Hoch über dem Limmatknie
Michael Meier und Marius Hug Architekten
6. juillet 2023
Blick auf die Fassade mit grossformatigen Faserzementplatten und Fenstern aus Aluminium (Foto: Markus Bertschi)
Michael Meier und Marius Hug Architekten haben in Baden vier Industriebauten aus den 1950er-Jahren zu Wohnhäusern umgebaut. Marius Hug und Caroline Bock erläutern, welche Eingriffe sie dabei an den Bestandsbauten vornahmen.
Frau Bock, Herr Hug, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Die ehemaligen Industriebauten aus dem Jahr 1959 waren sanierungsbedürftig, und der vormalige Besitzer, die ABB, hatte weder Eigenbedarf noch Interesse an einer weiterführenden Vermietung. Also wurde das aus vier Pavillons bestehende Ensemble an die Schweizerische Immobilien Gesellschaft (SIG) verkauft und zu Eigentumswohnungen umgenutzt.
Sicht auf den Wohnhof, wo die Betonmauer an die steile Böschung zur Limmat hinab grenzt. (Foto: Markus Bertschi)
Foto: Markus Bertschi
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?
Eine Enfilade aus Sottoportegos, öffentliche Durchwegungen im Erdgeschoss, die das Rückgrat der vier Volumen bildet und die Erschliessung anbindet, ist der Kern des Entwurfs. In den grosszügigen Wohnungen setzt sich das Thema der Enfilade fort und die statisch notwendigen Eingriffe an den betonierten Kassettendecken manifestieren sich in Form von massiven, raumgliedernder Stützen und Wohnungstrennwände. Neu liegen die Treppenhäuser jeweils im Innern der Gebäude und steifen die von effizientem Materialeinsatz geprägte Substanz aus.
Wohnung mit Rippendecken und Ausblick über die Limmat hinweg zu den umliegenden Hügeln und dem Geissberg (Foto: Roman Keller)
Essbereich mit Loggia (Foto: Roman Keller)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Die horizontale Gliederung der Fassaden mit geschlossenen Brüstungsbändern und filigranen Fensterbändern spiegelt die dahinterliegende Struktur der massiven Brüstungen mit dem engen Raster der Fassadenstützen wider. Die frei spannenden Rippendecken ermöglichen eine flexible und offene Grundrissgestaltung sowie die situative Unterscheidung von fünf spezifischen Wohnungstypologien. Eine durchgehende lichte Raumhöhe von etwa drei Metern und der dadurch erhöhte Lichteinfall relativieren die mangelnde Belichtung aufgrund der geringen Gebäudeabstände.
Die Gestaltung des Aussenraums basiert unterdessen auf der reizvollen Gegenüberstellung von Stadtraum, Garten- und Naturlandschaft des Limmatraums.
Ausblick von der Loggia mit textilen Ausstellmarkisen auf das ABB-Areal (Foto: Roman Keller)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?
Der Entwurfsprozess war gekennzeichnet von einer grossen Auslegeordnung. Bereits für den Wettbewerb wurden unterschiedliche Strategien untersucht. Es wurden Ersatzneubauten, Umbaustrategien und Erweiterungen geprüft. Auch die Rückmeldungen der Stadtbildkommission von Baden hatten entscheidenden Einfluss auf die städtebauliche Setzung und den Umgang mit der bestehenden Substanz.
Foto: Roman Keller
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Auf der Basis eines Gesamtleistungswettbewerbs wurden in mehreren Überarbeitungsschritten unterschiedliche Umbaustrategien für die Pavillons an der Römerstrasse geprüft. Dabei kristallisierten sich zwei mögliche Umbauszenarien heraus – Umnutzung und Anbau –, die in einer Zwischenstufe detailliert ausgearbeitet wurden. Die Variante eines Anbaus mit gezieltem Auffüllen der Zwischenräume zwischen den Pavillons hätte das Erscheinungsbild der bestehenden Gewerbebauten stark beeinflusst. In den weiteren Zwischenbesprechungen wurde letztlich die Variante einer Umnutzung als die städtebaulich adäquate Lösung eingeschätzt und weiterverfolgt.
Foto: Roman Keller
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?
Die Auseinandersetzung mit bestehender Bausubstanz, insbesondere im innerstädtischen Kontext, wird zentral in unserer Arbeit. Ersatzneubauten werden heute – und das ist berechtigt – stark hinterfragt. Der Wert der Substanz ist zentral, und die bestehenden Rohbaustrukturen bilden eine reichhaltige Ausgangslage für Erweiterungen und Umnutzungen bestehender Bauten.
Erdgeschosswohnung mit Überhöhe (Foto: Roman Keller)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Die Aufrechterhaltung der Rohbaustruktur ist per se eine nachhaltige Strategie. Alle Aspekte der Nachhaltigkeit sind zweifellos wesentliche Parameter architektonischer Entwicklungen und stehen als Fragestellung am Anfang heutiger Entwurfsaufgaben.
Die hinterlüftete Konstruktion mit den vorgehängten Eternit-Platten war für die Erarbeitung des architektonischen Ausdrucks zentral. Gemeinsam mit den Ausstellmarkisen und den schräg gestellten Verkleidungen ist ein wohnlicher Charakter in den einstigen Industriebauten entstanden.
Hoch über dem Limmatknie (Foto: Markus Bertschi)
Schwarzplan (© Michael Meier und Marius Hug Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© Michael Meier und Marius Hug Architekten)
Grundriss Regelgeschoss (© Michael Meier und Marius Hug Architekten)
Schnitt (© Michael Meier und Marius Hug Architekten)
Römerstrasse Baden
Standort
Römerstrasse 36 a–h, 5400 Baden
Nutzung
Eigentumswohnungen
Auftragsart
Wettbewerb
Bauherrschaft
Schweizerische Gesellschaft für Immobilien AG, Zürich
Architektur
Michael Meier und Marius Hug Architekten, Zürich
Marius Hug, Michael Meier, Viola Richard (Projektleitung Vorprojekt), Caroline Bock (Projektleitung Bauprojekt bis Fertigstellung), Pavo Andelic, Carlos Garcia, Monika Godlewska, Stephanie Klein, Matthias Marbes, Laura Micheli, Jamila Scotoni und Marine Wyssbrod
Fachplaner
Generalplanung: befair partners AG, Zürich
Landschaftsarchitekt: Müller Illien Landschaftsarchitekten GmbH, Zürich
Bauingenieur: Construktur AG, Baden
HLK- und Sanitär-Planung: Concept-G AG, Winterthur
Elektro-Planung: HKG Engineering AG, Baden
Bauphysik: Durable Planung und Beratung GmbH, Zürich
Brandschutz: Proteq GmbH, Schaffhausen
Bauleitung
befair partners AG, Zürich
Fertigstellung
2023
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 50.4 Mio.
Gebäudekosten BKP 2
CHF 39.8 Mio.
Gebäudevolumen
62'872 m3
Kubikmeterpreis
630 CHF/m3
Energiestandard
Minergie
Fotos
Markus Bertschi und Roman Keller, beide Zürich