Eine Terrasse, zwei Häuser, drei Generationen

Durrer Architekten
29. september 2022
Der Neubau neben dem bestehenden Wohnhaus greift die für die Region typische Wohnform des «Stöckli» auf, die heute immer mehr zur Seltenheit wird. (Foto: Markus Käch)
Herr Durrer, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Spannend und gleichzeitig herausfordernd war die Möglichkeit, in diesem Projekt eine zeitgemässe Umsetzung der in der Region verwurzelten, aber immer weniger verbreiteten Wohnform des «Stöckli» als Alterswohnung im Kreise der Familie zu finden. Spannend, weil wichtige Fragen zur Dichte, Suffizienz, Nähe und Distanz, Gemeinschaft und Eigenständigkeit sowie Zurückhaltung und Präsenz aufgeworfen wurden. Herausfordernd, weil neben den Antworten auf diese Fragen auch Anforderungen wie die Möglichkeit einer Fremdvermietung und Nutzungen wie eine Garage und gemeinsame technische Einrichtungen zu integrieren waren, die dem klassischen «Stöckli» fremd sind und nach einer passenden Form der Interpretation bewährter Typologien und Formensprachen verlangten.

Dazu kommt, dass das vormals freistehende Wohnhaus nun umringt ist von agglomerationstypischen Ein- und Mehrfamilienhäusern und die ursprünglich einem Weiler entsprechenden Siedlungsqualitäten weder ablesbar noch wiederherzustellen sind. In diesem Kontext ein eigenständiges, aber auch für die Region charakteristisches und passendes Ensemble in Kombination mit dem bestehenden Wohnhaus zu realisieren, war eine weitere Besonderheit der Bauaufgabe.

Stirnfassade; die Fensterläden zeigen eine grafische Adaption der Bauernmalerei. (Foto: Markus Käch)
Die Terrasse fungiert als Scharnier und Verbindungselement zwischen den beiden Bauten. (Foto: Markus Käch)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Wir orientieren uns in jedem Entwurf am Kontext des Ortes und den daraus resultierenden spezifischen typologischen und gestalterischen Charakteristika, jedoch soll sich ein Neubau auch seiner Entstehungszeit zuordnen lassen und darf eigene Attribute aufweisen. So ist das neue Wohnhaus in diesem Fall durch seine Positionierung, die schmale Stirnfassade, den Giebel mit tiefem First, den weissen Steinsockel und die regelmässigen Fensteröffnungen mit grünen Fensterläden als regionaltypisches «Stöckli» erkennbar. Dieses ist jedoch nicht mehr wie früher durch eine Passerelle mit dem Haupthaus verbunden, sondern durch eine offene Holz-Metall-Konstruktion, die gleichzeitig als Zugang, Unterstand sowie gemeinsam genutzte Terrasse fungiert und damit das gewünschte eigenständige Zusammenleben ermöglicht. Auch die Art und Grösse der Fensteröffnungen, die gestossene vertikale Schalung mit Sockelschürze sowie deren dunkle Farbgebung zeigen sich zeitgenössisch – Letztere reduziert ausserdem zusammen mit der mittig geknickten Grundform die Präsenz des neuen Bauvolumens gegenüber dem Bestand. 

Im Innenraum war uns wichtig, trotz des kompakten Volumens mit einfachen Mitteln wie den diagonal versetzten doppelgeschossigen Bereichen eine räumliche Reichhaltigkeit und Grosszügigkeit zu erzielen.

Die Küche ist zum Wohn- und Essbereich hin offen. (Foto: Markus Käch)
Der Wohnbereich zieht sich über zwei Geschosse. (Foto: Markus Käch)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Die Bauherrschaft, eine Familie, die plante, die Anlage aus Alt- und Neubau mit drei Generationen zu bewohnen, hat privat mit drei regionalen Büros einen Studienauftrag zur Findung der für sie passenden Planer durchgeführt und dabei die wichtigsten Parameter bezüglich Raumprogramm, Nutzungsanforderungen und Budgetvorgaben formuliert. Darin war auch bereits festgelegt, dass die erste Generation vom bestehenden Wohnhaus als Mieter in den Neubau zieht, die zweite Generation als Bauherrschaft des ganzen Projekts fungiert und zusammen mit der dritten als Nutzer den renovierten Bestandsbau übernehmen wird. Hinsichtlich räumlicher oder gestalterischer Vorgaben wurde den Planern weitgehend freie Hand gelassen, und wir haben nach dem Entscheid für unser Projekt diesbezüglich auch bis in die Umsetzung das volle Vertrauen genossen. 

