«Mit Kunst kann man sich nicht die Zähne putzen»

Jenny Keller
14. 六月 2012
Kunst von allen. Die «Strickgruppe» hat die Wettsteinbrücke warm angezogen. Alle Bilder (und Video), falls nicht anders vermerkt: Jenny Keller

Im Juni schaut die ganze Kunstwelt nach Basel. Und weil Basel das weiss, putzt die Stadt am Rhein sich heraus, dass es eine wahre Freude ist. Ein Besuch in Basel lohnt sich in der Zeit besonders: Betörende Linden säumen das Rheinbord, eine Party folgt der nächsten, und überall findet man Kunst. Gute und schlechte. Damit man schon zu Beginn eine Übersicht hat bei Renoir, Koons, Abramovic und 25000 anderen Kunstschaffenden, die allein an der Hauptmesse Art ausgestellt sind, lohnt es sich, die neue Gratis-App herunterzuladen (s. rechte Spalte), denn neben der Art gibt es eine Vielzahl Nebenmessen, Off-Spaces, Ausstellungen in den arrivierten Museen und ein abgestimmtes Theater- sowie Kinoprogramm.

Der architektonische Blick
Schon auf dem Weg zum Messegelände im Kleinbasel fällt die Wettsteinbrücke auf, die von der «Strickgruppe» mit einem wollenen Graffitti verschönert wurde. Von der Kunstmüdigkeit der Basler, die ein BaZ-Journalist beklagt hat, ist also nichts zu spüren. Im Gegenteil.
 
Auch wenn es in der Woche um Kunst geht, bleibt der architektonisch geschulte Blick natürlich auch an Architektur hängen, und das Ohr belauscht – immer noch im Tram zum Messeplatz – zwei junge Männer, die offensichtlich für ein Catering später während einer Preview oder Vernissage gebucht worden sind: «Das sieht ja aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen», meint der eine beim Anblick der immensen Baustelle auf dem Messeplatz. Und er fügt an, dass es schade um den Messeplatz sei, dass man hier einfach das riesige Gebäude darüber platzierte. Man staunt über seine Aussage, der auch aus städtebaulicher Sicht beizupflichten ist. Es ist vieles anders dieses Jahr an der Art. Die Vernissage ist einen Tag später, am Mittwoch, und der Platz vor der Halle 2 ist nicht wiederzuerkennen wegen erwähnter Grossbaustelle. Der Pavillon «Schaulager Satellite» springt ins Auge, erinnert an das Vitra-Haus in Weil am Rhein und ist ebenfalls von Herzog & de Meuron. Bis Mitte dieses Jahres ist das Schaulager in Münchenstein nicht zugänglich weswegen man die Gelegenheit nutzt, sich einem breiten Publikum während der Art (und schon die zwei Wochen davor) vorzustellen.

Schaulager Satellite von Herzog & de Meuron auf dem Messeplatz Basel. Foto: Tom Bisig

Der Nachwuchs an den Art Awards
Die Arbeiten des Eidgenössischen Wettbewerbs für Kunst, Architektur und Vermittlung 2012 sind ebenfalls in einer Umgebung, die umgebaut wird, untergebracht, in der Halle 4. Hier stört es weniger, die Aufbruchstimmung passt zum Nachwuchspreis. Aufgefallen ist zum einen das siegreiche Projekt des Architektenkollektivs Gruppe. Ein Holzpavillon auf Stelzen mit schrägem Boden lugt über die Rolltreppe und begrüsst die Besucher des Art Awards, der Ausstellung zum Wettbewerb. Es ist laut Jurybericht ein Ort des Experimentierens mit primären Elementen der Architektur, aber auch ein Ort des diskursiven Austausches, denn zwei Veranstaltungen finden hier während der Ausstellung statt.

Der Nachwuchspavillon von Gruppe (Nicholas Lobo Brennan und Boris Gusic). Vorne rechts selbst im Bild.
Sieger beim Eidgenössischen Wettbewerb für Kunst unter sich. Das Architekturkollektiv Gruppe (Sieger in der Kategorie Architektur) im Gespräch mit Camenzind/BHSF (Sieger in der Kategorie Architekturvermittlung)

Mirko Baselgias fünfteilige Arbeit hat sehr viel Architektur in sich und begeistert ungemein. Er beschäftigt sich mit demokratischen Strukturen Athens, den sechseckigen Wabenstrukturen der Bienen und dem Ornament. Der vergrösserte CNC-gefräste Ausschnitt der Bienenwaben erinnert unweigerlich an die Brandschutztüren im umgebauten Landesmuseum in Zürich von Christ & Gantenbein, die ebenfalls auf einer natürlichen Inspirationsquelle aufbauen. Zufälle gibt es. Der Künstler selbst kommt zwar aus der Architektur, wie er erklärt, von selbigen Türen wusste er nichts. Dafür kann man von ihm etwas über Bienen, Imkerei und Kunst lernen. Wir werden sicher noch von ihm hören und sehen. An den Art Awards ist er vertreten, weil er den Kiefer-Halblitzel-Preis gewonnen hat. Zu Recht!

