Moderne Lernumgebung in alten Strukturen

ERP Architekten
7. November 2024
Das Schulhaus hat drei neu gestaltete Zugänge erhalten. (Foto: Ariel Huber)
Herr Kalt, Herr Schmidt, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Oliver Kalt: Die Sanierung des Schulgebäudes aus den 70er-Jahren war auf verschiedenen Ebenen eine Herausforderung: Nebst der umfassenden energetischen Ertüchtigung war das 1975 eröffnete Oberstufenschulhaus – damals das grösste im Kanton Aargau – in eine zeitgemässe und stufengerechte Primarschule für knapp 600 Schülerinnen und Schüler umzubauen. 

Das vom Solothurner Architekten Hans R. Bader entworfene Gebäude ist ein zeittypisches Schulhaus mit einer stringenten Tragstruktur aus sichtbarem Beton und massivem Stahl. Die hallenartige Struktur mit der über die Querachsen stützenfrei gespannte Deckenkonstruktion bietet dabei eine ideale Grundlage für die heute gewünschte flexible Lernumgebung aus Unterrichtsräumen und offenen Gruppenarbeitsbereichen. 

Das Schulhaus kurz vor Abschluss der Bauarbeiten im Jahr 1975. Rechts im Bild ist die benachbarte Hochbrücke aus den 1930er-Jahren zu erkennen.
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Andreas Schmidt: «Plötzlich diese Übersicht», das Kennwort unseres Wettbewerbsbeitrags, war unser Leitgedanke für die wesentlichen Interventionen. Durch präzise Eingriffe in die bestehende Erschliessungsstruktur konnten wir die Orientierung verbessern und räumlich klären. Vertikale Sichtbezüge und gezielte Ausblicke in die Umgebung ermöglichen zudem eine Verortung im weitläufigen Gebäude. Der damit hergestellte Bezug zu den spielerischen Arbeiten von Fischli und Weiss sollte das aus unserer Sicht vorhandene anekdotische Potenzial des Gebäudes transportieren.

Die Farbgestaltung in der Lehrschwimmhalle stammt von Jean Pfaff. Sie ist eine von mehreren Kunst-am-Bau-Arbeiten im Schulhaus. (Foto: Ariel Huber)
Blick in die neugestaltete Aula (Foto: Ariel Huber)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Oliver Kalt: Durch die Umnutzung zu einem Primarschulhaus wurde die Beziehung zu den Schulbauten rund um den Schulhausplatz gestärkt. Die Lage des Gebäudes ist städtebaulich exponiert und damit entscheidend für die umgesetzten Massnahmen. Auf der Nordseite grenzt das Schulhaus an eine Hochbrücke aus den 30er-Jahren, die sein Dach überragt. Sowohl die Gestaltung der «fünften Fassade» als auch die Integration der Brückenbögen in den Freiraum spielten für uns deshalb eine wichtige Rolle.

Der Flussraum im Osten wurde durch die oben beschriebene Öffnung der Erschliessungszonen ins Gebäude integriert; die Werkräume im flussseitigen Erdgeschoss werden neu auch für den Unterricht im Freien genutzt. Der Boveri-Park mit der Villa Boveri von Karl Moser auf der Südseite ist von nationaler Bedeutung und bildet für die angrenzenden grosszügig verglasten Räume eine fantastische Kulisse.

Das Schulhaus Tannegg auf der westlichen Hangseite ist Namensgeber für die neue Primarschule und bildet zusammen mit den drei neuen Hauptzugängen und dem angrenzenden Spielbereich die eigentliche Vorzone mit dem Pausenbereich der Schule.

Die bestehende Struktur erwies sich als besonders geeignet, eine moderne Lernlandschaft aufzunehmen. (Foto: Ariel Huber)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzenden den Entwurf beeinflusst?


Andreas Schmidt: Die räumliche Umsetzung aktueller pädagogischer Konzepte, insbesondere die Raumgestaltung nach dem Churer-Modell, wurde mit den Nutzern intensiv thematisiert und während des Vorprojekts im Grundsatz definiert. Die insgesamt 24 Unterrichtszimmer sind in einer Art Cluster-System, also als einzelne Raumgruppen, angeordnet. Jeweils vier Klassen teilen sich dabei eine gemeinsame Zone mit frei bespielbarem Gruppenarbeitsbereich, Garderoben und Erschliessung.

