Vom Kirschlager zum Atelierwohnhaus
ARGE lilitt bollinger studio & Buchner Bründler Architekten
3. abril 2019
Eingangsfassade. Bild: Mark Niedermann
Als Arbeitsgemeinschaft haben lilitt bollinger studio & Buchner Bründler Architekten letztes Jahr ein Kirschlager in Nuglar zum Atelierwohnhaus umgestaltet. Lilitt Bollinger und Daniel Buchner stellen sich unseren Fragen.
Ort Bifangstrasse 5, 4412 Nuglar, SO
Auftragsart Direktauftrag
Bauherrschaft privat
Architektur ARGE lilitt bollinger studio & Buchner Bründler Architekten
Fachplaner Ingenieur: Jürg Merz, Maisprach
Jahr der Fertigstellung 2018
Gebäudevolumen 4660 m3
Massgeblich beteiligte Unternehmer Baumeister: Knecht Bauunternehmung AG, Münchenstein, BL | Holzbau: Hürzeler Holzbau AG, Magden, AG | Fenster Metall: Fünfschilling AG, Binningen, BL | Fenster Holz: Hunziker Schreinerei AG, Schöftland | Metallbau: Jenich Metall- und Messebau, Weil am Rhein, D und Reber Metallbau AG, Pratteln, BL | Elektro: Elektro Schmidlin AG, Muttenz, BL | Heizung: Walter Weber AG, Gelterkinden, BL
Fotos Mark Niedermann
Ostfassade mit sechs neuen Öffnungen. Bild: Mark Niedermann
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Anfangs befassten wir uns mit einem unscheinbaren Lagerhaus, erstellt 1968, welches mitten im Dorfzentrum der ländlichen Gemeinde Nuglar-St. Pantaleon steht. Erst mit fortschreitender Projektierung realisierten wir den Stellenwert dieses Gebäudes für die Gemeinde und deren Bewohner*innen. Das Haus diente als Annahmestelle für sämtliche im Dorf gewonnenen Kirschen. Anfang der 1970er-Jahre wurden noch 10'750 Kirschbäume im Ort gezählt, bei 800 Dorfbewohnern. Im Nachbarhaus wurde der Schnaps gebrannt und in den Untergeschossen wurden die Kirschen in Fässern zum Gären gebracht. Nahezu jede Dorfbewohner*in stand in einer Beziehung zum Gebäude. In einem Laden, zur Strasse hin orientiert, wurden Schnaps, Wein und Dinge des täglichen Bedarfes verkauft. Doch die Firma geriet in Schieflage und über die letzten 20 Jahre stand der Bau schliesslich leer. Mit dem Umbau wurde ein ganzes Dorf angesprochen und kollektive Erinnerungen geweckt. Wir erfuhren viele Geschichten und das Interesse am Umbauprozess war unerwartet gross und die Reaktionen wohlwollend.
Werkstatt und Garage. Bild: Mark Niedermann
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?Inspiration fanden wir während des Studiums der Gebäudestruktur. Uns haben die gewonnenen Erkenntnisse über die ehemalige Bedeutung des Hauses zur Gestaltung angeregt. Das Lagerhaus ist durch eine massive Betonwand im Erdgeschoss in zwei Bereiche unterteilt. Diese wollten wir als Hallen erlebbar lassen und gleichzeitig miteinander verbinden. Der Standort des ehemaligen Ladens und die dazugehörige Fassadenöffnung boten sich für einen Atelierraum geradezu an. Da sich das Lagerhaus ursprünglich nur zum Dorf hin öffnete, beschlossen wir, grossformatige Ausschnitte in die Betonfassade, in die innenliegenden Betonwände und Decken zu schneiden; ein faszinierender Prozess. Zusätzlich sollten neue Einbauten den Raum für die gewünschten Nutzungen gliedern, in ihrer Materialität und in ihrer Konstruktionsart aber selbstverständlich und plausibel wirken.
Küche und Wohnbereich. Bild: Mark Niedermann
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?Die Nutzungsänderung durch das Wohnen brachte natürlich den Wunsch nach Licht. Die bestehende Fassade musste innerhalb der Struktur aufgeschnitten werden. Grosse Öffnungen mit scharfen Schnittkanten aufgrund der Diamanttrennscheiben entstanden ostseitig. Eine überwältigende Fernsicht konnte so gewonnen werden und die topografische Lage des Dorfes wie des Gebäudes am Hang wurde unmittelbar erlebbar.
Blick vom Essbereich zum Atelier. Bild: Mark Niedermann
Ihr wart Architekten, Auftraggeber, Nutzer und Bauherrschaft in einem. Wie hat das den Entwurf beeinflusst?Diese Kombination war natürlich hervorragend. Als wir dieses «Gefäss» zum ersten Mal besichtigten, waren wir noch sehr unsicher, aber irgendwie doch fasziniert, obwohl das Potenzial noch kaum zu erahnen war. Diese leerstehende Unschönheit mitten im Dorf hatte etwas geradezu Groteskes.
Atelier im ehemaligen Ladengeschäft. Bild: Mark Niedermann
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?Das sind die schönen Erlebnisse des Umbauens. Wir dachten zu Beginn und auch nach dem Studium aller Bestandspläne sowie während der ganzen Entwurfsplanung, dass es sich um ein reines Betongebäude handeln müsse. Doch während dem Retourbau entdeckten wir, dass die eine Hälfte des Gebäudes über ein äusserst filigranes und weit gespanntes Holzdach verfügt. Zuerst ein Schock – aber der war nur von kurzer Dauer, denn nach der Freilegung empfanden wir es als entdeckten Schatz. Den Entwurf beeinträchtigte dies wenig, vielleicht jedoch die weitere Ausgestaltung. So wurde die ursprünglich intensiv farbige Ausformulierung kontinuierlich gedrosselt.
Blick in die Garage mit Werkstatt. Bild: Mark Niedermann
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?Das Projekt steht als Erstlingswerk einer Arbeitsgemeinschaft, die zwar seit Jahren einen intensiven Architekturdiskurs pflegt, aber auch der Meinung ist, die Auseinandersetzung mehr im Diskurs zu belassen, als in der effektiven gemeinsamen Architekturentwicklung.
Arbeitszimmer. Bild: Mark Niedermann
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?Die Eingriffe sowie der Bestand bestehen hauptsächlich aus zwei Materialien: Beton und Holz. Die Patina, die in den letzten 50 Jahren entstanden ist, lässt die Zeitschichten erkennen. Die gegossene Kraft des Betons steht den warmen Oberflächen des Holzes gegenüber. In ihrer Oberfläche bleiben die Materialien mehrheitlich roh. Die Ausbauten in Holz wurden so entwickelt, dass diese direkt vor Ort durch präzises Handwerk gefertigt werden konnten.