Kollaboration statt Konkurrenz
Susanna Koeberle
14. 6月 2022
Auch farblich gliedert die Ausstellungsarchitektur von OFFICE Kersten Geers David Van Severen die Halle. (Foto: mit freundlicher Genehmigung der Liste Art Fair)
Die Liste Art Fair stellt auch dieses Jahr in der Messe Basel aus. Die Ausstellungsarchitektur des Büros OFFICE Kersten Geers David Van Severen basiert auf einer kreisförmigen Struktur. Sie reflektiert das Bedürfnis nach Gemeinschaft.
Kunst kann nichts gegen den Krieg tun. Aber sie ist eine mächtige Waffe gegen Gleichgültigkeit. Und hat damit indirekt einen Einfluss auf das Geschehen und die Sichtweisen rund um den Krieg. Der aktuelle Krieg in der Ukraine, der seit dem 24. Februar wütet, ist hierzulande bereits zur medialen Alltagsagenda geworden. Klar, auch wir spüren hier die Konsequenzen des Konflikts, doch angesichts der Zerstörung und des Leids machen sich Ratlosigkeit und Ohnmacht breit. Ebenso scheint der Aktivismus der Spendenaktionen abzuflauen. Wie begegnet man als Kunstmesse dem Dilemma, eine ferne Zuschauerin des grausamen Geschehens zu sein? Wie kann eine Plattform für Kunst, die in erster Linie auf Handel abzielt, für den Krieg sensibilisieren? Denn schliesslich sind auch ukrainische Kunst- und Kulturschaffende davon betroffen. Die Kunstlandkarte sieht eben je nach Blickwinkel ganz unterschiedlich aus; der Eurozentrismus blendet häufig Schauplätze an den Rändern der industrialisierten Welt aus, etwa Osteuropa. Die Kunstwelt ist gegen diesen selektiven Blick nicht gefeit, obwohl sich in den letzten Jahren diesbezüglich einiges getan hat.
Der zentrale Raum als Reminiszenz an einen geschlossenen öffentlichen Platz vermittelt symbolisch die Idee einer Messe, auf der sich Menschen treffen und austauschen. (Foto: mit freundlicher Genehmigung der Liste Art Fair)
Die Liste Art Fair steht für das Entdecken und Fördern neuer Stimmen in der zeitgenössischen Kunst. Auch an der 26. Ausgabe sind 82 Galerien aus 37 Ländern in Basel vertreten. Wie letztes Jahr erfolgt die Präsentation in der Messe Basel und nicht wie früher auf dem Gelände der ehemaligen Brauerei Warteck. Um die Voraussetzungen für ein Schutzkonzept zu erfüllen, entschied sich die Leitung der Liste, dieses Jahr erneut in einer Halle der Messe auszustellen. Zu eng und verwinkelt sind die Räume des Werkraums Warteck; und gerade der Menschenstau, der sich dort regelmässig an der Eröffnung bildet, ist nicht Pandemie-kompatibel.
Man mag dem Charme dieses Industrieareals nachtrauern, doch der neue Auftritt besticht durch architektonische und organisatorische Qualitäten, die gerade für Besucher*innen einen Mehrwert darstellen. Erfreulich ist auch, dass die Szenografie der Liste einem Architekturbüro anvertraut wurde. Die Messearchitektur stammt vom belgischen Team OFFICE Kersten Geers David Van Severen und entstand in Zusammenarbeit mit Richard Venlet. Mit dem existierenden Bestand an Messewänden entwarfen die Architekten eine kreisförmige Standarchitektur, die eine neue Besuchserfahrung ermöglicht. Der Kreis ist nicht nur ein starkes Symbol der Gemeinschaft, was den Werten der Liste entspricht, sondern er erlaubt auch eine besondere Form der Zirkulation, die Orientierung schafft. Die einzelnen Segmente signalisieren zudem Gleichheit zwischen den Teilnehmenden. In der Mitte des Kreises entsteht eine Art Platz, der für andere Präsentationen genutzt werden kann. Weitere Elemente wie Servicestände oder Bars nehmen das Motiv des Halbkreises auf und unterstützen die einheitliche Wirkung des Entwurfs.