Früh hat sich für uns jedoch gezeigt, dass die Bauherrschaft eine grosse Wertschätzung für die regionale Baukultur und das Handwerk hat. Und so haben wir mit unserem Vorschlag, den Neubau im leimfreien Vollholzsystem umzusetzen, offene Türen eingerannt. Diese Faktoren haben sicher dazu beigetragen, dass nun das Zusammenleben der drei Generationen wie gewünscht funktioniert und sich dabei auch alle Bewohner mit ihrem neuen Zuhause identifizieren können. 

Detail des Eingangsbereichs (Foto: Markus Käch)
Der Treppenaufgang als skulpturaler Holzkörper (Foto: Markus Käch)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Im Rahmen des Studienauftrags hatten wir bereits ein ziemlich ausgereiftes Projekt erstellt, welches die Bauherrschaft so weit überzeugt hat, dass keine grundlegenden Anpassungen mehr nötig waren. Hingegen konnten wir während der Detail- und Ausführungsplanung wichtige gestalterische Präzisierungen und Verfeinerungen anbringen, die meist ebenfalls Anklang gefunden haben, sofern sie im Rahmen des vorgegebenen Budgets umsetzbar waren. 

Im Verlauf des gemeinsamen Planungsprozesses fand die Bauherrschaft immer mehr Freude daran, sich auch auf eher ungewohnte Vorschläge einzulassen, sei es beispielsweise auf die Verwendung von Linoleum als Wandbelag in den Spritzbereichen der Duschen und Badewannen, auf mechanisch betriebene Fallläden in den stirnseitigen Rundfenstern oder auch auf eine zeitgemässe grafische Adaption der Fensterladen-Malereien, welche direkt im UV-Plot-Verfahren auf die grundierten Holzläden aufgedruckt wurden.

Eingangsbereich und Galerie bilden ein atmosphärisch reiches Raumgefüge. (Foto: Markus Käch)
Galerie über dem Eingang (Foto: Markus Käch)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Wir sind davon überzeugt, dass der Entscheid, den Neubau in Massivbauweise (Sockel in mineralisch verputztem Einsteinmauerwerk; Wände, Decken und Dach in leimfreiem Vollholzsystem) und die Oberflächen wo immer möglich naturbelassen auszuführen, ganz wesentlich zu einer spürbar besseren haptischen, akustischen, thermischen und klimatischen Raumerfahrung oder ganz einfach zu einer höheren Wohn- und Lebensqualität beiträgt. Die bewusste Wahl einer hohen Materialqualität ist aus unserer Sicht auch innerhalb eines knappen Budgets immer möglich, wenn dies früh in der Planung priorisiert und dafür beispielsweise auf unnötige Grundflächen oder gestalterische Eskapaden verzichtet wird – in jedem Fall lohnt es sich nachhaltig. 

Einen bedeutenden Teil zum erfolgreichen Gelingen des Bauwerks trugen natürlich auch motivierte und kompetente Unternehmen und ihre Handwerker bei. Wenn jene – wie in diesem Fall der Holzbauer und Schreiner – zudem noch innovativ sind und dazu bereit, sich aktiv an der Planung zu beteiligen, so ergibt sich ein Mehrwert für alle Beteiligten.

Detail im Dachgeschoss (Foto: Markus Käch)
Badezimmer im Dachgeschoss (Foto: Markus Käch)
Situation
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Dachgeschoss
Schnitt
Bauwerk
Ersatzneubau «Stöckli» Giswil
 
Standort
Mattenweg 18, 6074 Giswil
 
Nutzung
Wohnhaus
 
Auftragsart
Privater Studienauftrag
 
Bauherrschaft
Privat
 
Architektur
Durrer Architekten AG, Luzern
Projekt- und Bauleiter: Matthias Blumer
 
Fachplaner
Metallbauplaner: metallPROJEKT, Kerns 
 
Jahr der Fertigstellung
2021
  
Grafik am Bau
Studio Anderhalden, Sachseln: Zeitgenössische Adaptation traditioneller Fensterladen-Motive (Druckgrafik)
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer 
Holzbau, Schreinerarbeiten und Bodenbeläge: Küng Holzbau AG, Alpnach
Metallbauarbeiten: Huser Stahlbau AG, Kerns
Bedachungsarbeiten: von Rotz Gebäudehülle plus, Kerns
Sanitär, Heizung: Langensand AG, Alpnach
Elektroinstallationen: Elektro Kathriner AG, Giswil
Baumeisterarbeiten: Gasser Felstechnik AG, Lungern
Fenster in Holz: Schreinerei Meier AG, Zell
Linolverkleidungen Wand und Boden: Fredy Bieri AG, Schötz
 
Fotos
Markus Käch, Emmenbrücke

Uitgelicht project

VERVE Architekten GmbH SIA SWB

Zelthaus Biel-Bienne

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