«Uns reizte die Verbindung von Innovation und Tradition»

Felix Partner Architektur und Design
5. november 2020
Foto: Thomas Aus der Au
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Das 350-jährige, denkmalgeschützte Ensemble stand über 50 Jahre leer, war stark baufällig und mit wenig Technik ausgestattet. Kaum oder überhaupt nicht mit Plänen dokumentiert, glich es zudem einer Wundertüte – jeder Eingriff konnte zu Überraschungen führen, die wiederum das weitere Vorgehen beeinflussten. Das erforderte nebst grossem bauchtechnischen Wissen oft auch diplomatisches Geschick und nicht zuletzt Zeit und Geduld von allen Beteiligten.

Nordwestfassade (Foto: Thomas Aus der Au)
Südostfassade (Foto: Thomas Aus der Au)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


Uns reizte die Verbindung von Innovation und Tradition. Wir wollten beides in Einklang bringen. Die Typologie des Ensembles blieb erhalten und historisch wertvolle Bausubstanz wurde mit Respekt behandelt. 

Durch Licht, Geruch, Materialien und Oberflächen hat jeder Raum seine eigene Atmosphäre und erzählt Geschichten. Diese Geschichten, teils offen lesbar, teils unter Anstrichen oder Verkleidungen versteckt, wurden während des Umbaus stetig gelesen, analysiert und interpretiert. Räume erhielten teils neue Aufgaben, die Atmosphäre blieb aber immer erhalten. Elemente wie Bruchsteinmauerwerk, Balken, Holzböden und barocke Möbel, aber auch ganze Zimmer und die pechschwarze Räucherkammer wurden fachgerecht restauriert. 

Alle Eingriffe passen sich respektvoll an und ergänzen ganz selbstverständlich die alte Baustruktur. Trotzdem sind sie klar erkennbar. Dies einerseits dank der reduzierten Formensprache und andererseits durch die Beschränkung auf wenige Materialien: Sichtbeton, Glas, schwarzer Stahl und einheimisches Lärchenholz – allesamt naturbelassen und unbehandelt.

Neue Elemente treffen auf alte. (Foto: Thomas Aus der Au)
Treppenkern (Foto: Thomas Aus der Au)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Obwohl Bergün mit Latsch und Stugl nicht im Engadin liegen, prägt der Engadiner Baustil die intakten Dörfer. Dies liegt daran, dass Bergün bis zum Bau der Strasse 1696 über den Albulapass besser zu erreichen war als von Thusis.

Durch das typische Rundbogentor unseres Engadinerhauses gelangt man in den Sulèr, den Vorraum, der als Zugang zu den Wohnräumen und als Durchfahrt für den Heuwagen zur Scheune diente. Der Wohnteil tritt als massives Steinhaus in Erscheinung. Im Innern handelt es sich jedoch teils um einen Holzbau. Die Räume sind in Strickbauweise gezimmert und aufeinandergestapelt. Es lassen sich mehrere Bauetappen ablesen – das Ensemble wuchs mit der Bewohnerschaft und wurde deren Bedürfnissen immer wieder angepasst. Auch wir wollten das Ganze wieder den neuen Wohnbedürfnissen anpassen.

Wohnhalle (Foto: Thomas Aus der Au)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


Zur Gruppe Felix Partner gehört neben der Sparte Architektur auch jene des Designs. Dies ermöglicht uns, Gesamtlösungen anzubieten. Unser Engadinerhaus ist eine solche. Es überzeugt als Gesamtwerk aus einem Guss: Um den Charakter des renovierten Hauses zu unterstreichen, wurde ein modulares Designkonzept entwickelt, welches sich an den ortstypischen Quadermalereien orientiert und diese Tradition dezent, zeitgemäss und wie selbstverständlich weiterführt. Dieses Gestaltungsmotiv zieht sich durchs ganze Haus: in der Wohnhalle als Wandbemalung, als grosser Spiegel im Bad und bei allen Teppichen im gesamten Gebäude. Und mehr wird folgen: Ein Dokumentarfilm, eine eigene Website, Textilien, Printprodukte und so weiter sind bereits in Planung.

