Günstig wohnen im Baudenkmal
Hinder Kalberer Architekten
16. Dezember 2021
Zwei neue Lukarnen zeigen die Wohnungen im Dachgeschoss an. (Foto: Arnold Kohler)
Andreas Hinder berichtet, wie er und sein Team in Winterthur in einem denkmalgeschützten Haus aus dem 17. Jahrhundert bezahlbaren Wohnraum geschaffen haben.
Herr Hinder, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die (Bau)Geschichte des heute denkmalgeschützten Hauses reicht zurück bis ins frühe 17. Jahrhundert. Sie ist geprägt durch viele Umbauten. So wurde die Liegenschaft 1864 aufgestockt und im klassizistischen Stil erneuert. Das ursprünglich einfache Statikkonzept mit Holzstützen und -balkenlagen wurde mit den Jahren immer wieder angepasst; Stützen wurden entfernt, Unterzüge unterbrochen und Stahlträger eingebaut.
Die zwei Dachgeschosse waren bis anhin ungenutzt und dienten früher als Lagerräume. Ihre stolze Raumhöhe erwies sich als Glücksfall für den Ausbau. Eine spannende Herausforderung stellte die Lichtführung mit dem bestehenden Lichthof dar, aber auch die Berücksichtigung der Auflagen seitens Denkmalpflege.
In diesem Haus ist nichts Standard, denn keine Wand steht im rechten Winkel zur anderen und kein Boden ist gerade. Es musste für alles eine individuelle Lösung entwickelt werden.
Das Treppenhaus im 1. Dachgeschoss; über einen Lichthof dringt Tageslicht in den Vorraum der beiden Wohnungen. (Foto: Arnold Kohler)
Foto: Arnold Kohler
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Mit dem Um- und Ausbau sollte bezahlbarer Wohnraum in der Innenstadt geschaffen werden. Diesen sozialen Aspekt zusammen mit der Geschichte der Società Cooperativa wollten wir bestmöglich berücksichtigen. Trotz des tiefen Baukörpers und der Nord-Süd-Ausrichtung des Altstadthauses wollten wir das Tageslicht möglichst für alle Bewohner gut einfangen und in die Räume fliessen lassen.
2-Zimmer-Wohung im 1. Dachgeschoss; zwei neue Lukarnen belichten die beiden Nordräume. (Foto: Arnold Kohler)
In der Wohnung gibt es eine direkte Verbindung zwischen den beiden Nordzimmern. (Foto: Arnold Kohler)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Der Bauherrschaft war es von Beginn an wichtig, moderate Mietpreise zu erzielen, was den Entwurf auf vielen Ebenen beeinflusste. Gegenüber unseren Vorschlägen beim Innenausbau zeigte sich die Bauherrschaft stets sehr offen und mutig.
2-Zimmer-Wohnung im 1. Obergeschoss; neben der direkten Erschliessung vom Korridor sind die Räume auch untereinander über grosse Türfronten verbunden. (Foto: Arnold Kohler)
Ein Oblichtband verbindet in dieser Wohnung das Wohn- und Esszimmer mit dem Bad und dem Korridor. (Foto: Arnold Kohler)
Bad der 2-Zimmer-Wohnung im 1. Dachgeschoss; durch den bestehenden Lichtschacht fällt Zenitallicht in die Mitte des tiefen Baukörpers. (Foto: Arnold Kohler)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Das Konzept mit den Kleinwohnungen ergänzend zu den bestehenden zwei Wohnungen war von Beginn an klar. Dank der Unterschutzstellung konnten viele für das Haus prägnante Bauteile erhalten bleiben, zum Beispiel der Lichthof inmitten des Baukörpers und die Eingangsfronten der bestehenden Wohnungen.
Bereits bei den ersten Sondierungen wurde aber auch klar, dass zusätzliche statische Massnahmen nötig sind. Um herauszufinden, wie umfangreich diese sein müssen, wurden zum Beispiel Stahlanalysen an den vor dem Zweiten Weltkrieg eingebauten Stahlträgern durchgeführt. Diese zeigten sich glücklicherweise stabiler, als wir ursprünglich angenommen hatten.
2-Zimmer-Wohnung im 2. Dachgeschoss; durch den Lichthof fällt Tageslicht auch in die Mitte der Wohnung und den Nassraum. (Foto: Arnold Kohler)
Lichthof (Foto: Arnold Kohler)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Wohnräume in denkmalgeschützten Gebäuden zu gestalten, ist eine Aufgabe, die wir gerne bearbeiten. Wertvolle historische Bauten bringen eine grosse Faszination mit sich, auch wenn der Aufwand oftmals grösser ist, als man ursprünglich denkt. Das Weiterschreiben der Geschichte ist eine sehr spannende und verantwortungsvolle Aufgabe.
Momentan passen wir den kantonal denkmalgeschützten Oberhaushof in Feldbach für eine neue Nutzung an. Aus einem stattlichen Bürger- und einem Waschhaus wird in einer zweiten Etappe ein Bed and Breakfast. Anstelle des Hühnerhauses entsteht ein einfaches, kleines Einfamilienhaus für den Besitzer des Hofes. 2019 nutzten wir in einer ersten Etappe bereits das 300-jährige Trottengebäude in ein Wohngebäude mit sechs Wohnungen um.
Situation
Grundriss Dachgeschoss
Querschnitt
Umbau Wohn- und Geschäftshaus «zum hinteren Walfisch»
Standort
Stadthausstrasse 81, 8400 Winterthur
Nutzung
Gewerbe, Wohnungen
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
Società Cooperativa, Winterthur
Architektur
Hinder Kalberer Architekten GmbH, Winterthur
Andreas Hinder (Verantwortlicher Partner), Jeannine Rossi (Projektleitung)
Fachplaner
Bauingenieur: Bona Fischer Bauingenieure AG, Winterthur
Elektroingenieur: Heinz Schmid AG, Winterthur
HS-Ingenieur: Paul Herzog AG, Winterthur
Bauphysik: BWS Bauphysik, Winterthur
Bauleitung
Wintimmo Treuhand und Verwaltungs AG, Winterthur ZH
Jahr der Fertigstellung
2021
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 2,6 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 2,3 Mio.
Gebäudevolumen
4130 m3 (gemäss SIA 416)
Kubikmeterpreis
CHF 550.– / m3
Fotos
Arnold Kohler, Winterthur