verbindungen die unterschiedlichen statischen Eigenschaften der beiden Materialien optimal. Das ermöglicht grosse Spannweiten. Neben Holz prägt ein weiterer Naturbaustoff das Projekt: Stampflehm. Er kam für die Treppenhauswände und Nasszellen zum Einsatz. Der Lehm stammt aus dem Aushub für den Bau und wurde vor Ort an einer eigenen Fertigungsstrasse mit Robotern gestampft. Diese neue Art Vorfertigung macht den Lehmbau auch für grössere Projekte interessant. Lehm ist klimaregulierend und ergiebig. Ausserdem kann er, anders als zuweilen behauptet, preisgünstig sein. Allmählich findet er darum in der Baubranche vermehrt Verwendung. Umweltfreundlich ist zudem auch der Boden aus Recyclingbeton im Erdgeschoss.

Uns war wichtig, die verschiedenen Materialien entsprechend ihren spezifischen Eigenschaften einzusetzen. Dank der engen Zusammenarbeit mit den Holzbauingenieurinnen und -ingenieuren von ERNE ist ein Bauwerk entstanden, das eine industriell geprägte Planungs- und Fertigungslogik in ein stimmiges Raumerlebnis überführt.

Für die Dachkonstruktion hat ERNE ein ausgeklügeltes Fachwerk aus Baubuche konstruiert, das den gesamten Bau überspannt. (Foto: Roger Frei)
Situation (© Burkard Meyer Architekten BSA)
Grundriss Erdgeschoss (© Burkard Meyer Architekten BSA)
Grundriss 1. Obergeschoss (© Burkard Meyer Architekten BSA)
Grundriss 2. Obergeschoss (© Burkard Meyer Architekten BSA)
Längsschnitt (© Burkard Meyer Architekten BSA)
Querschnitt (© Burkard Meyer Architekten BSA)
Bauwerk
Erweiterung eines Bürogebäudes der Firma ERNE in Stein
 
Standort
Rüchligstrasse 53, 4332 Stein
 
Nutzung
Bürobau
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
ERNE AG Holzbau, Laufenburg
 
Architektur
Burkard Meyer Architekten BSA, Baden
Verantwortlicher Partner: Tobias Burger
Projektleitung: Gernot Westfeld
Mitarbeitende in der Planung: Fabian Obrist, Gregory Tsantilas und Lea Meier
 
Fachplaner
Bauingenieur: MWV Bauingenieure AG, Baden
Holzbauingenieur: ERNE AG Holzbau, Stein
HLK und Sanitärplaner Planer: PZM Zürich AG, Zürich
Fassadenplanung: ERNE AG Holzbau, Stein
Planung Lehmkerne: ERNE AG Holzbau, Stein
Beratung Lehmkerne: Lehmag AG, Brunnen
Elektroplaner: IBG Engineering AG, Baar
Bauphysik: Bakus Bauphysik & Akustik GmbH, Basel
Brandschutz: ERNE AG Holzbau, Stein
Landschaftsarchitekt: Maurus Schifferli Landschaftsarchitekt, Bern
Sprinklerplanung: Aetos GmbH, Burgdorf
 
Örtliche Bauleitung
ERNE AG Holzbau, Stein
 
Fertigstellung
2023
 
Kubikmeterpreis
970 CHF/m3
 
Gebäudevolumen
14'532 m3 (gemäss SIA 416)
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer 
ERNE AG Holzbau, Stein
 
Fotos
Roger Frei, Zürich, und Bernhard Strauss, Freiburg, Deutschland

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