Zilla Leutenegger bespielte unter anderem die drei neuen Erker mit einer Installation aus Spiegelchromstahl. (Foto: Ariel Huber)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Oliver Kalt: Für uns war immer klar, dass der Altbau eine hohe Qualität aufweist. Wir waren uns sicher, mit dem gegebenen Grundraster ein zeitgemässes Primarschulhaus realisieren zu können. 

Der Auftrag kam 2009 durch einen gewonnen Fassadensanierungswettbewerb ins Büro. Unser Beitrag sah neben den Massnahmen an den Fassaden auch Eingriffe im Gebäudeinneren und in der Umgebung vor. Unsere damalige Begeisterung für das Haus und die Einsicht, dass die gesamte Gebäudestruktur nur als Ganzes gesehen und bearbeitet werden kann, haben sich langfristig bezahlt gemacht. Zunächst einmal wurde das Vorhaben aber nach dem Vorprojekt aufgrund schulpolitischer Veränderungen auf Eis gelegt. 

Der letztendlich gefällte Entscheid, aus dem Oberstufenschulhaus eine Primarschule zu machen und diese zusammen mit dem angrenzenden denkmalgeschützten Schulhaus Tannegg aus den 50er-Jahren zu betreiben, war begleitet von verschiedenen strategischen Planungsphasen. Jedes Mal musste den zu prüfenden Sanierungs- und Umbaumassnahmen die Machbarkeit eines möglichen Neubaus gegenübergestellt werden. Wiederholt stand der Abbruch des Gebäudes zur Diskussion. Bei jeder Auseinandersetzung mit den Nutzenden und der Liegenschaftsverwaltung haben wir etwas mehr über das Haus erfahren. Angepasste Raumprogramme, sich verändernde Vorschriften – vor allem bezüglich des Brandschutzes – und vorgegebene Kostenziele konnten so sukzessive eingearbeitet werden. 

Öffnungen zum Limmatraum (Foto: Ariel Huber)
Situation (© Uniola)
Grundriss Erdgeschoss (© ERP Architekten)
Grundriss Ebene Aula (© ERP Architekten)
Schnitte (© ERP Architekten)
Bauwerk
Schulhaus Tannegg (Umgebautes und saniertes Schulhauses Pfaffechappe)
 
Standort
Grabenstrasse 1, 5400 Baden
 
Nutzung
Primarschule mit Lehrschwimmhalle
 
Auftragsart
Wettbewerb
 
Bauherrschaft
Stadt Baden
 
Architektur
ERP Architekten AG, Baden (Generalplaner)
 
Fachplaner
Landschaftsarchitekt: Uniola AG, Zürich
Bauingenieur: MWV AG, Baden
Elektroingenieur: P. Keller + Partner AG, Baden
HLS-Ingenieur: Schoch Reibenschuh AG, Volketswil
Bauphysik: Buri Bauphysik & Akustik AG, Volketswil
Brandschutz: BDS Security Design AG, Bern
Fassadenplaner: Mebatech AG, Baden
Badplaner: Probading, Zumikon
 
Fertigstellung
2024
 
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 33.3 Mio.
 
Gebäudekosten BKP 2
CHF 24.4 Mio.
 
Gebäudevolumen
43'000 m3 (gemäss SIA 416)
 
Kubikmeterpreis
CHF 570 /m3 (BKP 2)
 
Energiestandard
Energie Schweiz, Gebäudestandard 2019 für Modernisierungen
 
Kunst am Bau
Paul Agustoni: Kompositionen von Betonelemente im Innen- und Aussenraum, 1974
Zilla Leutenegger: Interventionen mit Raumzeichnungen auf Spiegelchromstahl, 2024
Beat Zoderer: Neukomposition Wandrelief aus dem Regionalen Pflegezentrum Baden, 2024 
Jean Pfaff: farbige Wandgestaltung in der Schwimmhalle, 2024
 
Fotos
Ariel Huber, Lausanne 

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