Kulturschatz mit unsicherer Zukunft

Manuel Pestalozzi
10. juillet 2024
Der Bibliotheksbau von Mario Botta ist diskret in den Garten des Anwesens der Familie Oechslin in Einsiedeln eingebettet. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Um die 70'000 Bücher sind in der Bibliothek Werner Oechslin frei zugänglich, darunter viele Erstausgaben architekturtheoretischer Traktate – ein wunderbarer Kulturschatz, dessen Wert auf 30 bis 40 Millionen Franken geschätzt wird. Werner Oechslin hatte schon zu Studienzeiten begonnen, Bücher zu sammeln: Publikationen, die in den Universitätsbibliotheken fehlten oder nicht ausgeliehen werden durften, kauft sich der inzwischen emeritierte ETH-Professor. Ende der 1990er-Jahre gründete er die Stiftung Bibliothek Werner Oechslin und schloss einen Nutzungsvertrag mit der ETH Zürich, um seine Bücher der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seine Fachbibliothek entwickelte sich zu einem über die Schweiz hinaus bekannten Zentrum für die Forschung. Untergebracht ist sie einem von Mario Botta entworfenen Bau im Garten des Anwesens der Familie Oechslin unweit des Klosterplatzes in Einsiedeln. Der Tessiner baute in die Architektur des in Etappen zwischen 1998 und 2006 realisierten Bauwerks zahlreiche Zitate ein.

Doch nun droht dem grossartigen Ort des Wissens, Forschens und Denkens das Aus. Grund für die schlechten Nachrichten ist eine Entscheidung des Schwyzer Kantonsrats: Er hat die Zahlung des kantonalen Beitrags zu den Betriebskosten in Höhe von jährlich 600'000 Franken verweigert. Damit bringt er das gesamte Finanzierungskonzept der Bibliothek ins Wanken.

Neue Förderer gesucht

Die Entscheidung trifft die schon immer eher finanzschwache und personell dünn aufgestellte Stiftung so hart, weil ihre Übereinkunft mit den Geldgebern, nämlich dem Standortkanton Schwyz, dem Bezirk Einsiedeln, dem Bund, der ETH und der Hochschule Luzern, an die allseitige Zustimmung geknüpft ist. Springt also eine Partei ab, ist plötzlich das ganze Konstrukt infrage gestellt. Der Schwyzer Regierungsrat wies im Vorfeld der Abstimmung über den Finanzierungsantrag auf den grossen kulturellen und forschungspolitischen Wert der Bibliothek hin. Es nützte nichts: Die Ablehnung fiel mit 54 Nein- zu 40 Ja-Stimmen deutlich aus. Eine Zustimmung hätte ein qualifiziertes Mehr von 60 Ja-Stimmen erfordert.

Werner Oechslin äusserte sich gegenüber dem Einsiedler Anzeiger bitter: «Wir könnten dann allenfalls die Tätigkeit auf ein Minimum reduzieren, um dann noch eine Weile auf eine ‹Rettung› zu hoffen.» Leider wird seine Bibliothek vor Ort eher als Liebhaberei angesehen. Der Wert einer öffentlich zugänglichen Institution dieser Art bleibt vielfach unerkannt. Es ist nun abzuwarten, ob sich neue Förderer finden – vielleicht unter bücherliebenden Architektinnen und Architekten? Denn wie gesagt: Der Buchbestand ist in seiner Zusammensetzung einmalig. In unserer immer digitalisierteren Welt wäre das Ende der Bibliothek, wo man alte Bücher und wertvolle Erstausgaben noch in die Hand nehmen darf, ein beklagenswerter Verlust. Der Entscheid des Schwyzer Kantonsrats wirft ein unschönes Schlaglicht auf die Schweizer Kulturpolitik.

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