Neubau Institute für Pathologie und Rechtsmedizin, Kantonsspital St. Gallen
Lichtspiel trifft Schnellschnitt
8. September 2011
Silvia Gmür Reto Gmür Architekten haben kürzlich einen Laborbau in St. Gallen fertiggestellt. Reto Gmür wählt drei Zeichnungen und drei Fotos und beantwortet unsere sechs Fragen.
Aussenansicht
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?
Die Inspiration des Entwurfes hat das Medium des Lichtes geliefert und ist ausschlaggebend für den ganzen Entwurf. Das Licht wird reflektiert, gefiltert, geführt. Sowohl von aussen wie auch vom Kern aus wird das Haus vom Licht durchdrungen, Glasbänder in den Wänden lassen es in die Tiefe strömen, Oberlichter leiten das Licht über alle Geschosse nach unten.
Situationsplan Kantonsspital
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Der Neubau liegt an einem Schnittpunkt zwischen dem Wohnquartier St. Fieden und einem Gebiet mit den grossen öffentlichen Gebäuden in St. Gallen, dem Kantonsspital und der OLMA. Diese beiden Quartiere haben zwei leicht unterschiedliche geometrische Orientierungen der Bebauungen. Das Projekt setzt als Quadrat einen durchlässigen Endpunkt des Spitalareals, das Gebäude will nicht gegen aussen abriegeln sondern verbindet räumlich die beiden Quartiere. Es nimmt die vorhandenen Richtungen auf: Die Obergeschosse richten sich nach den angrenzenden Bebauungen von St. Fieden, während das Untergeschoss ein dazu verdrehtes Quadrat darstellt, das die Ausrichtung des Spitals übernimmt. Dadurch entstehen auf zwei Seiten versenkte Gärten, die das erste Untergeschoss belichten.
Eingang mit Licht aus dem Kernbereich
Inwiefern haben die Bauträgerschaft oder die späteren NutzerInnen den Entwurf beeinflusst?
Nicht primär die Bauherrschaft, aber die Nutzungen haben uns beeinflusst. Eine Pathologie zu bauen war mit einem speziellen Gefühl verbunden, wir haben jedoch schnell gelernt, dass die Autopsien nur den kleinsten Teil der Räumlichkeiten und Tätigkeiten ausmachen. Das Ziel war von Anfang an, dass alle Bereiche in einer guten Lichtsituation arbeiten können; so sind die reich bepflanzten versenkten Gärten für die Sektionsbereiche entstanden.
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?
Die Fassade entstand Schritt für Schritt im Laufe des Projektes. Wir haben uns bewusst gegen eine Beschattung mit aussenliegenden Lamellenstoren entschieden. Es scheint mir absurd, Räume beim Sonnenschein von der Aussenwelt mit Storen abzuschotten. Aus einer einfachen Fassade mit Bandfenstern im Wettbewerb wurde ein komplexes, energetisch optimiertes Fassadensystem. Die äusseren Sonnenflügel aus Aluminium dienen der Beschattung der Innenräume. Sie wurden anhand verschiedener Simulationen entwickelt, die Form ist ein Resultat der Funktion; Ort, Orientierung, Lage, Beschattung, Lichteinfall und Energieeinfall sind zusammen mit den architektonischen Grundsätzen Erzeuger der Form.
Grundriss 2. OG Laborgeschoss
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?
Das Büro versucht, in den aktuellen Projekten gängige Labor- und Spitalbautypologien zu hinterfragen und neue räumliche Ansätze zu finden. Was sind die Nachteile von Standardtypologien in diesen Bereichen und wie kann eine solche Typologie alternativ und zeitgemäss aussehen, welche Räume und Abläufe sollen idealerweise entstehen? Die Typologien sollen mit der Struktur und dem Licht in ein logisches Verhältnis gebracht werden. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen. Dies ist ein konstanter Entwicklungsprozess, den wir von Projekt zu Projekt weiter verfolgen.
Südfassade und Schnitt durch den Hof
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?
Vermutlich sind wenige Architekten so schlecht über das aktuelle Zeitgeschehen informiert wie ich. Meine Inspirationen kommen nicht aus aktuellen Hochglanzmagazinen, sondern aus dem riesigen Reichtum der Architekturgeschichte. So ist die Fassade von indischen Architekturen oder von Bauten von Le Corbusier inspiriert. Die aktuellen energetischen Tendenzen sind hingegen sehr wichtig, der Architekt trägt eine hohe soziale Verantwortung. Der Neubau soll das meines Wissens erste Minergie-Eco Laborgebäude der Schweiz werden; es wird im Sommer durch die Erdregister gekühlt und im Winter durch Wärmepumpen und Erdsonden geheizt.
Wir freuen uns über Ihre Anregungen und Kritiken!
Laborraum
Neubau Institute für Pathologie und Rechtsmedizin, Kantonsspital St. Gallen
2010
St. Gallen SG
Auftragsart
Wettbewerb
Bauherrschaft
Hochbauamt des Kantons St. Gallen
Architektur
Silvia Gmür Reto Gmür Architekten, Basel
Projektleitung: Reto Gmür
Planungsleitung: Linda Becker
Mitarbeit: Minh Thai, Kasia Maksel, Florian Pischetsrieder, Fabian Früh
Fachplaner
HLKK-Planung: Dr. Eicher + Pauli AG, Liestal
ZPF Ingenieure, Basel
Elektroplaner: IBG Graf AG, St. Gallen
Sanitärplanung: Gemperle Kussmann, Basel
Fassadeningenieur: PPEngineering, Basel
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Baumeister: Stutz AG, St. Gallen
Fassade: Diralsa AG, Neuenhof
Innenwände aus Metall: Maars Schweiz AG, Reinach
Bauleitung
Walter Dietsche Baumanagement AG, Chur
Gebäudekosten BKP 2
CHF 34.7 Mio (Stand KV, Schlussabrechnung noch nicht abgeschlossen)
Gebäudevolumen
43'022m3 nach SIA 416
Kubikmeterpreis
806 CHF/m2 (Stand KV)
Energiestandard
Minergie-Eco
Kunst am Bau
Lori Hersberger, Zürich
Neoninstallation 'Process' im Treppenhaus
Auszeichnung
Best architects 2011
Fotos
Hélène Binet, London