Verwobene Geschichten
Studio Bisig Rocchelli
19. Dezember 2024
Die repräsentative Seite des Hauses zur Strasse war teils noch im Originalzustand erhalten. Charakteristisch für den Bautyp sind die kleinen Fenster, hinter denen sich die Stuben befinden. (Foto: Maurin Bisig)
Fabian Bisig und Lucia Rocchelli haben ein 400-jähriges Walserhaus am Heinzenberg liebevoll hergerichtet. Die jungen Architekten entfernten neuere Einbauten, um die ursprüngliche Raumstruktur des Strickbaus wieder erlebbar zu machen.
Herr Bisig, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
An dem rund 400 Jahre alten Holzbau wurden in der Vergangenheit einige Eingriffe vorgenommen, die dem Bestand seine räumliche Klarheit und Struktur genommen haben. Grundsätzlich ging es darum, die chaotischen, ja schizophren Spuren der 1970er- bis 1990er-Jahre zu bereinigen und dabei die Kammerungen des Strickbaus wieder wahrnehmbar zu machen. Es war eine schöne Herausforderung, das alte Haus in roher Fassung und Klarheit zu sehen und daraus ein statisches System abzuleiten, das dem Bauwerk seine räumliche Ordnung zurückgibt. Auch war eine Klärung der Erschliessungswege nötig, die teils entkoppelt von den Kammerungen beliebig in die Räume gebaut worden waren.
Die Gebäuderückseite wurde in den 1990er-Jahren stark verändert. Doch die Eingriffe gehören unabänderlich zur Geschichte des Hauses – darum wurden sie beim Umbau gestalterisch aufgegriffen. (Foto: Maurin Bisig)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Die grösste Bereicherung war der Bestand: die Walsergeschichte, das Strickbausystem, die alten Balken, an denen die vergangene Zeit ablesbar ist. Auch die Landschaft des Heinzenbergs und im Allgemeinen die Analyse von alten Walserhäusern waren wichtig für das Projekt. Und auch das umgebaute Walserhaus im Safiental von Rudolf Olgiati war teils eine Referenz für uns.
Das Walserhaus steht auf einem Hanggrundstück und ist in zwei geteilt: Im Nordwesten zum Heinzenberg gibt es die breite, offene Weide und talseitig befindet sich die Hauptstrasse. Diese repräsentative Seite des Hauses ist teils noch in originalem Zustand mit kleinen rechteckigen Fenstern, hinter denen sich die Stuben befinden. Die Rückseite wurde in den 1990er-Jahren mit Betonfundament und anderen Fensterproportionen erheblich verändert. Diesen unumstösslichen Teil der Geschichte des Hauses nahmen wir auf und modernisierten es weiter mit einer bereinigten Laube und grösseren Fensterflächen, welche die zwei Seiten des Tals auch im Innenraum stärker spürbar machen.
Im Gebäudeinneren ist die ursprüngliche Kammerstruktur wieder erlebbar. Dafür bauten die Architekten neuere, zuweilen unglückliche Eingriffe zurück. (Foto: Maurin Bisig)
Die Erschliessung wurde im Zuge des Umbaus neu organisiert. (Foto: Maurin Bisig)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Wir liessen uns für die Entwurfsphase länger Zeit, um das Haus zunächst eingehend zu analysieren. Das gab uns die Möglichkeit, vom Gebäude zu lernen und die Eingriffe der Vergangenheit zu verstehen. Aber früh war klar, dass wir möglichst wieder zum ursprünglichen Bestand zurückgehen und mit punktuellen moderneren Elementen im Haus eine gewisse Spannung erzeugen würden.
Im Haus sind verschiedene Zeitschichten miteinander verwoben. (Foto: Maurin Bisig)
Beim Umbau kam nur Holz aus einer örtlichen Sägerei zum Einsatz. (Foto: Maurin Bisig)
Blick ins Badezimmer (Foto: Maurin Bisig)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Von Tendenzen würden ich nicht sprechen, sondern einfach von aktuellen Themen wie zum Beispiel dem Bauen mit lokalem Vollholz: Eine alte Strickbauwand wurde mit Altholz von einem Stallumbau im nahen Flerden erweitert. Sämtliches Holz kam von einer lokalen Sägerei, das Täfer musste Schweizer Fichte sein, und die Fenster wurden im Albulatal gefertigt.
Das alte Eternit konnte durch langlebiges Zinkblech ersetzt werden. Mit unserer Gestaltung streben wir nach einer gewissen Zeitlosigkeit: Das Haus soll für die nächsten 400 Jahre stehen bleiben.
Das Projekt gewinnt seine Kraft auch aus dem Aufeinandertreffen alter und neuer Bauteile. (Foto: Maurin Bisig)
Situation (© Studio Bisig Rocchelli)
Grundriss Obergeschoss (© Studio Bisig Rocchelli)
Grundriss Dachgeschoss (© Studio Bisig Rocchelli)
Schnitt (© Studio Bisig Rocchelli)
Walserhaus Paschget
Standort
Paschget 1, 7428 Tschappina
Nutzung
Ferienhaus, Einfamilienhaus
Vergabe
Direktauftrag
Bauherrschaft
Privat
Architektur
Studio Bisig Rocchelli gmbh, Trin
Fabian Bisig
Fachplaner
Holzbau Ingenieur: Walter Bieler AG, Chur
Fertigstellung
2024
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 0.34 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 0.33 Mio.
Gebäudevolumen
527 m3 (gemäss SIA 416)
Kubikmeterpreis
CHF 645/m3
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Zimmermann und Innenausbau: Mani Holzbau GmbH, Andeer
Schreiner: Schreinerei Mani Anton, Andeer
Spengler und Sanitär: K.Burkhardt+Sohn AG, Thusis
Elektriker: Elektro Banzer AG, Thusis
Fotos
Maurin Bisig