Heim versus Klinik
atelier ww
13. June 2019
Eingangsbereich mit Piazzetta (Foto: Paul Trummer)
atelier ww haben gemeinsam mit der Bau-Data AG und matt architekten ein Pflegeheim in Mauren in Liechtenstein fertiggestellt. Axel Beck und Pascal Gmür stellen sich unseren Fragen.
Ort Gänsenbach 17, Mauren (LI)
Auftragsart Projektwettbewerb, 1. Rang
Bauherrschaft Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe (LAK)
Architektur atelier ww, Zürich: Axel Beck (Gestalterische Leitung), Pascal Gmür (Projektleitung), Tobias Auch, Tanja Bee, Thomas Huber, Michael Frey, Angel Pontes, Fabian Stocker, Nathalie Vergères, Anja Widderich
Bauleitung matt architekten gmbh, Mauren (LI)
Kostenplanung Bau-Data AG, Schaan (LI)
Fachplaner Bauingenieur: Ingenieurbüro Ferdy Kaiser AG, Mauren (LI) | Elektroingenieur: Marquart Elektroplanung + Beratung, Vaduz (LI) | HLKK / MSRL-Ingenieur: ARGE Batliner & Hasler AG und ringtec, Eschen (LI) | Sanitäringenieur: A. Vogt Gebäudetechnik AG, Vaduz (LI) | Bauphysiker, Akustiker, Lichtplaner: Lenum AG, Vaduz (LI) | Brandschutzplaner: Balzer Ingenieure für Gebäudetechnik und Brandschutz, Chur | Fassadenplaner: Xylo AG, Schaan (LI) | Landschaftsarchitekt: Planungsbüro Wegmüller, Klosters
Massgeblich beteiligte Unternehmen Baumeister: Wilhelm Büchel AG, Gamprin (LI) | Elektriker: Ender Elektrik AG, Ruggell (LI) | Lüftung: ASAG Lüftung Klima Energietechnik AG, Buchs | Sanitär: Batliner Th. Anstalt, Eschen (LI) | Holzbau: Franz Hasler AG, Bendern (LI) | Metallbauer: Hilti Glasbau, Schaan (LI) und Marxer Metallbau, Schaanwald (LI) | Trockenbau: Gstöhl AG, Eschen (LI) | Schreiner - Raumin AG, Ruggell (LI)
Jahr der Fertigstellung 2018
Fotos Lucas Peters (Innenraumbilder), Paul Trummer (Aussenraumbilder)
Ansicht von Südwesten (Foto: Paul Trummer)
Eingangssituation (Foto: Paul Trummer)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?Ein Pflegeheim zu entwerfen und zu planen ist eine sehr persönliche und auch emotionale Aufgabe, da die Frage nach einem würdevollen Altern jeden von uns einmal betreffen wird. Bei dieser Aufgabe gilt es, sich mit dem menschlichen Massstab vor allem in ethisch-kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht auseinanderzusetzen. Wir hielten uns an die Prämisse, dass ein Pflegeheim ein lebendiger Ort sein soll, an dem man gerne zu Hause ist, wo man angemessen und würdevoll lebt. Darum ist ein Heim ganz entschieden keine Klinik. Sämtliche typologischen, programmatischen und architektonischen Entscheidungen bis hin zu Fragestellungen der Materialisierung wurden im Entwurfsprozess vor diesem Hintergrund beantwortet.
Foyer (Foto: Lucas Peters)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?Programmatisch betrachtet ist das Pflegeheim mit einem Dorf vergleichbar, ausgerichtet auf die Bewohner*innen, deren ganze Welt dieser Ort oftmals ist. Es gibt daher Wege und Rundläufe, Ecken und Nischen zum Verweilen, Plätze und Ausblicke sowie eine Kapelle und eine Beiz. Beim Entwerfen haben wir den Gedanken einer Stadtmorphologie mit den funktionalen Anforderungen überlagert, sodass unter optimalen pflegerischen Bedingungen ein immer neu zu entdeckender und doch heimeliger Ort entstanden ist.