Mirko Baselgia gewinnt den Kiefer-Halblitzel-Preis. Seine fünfteilige Arbeit ist ebenfalls an den Art Awards in Halle 4 ausgestellt und definitiv einen Besuch wert!

Der Unterschied zwischen Design und Kunst
Angekommen in der Halle der Messe Design Miamikommt man nicht umhin, über das Wort «angekommen» nachzudenken. Die Messe, die einst in der Markthalle sympathischen Shabby-Chic ausgestrahlt hat, ist nun definitiv angekommen. Zum siebten Mal zeigen hier Design-Galerien aus aller Welt Möbel, Objekte und Accessoires, die mittlerweile ebenfalls zum Portfolio grosser Kunstsammler gehören. Die Halle ist perfekt, sauber und fast zu clean. Was ist denn überhaupt der Unterschied zwischen Design und Kunst? Alexis Ryngaert der belgischen Design-Galerie Victor Hunt, erklärt es so: «Wenn man eine Intention erkennen kann, dass die Objekte zu etwas nütze sind, wenn man sie gebrauchen kann, dann handelt es nicht mehr Kunst. Dann ist es Design, Architektur oder Mode.» Theo van Doesburg, Mitbegründer von de Stijl brachte es so auf den Punkt: «Mit Kunst kann man sich nicht die Zähne putzen.»Welcher Kategorie das Werk «The clock clock white» angehört (s. Video unten), ist den Augen des Betrachters überlassen.

Die Neuentdeckung
Das Depot Basel hat sich in einem ehemaligem Getreidespeicher auf dem NT-Areal (heute Erlenmattpark), wo bis vor ein paar Jahren DIE Sommerfeste unter dem Sternenhimmel von Basel gefeiert wurden, niedergelassen. Der «Ort für kontemporäre Gestaltung» ist wahrlich eine Bereicherung für den Kunstzirkus und nur einige Fussminuten vom Messegelände entfernt. Zu sehen gibt es Arbeiten zwischen Kunst, Handwerk und Szenografie. Das meiste ist käuflich. Entstanden ist Depot Basel auf eigene Initiative mit wenig Geld. Wir wünschen viel Erfolg und alle Gute für die Zukunft, denn die Ausstellung macht Lust auf mehr.

Im wunderschönen Erlenmattpark von Raymond Vogel Landschaftsarchitekten aus Zürich findet man als willkommen Abwechslung zur Design Miami das Depot Basel.
Depot Basel, nach eigenen Angaben «a temporary place for contemporary design, with only the best intentions»

Und zum Abschluss wieder Kunst
Die Art Unlimited steht ganz im Zeichen grosser Kunstprojekte. Gianni Jetzer, Direktor des Swiss Institute in New York hat die Ausstellung in Halle 1 kuratiert, wo 61 Projekte, nicht jedes so grandios wie gross, ausgestellt sind. Zu Beginn begegnet man wieder Architektur: Ein Haus ohne Mauern und Decken schwebt im Raum. Man hofft auf Eindrücklicheres.

«Architecture Without Architects», 2010 von Damian Ortega.

Es fällt auf, Spiegel gibt es viele an der Art, Selbstreflexion scheint in der Kunst immer Thema zu sein, manchmal sind die Spiegel bemalt mit einem Manifest gegen den Kapitalismus und den späteren Käufer. Walead Beshtys Beitrag ist da um einiges sinnlicher, er hängt neun Kupferplatten bereits zum dritten Mal in eine Ausstellung, wobei die Abdrücke der Hände und Finger bleiben und mit dem Material eine chemische Reaktion eingehen werden, die wir von Kupferdächern bestens kennen.

«Copper Surrogate, 2011 - ongoing» von Walead Beshty. Reflexionen über den Kunstbegriff und die Zeit.
«Open Universe (Indra)», 2011 von Ricci Albenda. Die räumlichste Skulptur an der Art Unlimited.

Wer jetzt denkt, man war ja noch gar nicht in Halle 2, in der eigentlichen Art, muss sich keine Sorgen machen. Die Zeit ist bestens investiert, wenn man sich bei der Art Unlimited weiter nach grosser Kunst umschaut und das Investieren den Sammlern in Halle 2 überlässt. Dass der Raum also die Architektur ganz wesentlich zur Kunst beiträgt, wird einen bewusst, wenn man «Paula» betrachtet. Das Werk von Rudolf Stingel besteht nicht nur aus dem Gemälde einer rauchenden Frau, ein beiger Teppich und ein textiles Dach, das das Licht der Halle filtert, tragen wesentlich zur Wirkung und Atmosphäre bei. Oder um mit Doesburg zu schliessen: «Der Mensch lebt nicht in der Konstruktion, aber in der Atmosphäre, die durch die Oberfläche hervorgerufen wird.»

«Untitled (Paula)», 2012 von Rudolf Stingel. Eine Installation mit Teppich und gedämpfter Atmosphäre rückt Paula (ein Gemälde!) in ein besonderes Licht. Der Raum macht die Kunst.

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