Die Hässlichkeit für Profis
Manuel Pestalozzi
27. August 2018
Nur an den längsten Tagen des Jahres fällt etwas Sonnenlicht auf die Schauseite des Bogens. Bild: www.sbb.ch
Bei der Hässlichkeit in der Architektur herrscht – wie bei der Schönheit – oft Uneinigkeit. Geht es um Luzern, so kommt der alte Torbogen des Bahnhofs bei Profis auf die vorderen Ränge.
Schön, hässlich – solche Werturteile müssen aus dem Bauch kommen. Und sie ertragen eigentlich keine langfädigen Erklärungen. Dennoch sind die ein Medienthema. Dann müssen sie in Worte gefasst werden. Das Onlinemagazin «zentralplus» hat die Frage nach dem «hässlichsten Gebäudes der Stadt Luzern» den Profis gestellt, die da sind: Stadtarchitekt Jürg Rehsteiner, Gerold Kunz, Denkmalpfleger des Kantons Nidwalden und gelegentlicher Gastautor bei Swiss Architects, sowie Marc Syfrig, einst Scheitlin Syfrig Architekten und jetzt Betreiber eines eigenen kleinen Büros.
Zahlreiche Vorschläge haben die drei der Publikation eingereicht. «Dass es sich dabei um Parkhäuser und Einkaufstempel handelt, ist – zumindest für den Laien – nicht überraschend», schreibt dazu der Autor Claudio Birnstiel. Zu seinem offensichtlichen Erstaunen war unter den genannten Projekten auch ein Bau, der jedem Kind bekannt sei: der Torbogen auf Luzerns Bahnhofplatz. Die publizierte Begründung der Profis bezieht sich eigentlich weniger auf sein Erscheinungsbild als auf seine Existenz schlechthin. Gerold Kunz urteilt, der Bogen sei «nicht mehr als das Recycling eines Bauteils des alten Luzerner Bahnhofs.» Dieser brannte 1971 weitgehend ab und machte einem Ersatzneubau Platz. Kunz nennt den Bogen einen «Megaunfall». Die Wiederverwertung sehen die drei Profis offenbar als eine Verramschung eines an sich schönen Platzes – und als Symbol für die Postmoderne, die damals Ansehen genoss.
Die Rückseite zeichnet die Konturen des Bogens nach. Ihre Wirkung als Portal zur Stadt ist vernachlässigbar. Bild: www.voralpen-express.ch
Für Marc Syfrig dokumentiert der Bogen ein falsches Verständnis für die Postmoderne, auch wenn er anerkennt, dass man mit diesem Wideraufbau über die Tragödie des Verlusts des alten Bahnhofs hinwegtrösten wollte. Und schliesslich stellt das Fragment auch ein kurioses technisch/ästhetisches «Ei des Kolumbus» dar. Lange hatte man sich nämlich mit der Gestaltung der Entlüftung der Tiefgarage herumgeschlagen. Dass man diese in die Tor-Rekonstruktion (die näher beim Seeufer steht als im Originalzustand) integrieren konnte, fand man damals offenbar eine absolut geniale Idee. Vom Ausgang des Bahnhofs her präsentiert sich der Bogen mit seiner Verkleidung aus rechteckigen Steinplatten denn auch ziemlich grobschlächtig.
Jetzt sollte die Trauerzeit für den alten Bahnhof eigentlich vorbei sein. Da sich viele Luzernerinnen und Luzerner sich heute gar nicht mehr an den alten Bahnhof erinnern könnten, geschweige denn wüssten, dass es ihn einst gab, meint der Autor des Beitrage. Sie seien sich der Bedeutung des Torbogens für das damalige Luzern gar nicht wirklich bewusst. Die drei Profis gehen davon aus, dass spätestens bei der Realisierung des Luzerner Tiefbahnhofes das letzte Stündchen des Bogens schlägt. Insbesondere Rehsteiner und Syfrig sind gemäss Artikel überzeugt, dass sich danach wohl kaum jemand für den Erhalt und Wiederaufbau des Bogens einsetzen wird. Wer darauf Wetten abschliessen will, kann es ja tun.