Grosszügig, kompakt und aus lokalem Holz gebaut – das Schulhaus Martin-Haffter

Isler Gysel Architekten
2. février 2023
Blick von Nordosten: Das neue Schulhaus steht auf einem weitläufigen und naturnah gestalteten Grundstück. (Foto: Ladina Bischof)
Herr Gysel, Herr Isler, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Manuel Gysel: In der Schweiz werden die räumlichen Bedürfnisse für den Primarschulunterricht von Ort zu Ort sehr unterschiedlich interpretiert. Die architektonische Vielfalt eines auf den ersten Blick standardisierten und allseits bekannten Programms interessiert uns. Je nach Gewichtung der pädagogischen Konzepte entstehen sehr unterschiedliche und innovative Typologien, die wie bei kaum einer anderen Bauaufgabe in fruchtbarer Konkurrenz zueinander stehen. 

Das Vordach und die Fassadengliederung zeichnen die Schule als öffentliches Gebäude aus. (Foto: Ladina Bischof)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


Dominik Isler: Ausschlaggebend für die Wahl des Konzepts bis hin zur Materialisierung war – so banal das zurückblickend tönen mag – der Entscheid, den Neubau auf das Notspital zu stellen, das in 1970er-Jahren errichtet worden war. Die Räumlichkeiten basieren auf einer statischen Struktur mit einem Raster von 5 mal 7,5 Metern. Zwei rund 35 Quadratmeter grosse Kammern ergeben ein Klassenzimmer, eine Kammer entspricht der Grösse eines Gruppenraumes. Entstanden ist ein rund 44 mal 44 Meter grosses, enorm kompaktes Gebäude mit minimalen Erschliessungsflächen und vielfältigen Sichtbezügen über alle Geschosse hinweg. Der Entscheid für einen Holzbau erfolgte ebenfalls im Wettbewerb aufgrund der begrenzten Belastbarkeit des bestehenden Fundaments.

Zwei Atrien bringen Licht in die Tiefe des Raumes und schaffen Grosszügigkeit im Innern. (Foto: Ladina Bischof)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


MG: Das überaus weitläufige Schulareal ist von unterschiedlichen Bauten und Anlagen umgeben. Einfamilienhäuser, Industrieanlagen, eine Tankstelle und eine vielbefahrene Durchgangsstrasse bilden die Nachbarschaft. Der dreigeschossige Holzbau mit dem grossen Vordach zeigt sich selbstbewusst als öffentlicher Bau. Das Schulhaus wirkt mit seiner klar gegliederten Fassade sowohl aus der Nähe als auch aus der Ferne. 

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


DI: Die wesentlichen Weichenstellungen wurden im offen und anonym durchgeführten Wettbewerb vorgenommen. Die Bauherrschaft hatte die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Vorschlägen das ihr am geeignetsten erscheinende Konzept auszuwählen. Danach konnte das Projekt ohne grössere Wendungen zügig umgesetzt werden. 

Die innere Organisation besteht aus Jahrgangsclustern, die je aus zwei zusammenschaltbaren Klassenzimmern und Gruppenräumen mit einer dazugehörigen frei bespielbaren Garderobe aufgebaut sind. Im Erdgeschoss, im Zentrum des Hauses, liegt die mehrfach nutzbare und im Schulalltag offene Aula, welche über die beiden verglasten Atrien belichtet wird. Diese Gestaltung wurde von Beginn an gut aufgenommen. Die holzbauspezifischen strukturellen Vorgaben haben zusätzlich geholfen, das Projekt in allen Planungsphasen «zusammenzuhalten».

