Internat Kloster Disentis
22. 六月 2006
Von der «Modernität des Dauerhaften» war in der Neuen Zürcher Zeitung die Rede, «Haus der 31 Nester» nannte es die Südostschweiz. Das neue Mädcheninternat des Architekten Gion A. Caminada in Disentis kommt auch bei den bis anhin 27 jungen Bewohnerinnen <megageil> an.
Das Unterhaus ist ein mächtiger, auf seine Grundform reduzierter Kubus mit flachem Zeltdach. Er füllt präzis und selbstbewusst die Nische zwischen den Nachbarhäusern. Es ist ein von der Strasse zurückversetzter Solitär, der Anschluss sucht. Er hat weder einen Haupteingang noch eine Hauptfassade. Die vier Seiten sind alle gleich gestaltet, ausser auf der Ostseite gibt es überall einen Hauseingang – bergseitig sogar zwei. Das Verhältnis zwischen Öffnung und Mauer erinnert an die lange Klosterfassade. Ein erster Hinweis, dass die beiden Häuser zusammengehören. Dem reduzierten Kubus ist die innenräumliche Vielfalt nicht anzumerken.
Der Fensterrhythmus des Unterhauses orientiert sich am Kloster. Man sieht, die beiden Häuser gehören zusammen.
Im Inneren generiert Caminada mit einer einfachen, aber effektvollen
Regel maximale räumliche Vielfalt: Indem er die Grundrisse jeweils um
neunzig Grad dreht, bekommt jeder Stock einen eigenen Charakter und
folgt doch immer demselben Prinzip. Rund um den zentralen Treppenhaus-
und Liftkern sind die Zimmer entlang drei Seiten wie am Schnürchen
aufgereiht. Gegen die vierte Seite hin öffnet sich der Raum nach aussen
und wird vom knappen und dunklen Erschliessungs- zum grosszügigen und
hellen Begegnungsraum. Attraktion bei den jungen Mädchen ist das
geheizte 'Ofenbänkli' Eine aus der hellbraunen Treppenhausskulptur
herausgeschnittene, mit grossen Bronzeplatten ausgekleidete Sitznische.
Die Fenster dieser gemeinschaftlichen Wohnzimmer schneiden immer neue
Bilder aus der Umgebung. Sie heissen Tal, Hinterhof, Kloster und
Dorfausgang beziehungsweise -eingang. Das Haus erinnert an einen
Fuchsbau: Jeder Stock hat – zusätzlich zur zentralen Erschliessung –
seinen eigenen Eingang. Möglich machen die Schleichwege die Lage im
steilen Hang.
Kleinste Einheit sind die 31 fast quadratischen Zimmer. Es sind
bewohnbare Möbel: Man betritt sie über eine an Kajüten-Architektur
erinnernde Lärchenskulptur. Es ist Garderobe, Schrank, Lavabo, Dusche
und WC in einem. Die Möbel im Zimmer selbst sind einfach und
zurückhaltend: Schreibtisch, Stuhl, Bettsofa und zwei Korpusse – mehr
gibt es nicht. Die Fensternische neben dem Lüftungsflügel ist derzeit
der beliebteste Schlupfwinkel. Unter dem Fensterbrett hat Caminada die
Heizung platziert. Das macht die bevorzugte Leseecke der Schülerinnen
komfortabel. Die Fensternische ist aber noch viel mehr. Sie ist auch
Raumschleuse zwischen innen und aussen: Sie ist ein Raum im Raum und
ermöglicht, aus dem Zimmer herauszutreten beziehungsweise draussen zu
sitzen, ohne es zu verlassen.
Kantige Treppenhausskulptur im Begegnungsraum: jedes der
gemeinschaftlichen Wohnzimmer ist in eine andere Himmelsrichtung
orientiert.
Kalkspachtelboden, Betonwände und Kassettendecke verleihen dem Gemeinschaftsraum klösterliche Strenge und Eleganz.
Am unteren Ende der kantigen Treppenhausskulptur liegt der Gemeinschaftsraum. Es ist ein fast sakral anmutender Raum mit dunkelrotem Kalkspachtelboden. Nur ein grosses blindes Fenster gegen die Strasse lässt Tageslicht hinein. Hier sind nicht nur der Treppenhauskörper, sondern auch die Wände aus dem samtweich anmutenden Beton. Er hat seinen hellbraunen Farbton durch Verwendung von Stein aus der Region. Die spiegelglatten Wände hat der Architekt mit Öl lackieren lassen, dessen Oberfläche beim Eintrocknen Haarrisse bekommt, die sich wiederum zu dekorativen Krakeleien auswachsen. Der an Lehmwände erinnernde Beton verspricht ein Sinneserlebnis – eine geheimnisvolle Landkarte, die man berühren will. Gion A. Caminada hat in Disentis ein Wohlfühlhaus für junge Mädchen entworfen. Er selbst nennt die Zimmer darum auch «Nester für Nestflüchtlinge». Neben seinen sinnlichen Qualitäten hat das Haus aber auch grosse räumliche: Durch die geschickte Organisation des Grundrisses ermöglicht der Architekt den Schülerinnen Nähe und Distanz selbst zu kontrollieren. Durch die labyrinthische Erschliessung mit ihren Schleichwegen finden unerwartete Begegnungen statt, die Mädchen können aber auch zu erwartenden Begegnungen aus dem Weg gehen. Roderick Hönig
Es gibt 31 unterschiedliche Zimmer- von Caminada als bewohnbare Möbel entworfen.
Internat Kloster Disentis
2004
Bauherrschaft
Benediktinerabtei Kloster
Disentis
Architektur
Gion A. Caminada
Vrin
Projektleitung/Bauführung
Michael von Arx
Ingenieur
Serafin Rensch
Trun
Anlagekosten (BKP 1–9)
CHF 5,2 Mio.