Zu Gast auf der grünen Wiese
CRRA
26. September 2024
Das Holzhaus steht auf Stahl-Schraubfundamenten, damit es das Ökosystem möglichst wenig belastet. Es kann nahezu zerstörungsfrei demontiert werden. (Foto: © CRRA)
Ein Einfamilienhaus auf der grünen Wiese zu bauen, damit konnte sich das Büro CRRA zunächst schwer anfreunden. Lucio Crignola und Tobia Rapelli erklären, warum sie den Auftrag doch angenommen haben und wie der Holzbau zum Medium der Kritik an der Baubranche wurde.
Herr Crignola, Herr Rapelli, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Lucio Crignola: Als wir die Anfrage für das «Haus auf der grünen Wiese» erhielten, waren wir uns nicht sicher, ob wir einen solchen Bau auf freiem Feld überhaupt durchführen möchten – schliesslich setzen wir uns eher für ein intelligentes Weiterbauen und die Verdichtung unseres Siedlungsraums ein. Uns wurde aber bald klar, dass wir zusammen mit dieser Bauherrschaft ein besonderes Haus entwickeln können, das bewusst Aspekte der Schweizer «Hüsli»-Kultur hinterfragt.
Das Team von CRRA arbeitete nach Möglichkeit mit Handwerkerinnen und Handwerkern aus der Region zusammen. Holzbauteile und Lehmbauplatten stammen zum Beispiel von ortsansässigen Betrieben. (Foto: © CRRA)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Tobia Rapelli: Trotz der unkonventionellen Form und seines besonderen Fundaments ist das Gebäude ein Produkt seiner Umgebung. Es folgt der natürlichen Topografie des Ortes und bezieht sich in der Setzung auf die Landschaft. Die einzelnen Volumina nehmen die Massstäblichkeit der Wohn- und Landwirtschaftsbauten im ländlichen Kontext auf. In der Materialisierung und im Ausdruck nimmt das Haus Bezug auf die pragmatischen Nutzbauten in der Region. Wir haben gänzlich auf den Einsatz von Beton verzichtet und versucht, mit möglichst lokalen Handwerksbetrieben und Materialien zu bauen: heimisches Holz verarbeitet von der Zimmerei im Nachbardorf, Lehmbauplatten und Lehmputz aus der Gegend.
Gleichzeitig war das oberste Ziel, ein gutes und günstiges Haus für eine junge fünfköpfige Familien zu bauen. Es war für uns besonders spannend zu verstehen, wo wir auf ein lokales Netzwerk zurückgreifen können und wo es bei einem solch «alltäglichen» Projekt noch nicht möglich ist, sich der globalen Bauwirtschaft zu entziehen – die Küche ist von IKEA, ihre Abdeckung aber hat ein alter Jugendfreund geschmiedet.
Verglichen mit einem konventionellen Holzbau gleicher Grösse konnten die CO2-Emissionen um rund 30 Prozent gesenkt werden. (Foto: © CRRA)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Lucio Crignola: Wir möchten unsere Bauten als Versuche verstehen, gewisse Konventionen im Bauwesen zu hinterfragen. Was das genau heisst, ist sehr stark projektabhängig. Mal beschäftigen wir uns mit neuen Methoden zum Erhalt von Bestandsbauten wie etwa im gewonnenen Studienauftrag für den Campus Unterstrass.edu, wo wir ein Gebäude aus den 60er-Jahren um einen Meter anheben, um ein angemessenes Erdgeschoss zu erhalten. Oder wir versuchen wie eben beim Neubau des Hauses auf der grünen Wiese, so wenig wie möglich in das bestehende Ökosystem einzugreifen und dadurch den Charakter des Gebäudes zu bestimmen.
Bei unseren Um- wie auch Neubauprojekten ist es uns wichtig, im Sinne der Nachhaltigkeit stets neue Wege zu gehen und aus diesen besondere architektonische Qualitäten abzuleiten. Es besteht also nicht unbedingt ein formaler Zusammenhang, doch auf jeden Fall reiht sich das Haus ein in eine Serie von experimentellen Projekten, bei denen wir unsere Baukultur kritisch, aber produktiv hinterfragen.
Mit ihren Projekten möchten die Architekten die gängige Baupraxis kritisch hinterfragen. (Foto: © CRRA)
Foto: © CRRA
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Tobia Rapelli: Das Haus auf der grünen Wiese versucht, den Bau eines typischen Schweizer Einfamilienhauses als ganzheitliches Projekt zu sehen. Es schafft Wohnraum in starker Verbindung mit der Natur, setzt auf das konstruktive Wissen der ortsansässigen Handwerkerinnen und Handwerker, stört das vorhandene Ökosystem möglichst wenig und reduziert die Treibhausgasemissionen von Bau und Betrieb auf ein Minimum. All dies bei einem Budget, das für ein Einfamilienhaus hierzulande üblich ist. Das Projekt versucht, die negativen Konsequenzen des Bauens auf der grünen Wiese möglichst klein zu halten und hinterfragt bewusst Konventionen dieser Baukultur.
Die Naturbaustoffe Holz und Lehm sorgen für ein behagliches und gesundes Raumklima. (Foto: © CRRA)
Die Küche stammt von IKEA, die Abdeckungen wurden jedoch von einem Freund geschmiedet. (Foto: © CRRA)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Lucio Crignola: Die Stahl-Schraubfundamente sind sehr prägend für das Projekt. Das Haus aus vorfabrizierten Holzelementen ist komplett auf diesen abgestützt. Es schwebt über der Wiese, sodass der natürliche Lauf der Dinge kaum gestört wird. Wasser versickert weiterhin auf der ganzen Parzelle, Pflanzen und Tiere finden ihren Lebensraum unter dem Haus und rundherum. Falls das Haus irgendwann in der Zukunft nicht mehr gebraucht oder geschätzt werden sollte, kann es dank der besonderen Konstruktionsweise des Fundaments fast ohne Spuren zu hinterlassen entfernt werden – die grüne Wiese überdauert. So werden verglichen mit einem konventionellen Holzhaus rund 30 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart.
Foto: © CRRA
Situation (© CRRA)
Grundriss Wohngeschoss (© CRRA)
Schnitt A (© CRRA)
Schnitt B (© CRRA)
Haus auf der grünen Wiese
Standort
4418 Reigoldswil
Nutzung
Einfamilienhaus
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
Privat
Architektur
CRRA Architekturbüro SIA, Zürich
Lucio Crignola, Tobia Rapelli und Shen He
Fertigstellung
2023
Fotos
CRRA
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