Die Rippendecken aus Holz strukturieren die Klassenzimmer und machen die Konstruktion sichtbar. Auf diesem Bild ist der Werkraum im Erdgeschoss zu sehen. (Foto: Ladina Bischof)
Dank des über zwei Meter breiten Vordachs altert die unbehandelte Fassade aus Fichtenholz sehr regelmässig. (Foto: Ladina Bischof)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


MG: Das Projekt spiegelt ein Stück weit die momentane Tendenz zu immer grösseren und kompakteren Schulhäusern wider. Dank der Kompaktheit konnte der Wechsel von den energetischen Minimalanforderungen zu Minergie-P ohne jegliche Projektänderungen erfolgen. Angesichts der aktuellen Debatte um eine umfassender gedachte Nachhaltigkeit spielt wiederum der Holzbau seine Rolle: Bei der Erstellung konnte durch ihn viel CO2 und graue Energie eingespart werden. Und dank der Weiter- beziehungsweise Wiederverwendung des Notspitals kommt das Schulhaus ohne neues (betoniertes) Untergeschoss und ohne eigenes Fundament aus. 

DI: Die Stadt Weinfelden besitzt viel Wald. Damit ergab es sich fast von selbst, das Haus aus einheimischem Holz, also ohne weite Transportwege, zu realisieren. So wurden das gesamte Konstruktionsholz und das Material für die Schalung der Fassade im Umfeld von wenigen Kilometern beschafft, verarbeitet und montiert. Die Idee, möglichst lokale Ressourcen zu verwenden, brachte nebst dem Nachhaltigkeitsgedanken ebenso ein hohes Identifikationspotenzial. So hatten die Weinfelder Schüler die einmalige Gelegenheit, den Materialfluss für das neue Schulhaus 1:1 mitzuverfolgen. Vom Holzschlag im Wald, über die Arbeit in der Sägerei bis zur Vorfabrikation und der anschliessenden Aufrichtung der Wandelemente wurden die Produktionsetappen vor Ort konkret erlebbar. 

Der Situationsplan zeigt die überaus grosszügige Schulanlage mit dem Kindergarten im Norden und dem Schulhaus im Süden. Dazwischen liegt der naturnah gestaltete Pausenplatz.
Erdgeschoss: Die Aula ist im Schulalltag offen und wird als Pausenhalle und Begegnungsraum genutzt. 
Die beiden Obergeschosse beherbergen je vier identische Jahrgangscluster mit jeweils zwei Klassenzimmern und Gruppenräumen. Im Zentrum befinden sich jeweils die Bibliothek und ein Multifunktionsraum.
Querschnitt durch die abgesenkte und über die beiden Lichthöfe belichtete Aula in der Mitte des Schulhauses; darunter liegt das bestehende Notspital. 
Standort
Schulhaus Martin-Haffter
 
Standort
Giessenweg 10, 8570 Weinfelden
 
Nutzung
Primarschule
 
Auftragsart
Wettbewerb im offenen Verfahren 2017, 1. Preis
 
Bauherrschaft
Primarschulbehörde Weinfelden
 
Architektur
Isler Gysel Architekten, Zürich
Mitarbeit: Thomas Misik (Projektleitung), Teresa Villa, Alex Protopappas, Claudia Lehmann (Wettbewerb)
 
Fachplaner 
Holzbauingenieur, Bauphysik, Akustik und Brandschutz: Pirmin Jung Schweiz AG, Sargans
Bauingenieur: Rolf Soller AG, Kreuzlingen
Elektroingenieur: Bühler + Scherler AG, St. Gallen
HLKKS: Amstein&Walthert, Frauenfeld
Landschaftsarchitektur: WMG Gartenarchitektur GmbH, Kreuzlingen
Signaletik: TGG, St. Gallen
 
Bauleitung
Implenia Schweiz AG, Frauenfeld (Totalunternehmer)
 
Fertigstellung
2021 
 
Gesamtkosten BKP 1–9
CHF 26.1 Mio.
 
Gebäudekosten BKP 2
CHF 23.0 Mio.
 
Gebäudevolumen
24'200 m3 (SIA 416)
 
Kubikmeterpreis
920 CHF/m3 (BKP2)
 
Energiestandard 
Minergie-P
 
Fotos
Ladina Bischof, Arbon

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