Ciao Enzo

Elias Baumgarten
21. outubro 2020
Illustration: World-Architects.com

Ein grosser, nachdenklicher, gebildeter Mann mit wallendem Bart, der schon mal aufbrausend, mürrisch und sehr geradeaus sein konnte – Enzo Maris Erscheinung und Charakter hatten so gar nichts von einem smarten, hippen Designer. Mari war ein überaus kritischer Kopf: Er sah sich als Künstler und Intellektuellen, nicht als kommerzorientierten «Profi». Erfolg bemass er selbstredend niemals an Verkaufszahlen. Fortwährend hinterfragte er die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen des Entwerfens und der Produktherstellung. «Stardesigner» und unreflektierte Gestalter*innen waren ihm zuwider. Am 19. Oktober ist er in einem Mailänder Spital verstorben. Er erlag der Lungenkrankheit Covid-19. Tags darauf ging auch seine von ihm innig geliebte Frau, die wichtige italienische Kunsthistorikerin und Autorin Lea Vergine. Die beiden hatten in den 1960er-Jahren für einen handfesten Skandal gesorgt, weil sie noch anderweitig liiert waren, als sie sich heftig ineinander verliebten. Sogar eine Anzeige wegen der Bildung eines Konkubinats setzte es damals. Vergine schrieb unter anderem das Buch «Il corpo come linguaggio». Die langjährige Kritikerin des Corriere della Sera war eine der ersten Fürsprecherinnen der Performance Kunst.

Über die Designszene hinaus berühmt wurde Enzo Mari, der unter anderem für Artemide, Olivetti und Danese gestaltete, 1974 mit seinem Buch «Autoprogettazione». Es gilt bis heute als Schlüsselwerk der Do-it-yourself-Bewegung und trieb den Diskurs um das demokratische Design wesentlich voran: Mari zeigte darin 19 Möbel – Tische, Stühle, Regale und Betten –, die sich mit einfachen Werkzeugen bauen lassen. Wer ihm das Porto schickte, bekam Baupläne für Möbel gratis – Mari empfand grosse soziale Verantwortung und war überzeugter Kommunist (wenngleich nie Parteimitglied). Seine Gestaltungen sollten nicht – wie ja leider schon die Arbeiten vieler Kolleg*innen – Luxusprodukte für Privilegierte sein. Exklusive, überteuerte Objekte lehnte er energisch ab. Auch rückte er bereits Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit in den Fokus und war damit vielen seiner Zeitgenossen voraus. Mit seiner kritischen Haltung, die er zuweilen sehr scharf artikulierte, stiess Mari auf viel Kritik, beeinflusste aber auch mehrere Generationen von Gestalter*innen stark.

Vor wenigen Tagen erst, am 17. Oktober, wurde in Mailand anlässlich der Triennale die Retrospektive «Enzo Mari» eröffnet. Kuratiert wurde die Schau vom Schweizer Hans Ulrich Obrist. Sie wird nun zur Verneigung vor Maris Lebenswerk. Besuchen können Sie die Ausstellung noch bis zum 18. April 2021. 

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