Standbein, Spielbein
Lando Rossmaier Architekten
22. août 2019
Der Neubau am Kolinplatz scheint schon lange dort zu stehen. (Foto: Rasmus Norlander)
Vor einiger Zeit ist ein Haus am Kolinplatz in der Altstadt von Zug abgebrannt. Lando Rossmaier hat den Wettbewerb um die Gestaltung des Ersatzneubaus gewonnen. Heute leben im neuen Haus, das der Stadt gehört, elf Student*innen. Der Architekt beantwortet unsere Fragen.
Ort Kolinplatz, 6300 Zug
Nutzung Café und Verkaufsladen im Erdgeschoss, zwei Duplex-Wohnungen in den Obergeschossen
Auftragsart offener Wettbewerb, 2011
Bauherrschaft Stadt Zug
Architektur Lando Rossmaier Architekten AG, Ennenda GL: Martina Maurer (Projektleitung), Aysu Gümüstekin, Andreas Fankhauser (beide während des Bauprojekts), Sebastién Werlen (Wettbewerb)
Fachplaner Bauingenieur: Moos Bauingenieure, Zug | HLKS: Abicht AG, Baar | Elektroplanung: Hefti Hess Martignoni, Baar | Bauphysik: Raumanzug, Zürich
Bauleitung Widmer und Partner, Zug
Jahr der Fertigstellung 2017
Gesamtkosten BKP 1–9 CHF 4.12 Mio.
Gebäudekosten BKP 2 CHF 3.51 Mio.
Kubikmeterpreis 1'085 CHF/m3
Fotos Rasmus Norlander, Zürich und Stockholm
Der Innenhof ist neu passierbar. Bald wird man gemütlich im Schatten der Baumkronen sitzen können. (Foto: Rasmus Norlander)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Es war ein offener Wettbewerb für eine kleine Aufgabe in der Altstadt. Ohne den Wettbewerbsgewinn wäre es wohl nie zu unserer Bürogründung gekommen. Ein toller Einstieg für mich als «Beginner». Ungewöhnlich war auch, den Entwurf eher passieren zu lassen als gestalterisch stark zu lenken. Meine Vorlieben hielt ich also zurück, obwohl ich anfänglich frei und kontrastreich herangehen wollte. Einige Kolleg*innen hatten das schon beim vorhergehenden Wettbewerb für ein öffentliches Amtshaus in der Stadt versucht. Die Gemeindeversammlung aber stoppte das Projekt. «Unpassend», so hiess es. Uns wurde klar, dass wir die «Ikonografie» der Altstadt an diesem Ort und für dieses einfache Wohnprogramm nicht wegen der «Ikonografie» eines Einzelbaus schmälern wollten. Das fiel uns allerdings nicht leicht.
In der zweigeschossigen Essküche – rechterhand geht es auf die Dachterrasse. (Foto: Rasmus Norlander)
Vorpatinierte Dachziegel und scheckiges Eternit nehmen die Patina vorweg. (Foto: Rasmus Norlander)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?Zum einen beschäftigten mich damals die Qualitäten der Zürcher Baumeisterhäuser, zum anderen die zu der Zeit frischen Schnitt- und Grundrissfiguren von Knapkiewicz Fickert. Hängen blieb mir auch ein Ausspruch des damaligen Denkmalpflegers von Zug: «Sie müssen hier nichts entwerfen. Es ist alles schon da.» Mir war früh klar: Der Bau sollte möglichst klein bleiben, traufständig, eher geduckt und superdicht im Inneren. Entworfen hatte ich Haus und Hof wie gewohnt mit Skizzen – und in 3D, ohne Modell. Sämtliche Bauteile waren dabei halbtransparent geschaltet. Das Haus wirkte auf dem Bildschirm wie aus Rauchglas. Dieser Kniff ermöglichte erst die komplexen Raumverschachtelungen zu entwickeln.
Das Haus vermittelt zwischen den drei Geschossen in der Gasse oberhalb und der tieferen Traufhöhe des Friedensrichterhauses nebenan. Dieses hatte eine schöne Gaube in Dachmitte, mit einem Flaschenzug für Lasten. So entstand meine Ecklukarne mit den überhohen WG-Küchen. Den Eingang zur Beiz setzte ich dann als Kontrapunkt. Das Haus sollte locker stehen: Standbein, Spielbein. Den Hof machten wir mit einem Gässlein besser zugänglich. Die Stuben und WG-Büros liegen hier zum Innenhof. Den Rest füllen kleine Zimmer. Ich hatte vermutlich meine eigene Studienzeit im Kopf. In Dresden wohnten wir bis zum Vordiplom in prächtigen, doch heruntergekommenen Bürgerhäusern. So eindrückliche Räume mit grossem Atem kannte ich bisher nicht. Es ging mir daher wohl irgendwie um zwar differenzierte, vor allem aber konstruktiv und geschmacklich dauerhafte Räume.
Das Geländer der Brüstung lässt sich verschieben. (Foto: Rasmus Norlander)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?Ein erkenntnisreicher Moment war, als die Bauherrschaft sofort versuchte Dinge aus dem Wettbewerb infrage zu stellen: Das Treppenhaus verschieben, die Gasse erweitern oder verlegen. Man kennt das. Es war aber nicht mehr möglich. Mir wird ja mitunter vorgeworfen, ich ginge mit meinen Wettbewerbsbeiträgen zu weit. Vermutlich gewinne ich deswegen auch selten bis nie. Hier zahlte es sich aber für einmal aus, so dicht und abschliessend zu entwerfen. Mein Beitrag war so unverrückbar gewoben, dass ich ihn unverändert und damit sehr stetig umsetzen konnte. Schade allerdings: Das Bistro im Erdgeschoss durfte ich nicht entwerfen.
Wir machen manchmal Witze über unsere letzten beiden Bauten in Zug und Unterägeri. Sie sind ja keine aussergewöhnlichen oder prototypische Architekturen, sondern einfach Häuser unter anderen – zumindest auf den ersten Blick. Anonyme Bauten ohne Autorschaft. Das gefiel uns. Vielleicht sind viele Dinge – der geschlämmte Beton etwa – für den Kenner sichtbar, für Laien aber ist es einfach nur ein gutes Haus. Es interessierte uns, wie weit man gehen kann. Weg von der Erfindung, weg von der starken Idee hin zum Gebauten. Wir fanden diese Sichtweise spannend, obwohl wir etwas anderes gelernt hatten. Bei unseren aktuellen Projekten kehren wir die Sichtweise wieder um. Dort gilt es mit dem Entwurf die Umgebung umzuwidmen. Vermutlich bleibt das aber eher die Ausnahme. Viele Ortschaften sind ja gebaut. Wir versuchten das Gute zu erkennen und das Hinderliche aus dem Weg zu räumen.