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Wir haben das Ensemble als Nullenergiebilanzhaus konzipiert, denn wir vertreten die Meinung, dass in Zukunft jedes Haus sein eigenes Kraftwerk sein sollte. Dabei wichtiges Kulturgut zu retten und mit Technik und guter Architektur zu vereinen, war unser Ziel bei diesem Projekt. Auf den grossen Dächern der beiden Anbauten wird durch Fotovoltaik- und Solarthermie-Paneele Sonnenenergie gewonnen. Während der Sommermonate wird überschüssige Energie über die Erdsonde im Felsen gespeichert, wo sie im Winter klimaneutral zur Verfügung steht. Geheizt wird das gesamte Haus vom Untergeschoss her. Als Bauteilaktivierung wurden in der Bodenplatte Heizschlangen eingelegt, durch die Spalten zwischen den Deckenbrettern gelangt die warme Luft in die oberen Etagen. Ergänzt wird dieses System durch Wandheizungen und örtliche Heizkörper.

Spa Bereich (Foto: Thomas Aus der Au)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Wie erwähnt, beschränkten wir uns bei der Materialisierung auf Sichtbeton, Lärchenholz, Glas und schwarzes Metall. Viele Standards haben wir überdacht, neu interpretiert oder neu erfunden: Pool, Whirlpool und Dampfbad aus Sichtbeton, einbetonierte Unterputzarmaturen von VOLA, massgeschneiderte unsichtbare Wasserrinnen, freistehende Spiegel, Schiebetüren ohne sichtbare Führungsschienen oder ein abschliessbares Schiebeelement über der Kellertreppe und dergleichen mehr. All dies verlangte Präzisionsarbeit in der Planung wie auch in handwerklichen Umsetzung.

Schwarzplan
Grundriss Untergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 1. Obergeschoss
Grundriss 2. Obergeschoss
Grundriss Dachgeschoss
Längsschnitt
Bauwerk
Umbau und Sanierung Engadinerhaus 
 
Standort
San Niclo 9, 7484 Latsch
 
Nutzung
Ferienhaus
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
privat
 
Architektur
Felix Partner Architektur AG, Zürich
Projektleitung: Peter Felix und Patrick Sprecher
 
Fachplaner 
Bauingenieur: DIAG Davoser Ingenieure AG, Davos Dorf
HLKS-Planung: Ahochn AG, Dübendorf
Elektroplanung: Triulzi AG, Bergün/Bravougn
Bauphysik: Martin Kant Bauphysik, Chur
Landschaftsarchitektur: KOLB Landschaftsarchitektur GmbH Zürich
 
Bauleitung 
Leuzinger Generalbau, Domat/Ems
René Leuzinger
 
Jahr der Fertigstellung
2019
 
Energiestandard
Nullenergiebilanzhaus (Erdsonden, Fotovoltaik, Sonnenkollektoren)
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer 
HLK-Planer: ahochn ag, Dübendorf 
Bauunternehmer: Broggi Lenatti AG, Bergün/Bravuogn
Bauingenieur: DIAG Davoser Ingenieure AG, Davos Dorf
Spezialist: Haas Glas Design AG, Zürich
Schreiner: Renato Projer, Tiefencastel
Zimmermann: Salzgeber und Co. Holzbau, Sils im Domleschg
Elektroinstallateur und -planer: Triulzi AG, Bergün/Bravuogn 
Metallbauer: Ughini Metallbau AG, Cazis GR
 
Auszeichnung
Sieger der Iconic Awards 2020 in der Kategorie Innovative Architecture
Anerkennung beim German Design Award 2021 in den Bereichen Excellent Architecture sowie Interior Architecture
«Best of Best» beim Architecture Masterprize in der Kategorie Green Architecture
Sieger beim Architecture Masterprize in den Bereichen Heritage Architecture und Restoration & Renovation
 
Fotos
Thomas Aus der Au, Winterthur

Uitgelicht project

fsp Architekten AG

Lokwerk Aufstockung Winterthur

Andere artikelen in deze categorie