Kontext und Spiel
Christ & Gantenbein
17. diciembre 2020
Foto © Walter Mair
Christ & Gantenbein haben in der Vergangenheit bereits mehrere grosse Museumsbauten gestaltet. Im Sommer nun wurde ihr Lindt Home of Chocolate fertig. Mona Farag spricht mit uns über den Bau, hinter dessen zurückhaltender Backsteinfassade eine schwungvolle Erlebniswelt wartet.
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Das Lindt Home of Chocolate schafft eine vereinende Struktur für eine Vielzahl von Programmen und vermittelt eine eminent öffentliche Botschaft. Es bietet eine interaktive Ausstellung, eine Forschungs- und Entwicklungseinrichtung für zukünftige Schokoladenkreationen mit unabhängiger Produktionsanlage, einen Shop, ein Café und Büros – verbunden durch Wendeltreppen und Stege, die ein ausgedehntes Atrium durchkreuzen. Das monumentale, zentrale Atrium organisiert alle diese Nutzungen um sich herum, und der simple wie flexible Baukörper erlaubt dank einer robusten Struktur, dass sich die verschiedenen Aktivitäten im Laufe der Zeit weiterentwickeln können.
Aber es geht hier natürlich auch um die Zugehörigkeit zu einem grösseren Ganzen: der Hauptsitz des 1845 gegründeten Schweizer Chocolatiers Lindt & Sprüngli am Zürichsee, mit seiner langen und erfolgreichen Geschichte in der Herstellung von Schokolade. Der Neubau öffnet diesen Industriestandort, an dem nach wie vor Schokolade produziert wird, für die breite Öffentlichkeit. Daher bewegt sich das Projekt innerhalb einer etablierten Identität und eröffnet gleichzeitig einen Weg zur Weiterentwicklung der Marke und ihres Standorts in Kilchberg.
Foto © Walter Maier
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Das Projekt lebt vom Kontrast zwischen seiner bescheidenen und unauffälligen Hülle und dem leichten, offenen und spielerischen Inneren, das sich anfühlt, als befände man sich in einer Maschine. Die Schokolade, um die es hier geht, wird implizit durch die runden Formen gefeiert. Während der Entwicklung der Formensprache waren für die Schokoladenherstellung erforderlichen Maschinen, insbesondere der Conche, wichtige Referenzen. Darüber hinaus erlaubt es die Grösse des Atriums den Menschen, eine Bühne zu betreten, während sie sich über Stege und Brücken bewegen. Es ist eine Art Mise en Scène in einem grosszügigen Raum.
Foto © Walter Maier
Foto © Walter Maier
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Der historische, industrielle Kontext war eine wichtige Quelle der Inspiration. Er zeigt das wichtige Erbe der Schweizer Industriegeschichte. Das neue Gebäude, ein lebendiger Teil des Standorts, greift architektonisch die Logik dieses durch Fabriken und Lagerhallen definierten Umfelds auf. In einem regelmässigen Raster entlang einer Hauptachse angeordnet, die übrigens ein öffentlicher Pilgerweg ist, kommt zu diesen funktionalen Baukörpern ein neues Volumen hinzu, das wie viele seiner Nachbarn eine Fassade aus rotem Backstein besitzt. Kontextuell reagiert das Lindt Home of Chocolate mit einer Biegung, um einen Eingang und einen öffentlichen Raum zu bilden, womit wir uns von der rein utilitaristischen Typologie wegbewegen. Durch diese Biegung wird der ruhige Körper monumental, was durch den Wechsel des Materials hin zu weiss glasiertem Backstein zusätzlich betont wird.
Foto © Walter Maier
Foto © Walter Maier
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Das Gebäude folgt der Sprache eines rationalen Expressionismus. Es verkörpert den aufmerksamen Umgang mit dem öffentlichen Raum, bedingt und zelebriert diesen. Dies ist ein Leitbild von Christ & Gantenbein. Der Bau zeigt unser Interesse am Civic Space erneut.
Auf jeden Fall Ziegel und Beton; dank des Betons konnten wir zusammen mit dem Ingenieur Jürg Conzett die skulpturalen und raumbildenden Rundstützen und Treppenhäuser im Atrium entwickeln. Die so möglichen grossen Spannweiten sorgen für die erforderlichen stützenfreie Räume in den Seitenflügeln. Die räumlichen Figuren leiten sich nicht nur ästhetisch ab, sondern auch funktional: Sie bieten Platz für die Haustechnik, beherbergen Liftanlagen und Treppen und sind essentieller Teil des Tragwerks. Zum Einsatz kam ein zunächst nicht eingefärbter Beton, der nachträglich weiss lasiert wurde. Dabei war es uns wichtig, dass die handwerklichen Spuren der Herstellung sichtbar bleiben. Es kam eine konventionelle Holzschalung zum Einsatz. Für die runden Formen wurde die Schalung auf der Aussenseite in engem Abstand eingekerbt, um die Platten in die erforderlichen Radien biegen zu können.
Die Ziegel haben wir aufgrund ihres kontextuellen Bezugs ausgewählt. Es handelt sich um eine sich selbsttragende Konstruktion aus Schweizer Klinker-Vollsteinen. Bei der Wahl des Ziegels war entscheidend, dass auch dieser Zeugnis seines Entstehungsprozesses ablegt. Obwohl die Steine in ihrer Farbigkeit sehr einheitlich sind – was durch die Wahl der Fugenmasse in exakt demselben Farbton noch unterstrichen wird – entsteht durch die unterschiedliche Oberfläche eines jeden Steines trotz aller Schlichtheit eine monumentale Ausstrahlung. Durch diese setzt sich der Neubau subtil von den ihn umgebenden Gebäuden ab.
Im Eingangsbereich wurde derselbe Klinker in veredelter Form verbaut. Die Steine sind hochweiss glänzend glasiert. Dieses Finish zusammen mit der Überhöhung der Eingangsfassade markiert den Eingang und zeichnet den Platz aus.
Foto © Walter Maier
Grundriss 2. Stock
Schnitt
Lindt Home of Chocolate
Standort
Schokoladenplatz 1, 8802 Kilchberg
Nutzung
Culture, Laboratory, Museum, Office, Retail
Auftragsart
Wettbewerb
Bauherrschaft
Lindt Chocolate Competence Foundation
Architektur
Christ & Gantenbein, Basel
Team: Emanuel Christ, Christoph Gantenbein; Mona Farag; Anna Flückiger, Astrid Kühn, Tabea Lachenmann; Javier Bressel, Ana Sofia Costa Guerra, Szabolcs Egyed, Florian Kaiser, Kyrill Keller, Daan Koch, Andrew Mackintosh, Stephanie Müller, Catia Polido, Eileen Davis, Robert Schiemann, Anne Katharina Schulze, Guido Tesio, Leandro Villalba, Jean Wagner, Leonie Welling und Christina Wendler
Fachplaner
Eiffage Suisse, Opfikon
Conzett Bronzini Partner, Chur
Enea, Zürich
ahochn, Dübendorf
Feroplan Engineering, Zürich
Keller Ziegeleien, Pfungen
BAKUS Bauphysik & Akustik, Zürich
Ernst Basler + Partner, Zürich
Jahr der Fertigstellung
2020
Gebäudevolumen
21 540 m2
Fotos
Walter Maier