MFH La Contenta
Palladianische Interessen
16. Juni 2016
Aita Flury hat kürzlich ein Mehrfamilienhaus in Domat/Ems fertiggestellt. Die Architektin stellt sich unseren Fragen.
Strassenfassade mit bewegter Dachsilhouette
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?
Der Entwurf für das MFH La Contenta stand nebst finanzieller Limitiertheit unter Druck von Schrägdachvorschriften (Kernzone) in Kombination mit heutigen Aussenraumansprüchen. Auf einer praktisch quadratischen Parzelle galt es, ein beachtliches, viergeschossiges Volumen mit einem Fussabdruck von rund 300 m2 in einen historischen Kontext von um ein Vielfaches kleinere, kubische Solitärbauten einzubinden.
Gartenfassade: Frontale zum Park
Fassadenschild Hauptfassade und Seitenfassade
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Das 2015 fertiggestellte MFH La Contenta in Domat/Ems spielt nicht nur in seinem Namen auf Palladios La Malcontenta an (Villa Foscari Malcontenta di Gambarare di Mira (Ve)): Der Entwurf des Mehrfamilienhauses in Domat/Ems wurde wesentlich von räumlichen Anliegen an- und umgetrieben, die aus der zeitgleichen Beschäftigung mit Palladios Werk herrühren. Es handelt sich dabei um Baukörperfragen, Fragen der Verzahnung von Innen und Aussen, Fassadenthemen, aber auch um Überlegungen zur Austarierung der Räume im Innern.
Details Gartenfassade
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Palladios Villen reagieren auf ihre Umgebung stets mit Fassaden, die seitenabhängig und kontextuell radikal unterschiedlich behandelt werden. Die Hierarchisierung der Gebäudeseiten wird beim Mehrfamilienhaus La Contenta mittels repräsentativer «Fassadenschilder» zum Strassen- und Parkraum hin realisiert. Darin überwiegen die Öffnungen gegenüber den geschlossenen Wandanteilen klar. Horizontale und vertikale Flächen sind miteinander zu einem Raster verwoben. Um den Höhentrieb des eher gedrungenen Volumens zu unterstützen, werden die Horizontalen heruntergespielt, während die Vertikalen lisenenartig nach oben ziehen. Den grossen Öffnungen sind auf einer zweiten Tiefenebene Felder aus «gefütterten» Backsteinen eingeschrieben.
Verzahnung Innen- und Aussenraum
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Architektur wird als Sammlung von Elementen, von architektonischen Mitteln, verstanden, die über die Zeiten hinweg immer wieder vorkommen und stets leicht variiert werden. Dabei agieren die Prinzipien von Nähe und Distanz in absoluter Gleichzeitigkeit, Kontinuität und Veränderung sind eng miteinander verschränkt. Ganz in diesem Sinne ordnet sich das Gebäude ins eigene Werk ein.
Die Bretterschalung des Treppenhauses erinnert an das abgebrochene Stallgebäude
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Das Gebäude musste Minergie-zertifiziert werden, da die Gemeinde diese Bedingung im Baugesetz verankert hat. Alle gestalterisch-konstruktiven Entscheidungen verfolgten die Absicht, die dadurch kostenmässig unumgängliche Aussenwärmedämmung wegzuspiegeln und dem Haus zu optischer Solidität zu verhelfen.
Das Dachtragwerk ist direkt erfahrbar
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?
Die sekundierenden Akustikklinker-Ornamente verringern den Öffnungsgrad und führen eine weitere, vertikalisierende Gliederungsebene ein. Mit ihren planerisch gnadenlosen Abmessungen von 24cm/24cm/3cm werden sie zum bestimmenden «Modulor» und setzen die Stockwerke in Beziehung zueinander. Sie tauchen im Weiteren überall dort auf, wo der Mensch mit dem Gebäude aussen in taktile Berührung kommen kann. Durch ihre Dimensionen wirken sie optisch solid – nichtsdestotrotz verweisen die Kreuzfugen aber auf die heutige Zeit, in welcher leider geklebt und nicht im Verband gemauert wird.
Situation
Grundriss 1. Obergeschoss
Axonometrie Tragwerk
MFH La Contenta
2015
Domat/Ems GR
Auftragsart
Direktauftrag
Bauherrschaft
La Contenta AG, Scuol
Architektur
Aita Flury Architektin, Zürich
Mitarbeit: Konrad Braun
Fachplaner
Conzett Bronzini und Partner Ingenieure, Chur
Kapa Heizung Lüftung Sanitär, Bad Ragaz
Gesamtkosten
CHF 5,3 Mio.
Energiestandard
Minergie
Fotos
Ralph Feiner, Malans