Die Gebäudeform basiert auf der Typologie der «Kompakten Acht». Zwei zentrale Atrien werden jeweils zu zwei Seiten von Funktionsräumen flankiert, sodass eine Belichtung auch in der Gebäudetiefe möglich ist. Es entstehen Durchblicke, Räume zum Verweilen und Begegnungszonen sowie ein Angebot an qualitätsvollen Rundlauf-Möglichkeiten. Zentral sind die gemeinschaftlich genutzten Infrastrukturen positioniert, sodass ein funktionaler Kreuzungspunkt aus Eingang, Cafeteria, Mehrzweckraum, Kapelle und Verwaltung entsteht.
Umlauf und Innenhof (Foto: Lucas Peters)
Lichthof (Foto: Lucas Peters)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?Das Ortsbild ist durch eine typisch ländliche Dorfstruktur mit Scheunen und Holzbauten geprägt, die ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundets vor allem durch mineralische Putzbauten unterhalb des Ortskernes ergänzt wurden. Der Entwurf versucht die kontextuellen Themen typologisch und konstruktiv aufzugreifen und dabei neue Interpretationen zu leisten. So lehnt sich das Gebäude vor allem in seiner Materialisierung bei regionalen Vorbildern an. Die ländlichen Spitz-, Walm- und Satteldachbauten werden charakterisiert durch hölzerne, vertikale Stülpschalungen. Die unbehandelte Holzfassade unseres Baus wird im Laufe der Zeit altern und Patina ansetzen; ihre Farbe wird sich verändern. So wird sich das heute noch homogene Erscheinungsbild allmählich wandeln.
Das Grundstück befindet sich unterhalb des am Hang gelegenen Ortskerns von Mauren, sodass das Gebäude Teil des Panoramas der Talebene wird. Es war uns sehr wichtig, dass es sich gerade vom Dorf her besehen hinsichtlich Geschossigkeit, Dachform, Materialität und Volumetrie harmonisch und wie selbstverständlich in seine Umgebung einfügt, trotz des beträchtlichen Raumprogramms und der Grösse zu erstellenden Volumens.
Die Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe (LAK) hat eigens für dieses Bauvorhaben eine Expertenkommission gebildet, die vor und besonders während der Planungs- und Realisierungsphase Hand in Hand mit den Planern zusammengearbeitet hat, um optimale betriebliche und pflegerische Abläufe zu garantieren. Ein präzis erarbeitetes Pflichtenheft half uns bereits in der Wettbewerbsphase, viele der betrieblichen Fragestellungen und Anforderungen in den Entwurf einzuarbeiten.
Während der Planungsphase wurden die Erfahrungen, Anforderungen und Nutzerwünsche dann in themen- und bereichsübergreifenden Workshops behandelt und ins Projekt aufgenommen. Einerseits konnte dieses dadurch mit nur wenigen Anpassungen gegenüber dem Wettbewerbsentwurf umgesetzt werden, andererseits war es so möglich, den engen Kosten- und Terminrahmen ohne Weiteres einzuhalten.
Kapelle (Foto: Lucas Peters)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?Für unser Büro ist das Projekt vor allem deshalb wichtig, weil es das erste ist, dass nach einem bürointernen Generationenwechsel und in neuer Teamstruktur entstanden ist. Es steht für einen Wendepunkt und ist quasi das Erstlingswerk eines jungen und zugleich erfahrenen Büros.
Das Projekt gliedert sich insofern in die Reihe unserer Bauten ein, als dass wir jede Entwurfsaufgabe als einzigartig und neue Herausforderung betrachten, an deren Anfang eine ausgiebige Analyse der Anforderungen und des Ortes sowie eine Recherche zu typologischen und semantischen Referenzen steht.
Treppenhaus (Visualisierung: atelier ww)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?Mit Sicherheit ist hier die horizontal gestaffelte Holzfassade hervorzuheben, die auch hinsichtlich der Massstäblichkeit des Gebäudes als identitätsstiftend gewertet werden kann; mindestens ebenso jedoch auch der Mut und die architektonische Weitsicht der Bauherrschaft, das unbehandelte Material Holz als solches und die Veränderungen seines Erscheinungsbildes über die Zeit als konzeptionelle und materielle Qualität zu verstehen und mitzutragen.