Die Architekten haben auch das Mobiliar entworfen. (Foto: mit freundlicher Genehmigung der Liste Art Fair)
Trotz einer gut besuchten Preview am Montag waren Gespräche mit den Ausstellenden möglich, ohne dass ein Gefühl der Hektik oder Enge entstand. Und man vergass als Besucherin, dass man sich eigentlich in einer Kunst-Shoppingmall befand; die aber eben auch etwas bewirken will. Als Signal der Solidarität und als Zeichen gegen Russlands Invasion in die Ukraine haben Galerien, Kurator*innen und das Liste-Team Projekte zur Unterstützung der Ukrainer*innen und insbesondere der Kunstszene ins Leben gerufen. «Über drei Monate nach Kriegsbeginn empfinden wir es als wichtiger denn je, den Menschen eine Sichtbarkeit zu geben, die in ihrem eigenen Land keine Möglichkeit mehr zum Ausstellen haben», so das Liste-Team.
Die Liste hat dieses Jahr zwei Galerien speziell eingeladen, auf der Messe auszustellen: The Naked Room und Voloshyn aus der Ukraine. Während in ihrem Land Krieg herrscht, soll ihnen die Gelegenheit geboten werden, ihre Künstler*innen international präsentieren zu können. Zudem beauftragte die Liste die Kuratorin Martha Kirszenbaum in Zusammenarbeit mit Oleksandra Pogrebnyak und Daria Shevtsova vom PinchukArtCenter in Kiew, ein Filmprogramm für die Messe zu konzipieren, das ukrainische Künstler*innen und Filmemacher*innen präsentiert. Das Programm, dessen Titel einen Vers des ukrainischen Dichters Dmytro Lazutkin zitiert, unternimmt mit 19 Filmarbeiten den Versuch, die ukrainische Kultur- und Kunstszene am Vorabend des Krieges zu dokumentieren, indem es eine Vielfalt von Standpunkten und persönlichen Engagements zeigt. Viele teilnehmende Galerien aus Osteuropa reagieren mit ihren Präsentationen auf den Krieg, indem sie ukrainische Künstler*innen oder Kollektive ausstellen, namentlich die georgische Galerie LC Queisser aus Tblisi sowie die beiden rumänischen Galerien Sandwich und Suprainfinit aus Bukarest.
Die Stände wirken angenehm luftig, auch weil viele Galerien nur eine künstlerische Position ausstellen. Aufgefallen sind neben viel Malerei auch Arbeiten aus Glas und Keramik. Die Haptik und handwerkliche Anmutung dieser Werkstoffe entsprechen einem wachsenden Bedürfnis der Kunstschaffenden, sich mit den Ursprüngen der Materia prima von Kunst auseinanderzusetzen. Mit Ton zu arbeiten, kreiert eine unmittelbare Verbindung zur Erde. Zugleich reflektieren viele Werke durch ihre surreale Anmutung eine dystopische Zukunft, etwa die Installation «The Bank of Dreams» der Preisträgerin des Helvetia Kunstpreis 2021, Anita Mucolli. Die Epoche des Anthropozäns mit der damit verbundenen Ungewissheit ist zur neuen abnormalen Normalität geworden. Diese Verunsicherung übersetzen Künstler*innen in Visionen, die auf neuen Prinzipien basieren. Die Kunstwerke bieten – im Gegensatz zum Kunstmarkt als solchem – Alternativen zum ausbeuterischen Kapitalismus. Sie nehmen wiederholt auf Systeme der Natur Bezug wie die Symbiose, ein Konzept, das auf Kollaboration statt auf Konkurrenz basiert. Die Symbiogenese, also die Verschmelzung von zwei oder mehreren Organismen zu einem einzigen Organismus, als weiteres Beispiel aus der Biologie ist eine Strategie, die man wiederholt auch in der zeitgenössischen Kunst vorfindet. Das spielerische Kombinieren von Elementen, das vielen präsentierten Arbeiten eigen ist, macht jedenfalls Hoffnung. Es entlockt auf dem Rundgang durch die Stände immer wieder ein Lächeln. Das kollaborative Prinzip der Kunst erinnert auch daran, dass Krieg eine Praxis ist, die nur Verlierer*innen erzeugt.