Hörsaalgebäude Weichenbauhalle, vonRoll-Areal
Gelenk und Kaleidoskop
16. junio 2011
giuliani.hönger haben kürzlich ein Hörsaalgebäude in Bern fertiggestellt. Lorenzo Giuliani und Christian Hönger wählen drei Zeichnungen und drei Fotos und beantworten unsere fünf Fragen.
Aussenansicht
Was hat Sie an der Bauaufgabe am meisten interessiert?
Die Transformation eines Industrieareals in ein Hochschulareal ist eine aktuelle und anregende Aufgabenstellung. Unser Beitrag geht aus einem Architekturwettbewerb im Juni 2004 als Sieger aus 71 Projekten hervor und beinhaltet die Konzeption eines Gebäudeensembles aus bestehenden Bauten und Neubauten in ihrer bedingten Unterschiedlichkeit und ihrer beabsichtigten Verwandtschaft. Durch die Einlagerung neuer Nutzungen in bestehende Strukturen kann der Bestand denkmalpflegerisch geschützt und gleichzeitig langfristig belebt werden. Erster Baustein ist der Umbau der ehemaligen Weichenbauhalle in ein Hörsaalzentrum. Trotz des umfänglichen Raumprogrammes und den komplexen Anforderungen mit sieben Hörsälen für 1'500 Studierende soll der Gesamtraum der Halle erfahrbar bleiben und eine einprägsame räumliche Antwort gefunden werden.
Situation vonRoll-Areal
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Über den Erhalt wird die Geschichte des ursprünglichen Industrieareals bewahrt, über die Transformation zu einer Denkfabrik wird sie öffentlich zugänglich. Die differenten Massstäbe des Ortes steigern die räumlichen Qualitäten des Aussenraumes. Eine innere Durchwegung des Gesamtareals lässt den Campus als räumliches Ganzes erfahren und bezieht die Öffentlichkeit ins Innere der Gebäudes mit ein. Der Foyerraum im Hörsaalzentrum wird als durchlässiger Beziehungs-, Interaktions- und Begegnungsraum zum Zeichen einer internationalen Bildungsinstitution.
Foyerraum
Haben aktuelle gesellschaftliche Veränderungen, die Bauträgerschaft oder die Bedürfnisse der späteren NutzerInnen den Entwurf entscheidend beeinflusst?
Die Abwanderung der Industrie ist ein gesellschaftlich prägendes Phänomen.
Mit der Vision 3012 und der Idee einer Stadtuniversität haben die Bildungsinstitutionen eine schlüssige Antwort gefunden, indem sich die Areale der Öffentlichkeit öffnen und die Bildung zum Teil in bestehende Gebäude einlagern können. Die beiden Bildungsinstitutionen Pädagogische Hochschule und Universität Bern haben für das neue Zentrum mit der Charta vonRoll Leitlinien (z.B. Setzen von Standards in den Themen Architektur, Betriebskonzeption und Nachhaltigkeit) aufgesetzt. Gleichzeitig waren natürlich belichtete Hörsäle und begegnungsaktive Erschliessungsräume erwünscht. Das Amt für Grundstücke und Gebäude Bern AGG hat schon im Wettbewerb die Vorgaben MinergieECO, Systemtrennung, Flexibilität und Design to cost gemacht. Mit der Aufführung der Weichenbauhalle im Inventar schützenswerter Bauten war eine intensive Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege sinnvoll und fruchtbar.
Grundriss Erdgeschoss
Wie bezieht sich das Bauwerk auf Eure anderen Entwürfe und gliedert es sich in die Reihe Eurer Werke?
Unsere Projekte bilden Massanzüge für Ort, Gebrauch und Raumstimmung. Sie zeichnen sich spezifisch durch gleichwertige Qualitäten von Figur und Grund, einfache Grundrisse und komplexe Schnitte sowie eingängige Raumfiguren aus. Durch die plastische Verformung der beiden Einbauten – der Körper des grossen Hörsaals ist im Erdgeschoss eingeschnitten, der zweite Einbau ist auf einer oberen Ebene ausgeschnitten und begehbar – verzahnen sich die Leere der Aufenthaltsbereiche mit der Masse der Einbauten. Die räumlichen Qualitäten entstehen oft über die im Raumprogramm nicht bestellten Nutzungen – den Erschliessungsräumen. Zwischen integral erhaltener Aussenwand, bestehender Dachträgerstruktur und neuer Hülle entstehen spannungsvolle Foyerräume mit Zwischenklima für Aufenthalt, Erschliessung und Begegnung.
Längsschnitt
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Die Fülle der angesprochenen Vorgaben haben zum einfachen Haus-im-Haus-Prinzip geführt. Das beheizte und künstlich gelüftete Volumen wird auf das Minimum beschränkt. Der klimatische Pufferraum zwischen gedämmten Volumen und Aussenhülle wird mit der Abwärme des Gesamtareals auf maximal 15°C temperiert. Der mehrdeutige Innenraum ist zugleich Foyerraum, als auch nach innen verlegter Stadtraum. Durch die eingelagerten Einbauten ist er nicht mehr auf einen Blick, sondern erst durch die Bewegung erfahrbar. Über die Tageslichtöffnungen ergeben sich Durchblicke zwischen Hörsaal und Foyer wie von aussen durch die Innenräume hindurch, was vielfältige Raumbeziehungen erzeugt. Dank ihnen entsteht eine Art Kaleidoskop, welches sich im Auge des Betrachters zu einem Verbund von alter und neuer Räumlichkeit zusammensetzt. Die Einbauten in Holzelementbauweise sind komplett reversibel – der Urzustand der Halle kann einfach wiederhergestellt werden. Die eingesetzten ökologischen Materialien sind einfach trenn- und recyclierbar, altern gut und erzeugen eine angenehme Atmosphäre und eine gute Raumluftqualität. Alle sichtbaren Materialien haben einen industriellen Charakter und schaffen einen Dialog zur bestehenden Gebäudehülle.
Wir freuen uns über Ihre Anregungen und Kritiken!
Blick von der Galerie
Hörsaalgebäude Weichenbauhalle, vonRoll-Areal
2010
Bern BE
Bauherrschaft
Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern
Auftragserteilung
Offener Wettbewerb
Architektur
giuliani.hönger, Zürich - Lorenzo Giuliani, Christian Hönger
Projektteam: Julia Koch (Projektleitung ab '08), Gabriele Oesterle (Projektleitung bis '08), Bianca Hohl, Caroline Schönauer
Fachplaner
Baumanagement: b+p baurealisation, Zürich
Bauingenieur: Dr. Schwartz Consulting, Zug
Holzbauingenieure: Walter Bieler, Bonaduz
Landschaftsarchitektur: Hager, Zürich
Gebäudetechnik: Amstein + Walthert, Bern
Fassadenplanung: gkp fassadentechnik, Aadorf
Bauphysik/Akustik: Bakus Bauphysik, Zürich
Beratung Minergie ECO: Bau- und Umweltchemie, Zürich
Brandschutz: Makiol + Wiederkehr, Beinwil am See
Beleuchtung: Vogt & Partner, Winterthur
AV-Planung: Kilchenmann, Kehrsatz-Bern
Bauleitung
Eberhart Bauleitungen, Bern
Kunst-am-Bau
Jun Yang, Wien
Neontafeln im Foyer
Energiestandard
Minergie, Eco
Auszeichnung
SIA Umsicht 11, best architects 11
Fotos
Walter Mair (Abb. 1+3), Karin Gauch, Fabien Schwartz (Abb. 6)