Roboterkunst

Susanna Koeberle
19. 十二月 2019
Zwei Versionen einer «Zeichnung» nach einem Motiv von Yves Netzhammer, ausgeführt von einem zeichnenden Roboter des Instituts für Technologie in der Architektur der ETH Zürich (Foto: Michael Lyrenmann © Yves Netzhammer / Gramazio Kohler Research, ETH Zürich)

Die Arbeit des Schweizer Künstlers Yves Netzhammer ist auf subtile Weise verstörend. Seine meist gesichtslosen und mit wenigen Linien gezeichneten, gleichsam abstrahierten Figuren – häufig filmisch animiert – lösen ein Unwohlsein aus und erscheinen zugleich seltsam vertraut. Sie lassen auf jeden Fall nicht kalt. Es ist, als ob man beim Betrachten dieser sich stets wandelnden Bildwelten dem kleinen Funken Geist nachspüren könnte, der irgendwoher und unvermittelt aus diesen puppenartigen Kreaturen oder Mischwesen leuchtet und pulsiert. Schnell stellt sich die Assoziation zu Robotern ein. Verwandt scheinen Netzhammers ambivalente Wesen etwa mit den Cyborgs aus den beiden Science-Fiction-Animes «Ghost in the Shell» von Mamoru Oshii (1994/2005). Dort geht es vereinfacht gesagt um die Grenze zwischen Mensch und Maschine. Das Thema ist alt, doch heute besonders aktuell. Der technische Fortschritt realisiert in fast beängstigender Geschwindigkeit viele Phantasien und Visionen das Verhältnis von Maschine und Mensch betreffend. Stichwort künstliche Intelligenz (KI) – ein Thema, das mittlerweile auch im Feuilleton verhandelt wird. KI soll ja bestimmte Entscheidungsstrukturen des Menschen nachbilden. Also auch unsere Kreativität? Kann ein Roboter kreativ sein? Wie viel menschgemachte «Information» braucht eine Maschine, um selber «Kunst» herzustellen? Wer ist Autor*in? Wer hat die Deutungshoheit zu entschieden, wann etwas Kunst ist? Die Gänsefüsschen deuten das Dilemma an. Wir verlieren uns in ungenauen Definitionen, beziehungsweise werden sie unmöglich. Willkommen im Reich der Spekulation! Im Reich der Kunst?

Foto: Michael Lyrenmann © Yves Netzhammer / Gramazio Kohler Research, ETH Zürich
Der Faden als Motiv

Nun ja, es gibt da auch bei den exakten Wissenschaften nicht wenige dunkle Felder, das macht ja Forschung erst richtig spannend. Manchmal liegen eben Kunst und Wissenschaft gar nicht so weit auseinander – und können durchaus voneinander profitieren. Auf einen solchen Austausch, der immer auch ein Wagnis darstellt, liessen sich der Künstler Yves Netzhammer (*1970) und die Professur für Architektur und digitale Fabrikation ein. Schnell wurde klar, dass der Faden eine wichtige Rolle spielen sollte. Einerseits tritt das Material wiederholt in den Bildwelten des Künstlers auf, andererseits greifen die Architekturprofessoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler bei ihrer Forschung ebenfalls auf Geflechte aus Schnur, Garn oder Faser zurück. Netzhammer selber arbeitet beim Herstellen seiner Kunst am Computer. Seine digitalen «Zeichnungen» basieren auf feinen Linien, welche in die 3D-Welt übersetzt als Faden dargestellt werden können. 

In der raumgreifenden Installation kommen zwei Roboter zum Einsatz, die sonst in der Forschung verwendet werden. Petrus Aejmelaeus-Lindström, Doktorand bei Gramazio Kohler Research, hat zusammen mit Nicolas Feihl diese Maschinen um neue Funktionen erweitert und für sie ein eigenes neues Werkzeug entwickelt. Beim Betreten des Ausstellungsraumes der graphischen Sammlung empfängt die Besucherin ein merkwürdiges Surren. Dieses Geräusch stammt von den beiden Robotern, die an der Decke hängend jeweils einen Faden legen. Dies tun sie in doppelter Hinsicht. Einerseits erfolgt dieses «Legen» von oben, der Roboter «zeichnet» mit dem Faden auf einer schwarzen Fläche eine Spur (kleine visuelle Stütze: etwa so wie beim Anrichten von Vermicelle). Die Zeichnung erfolgt nach Vorgabe des Künstlers. Beim Legen dieser Spur spielt die Schwerkraft eine zentrale Rolle. Die Zeichnung entsteht als Folge des langsam fallenden Fadens. Die gleichförmig fortschreitende Bewegung von Faden und Maschine zu beobachten, hat etwas Meditatives und mit der Zeit erscheint dieses bedächtige Auf-den-Boden-sinken-lassen durch den Roboter fast als liebevolle Geste. 

19 «Zeichnungen» nach Motiven von Yves Netzhammer wurden von den Robotern erstellt. (Foto: Jesús Medina Ibáñez © Yves Netzhammer / Gramazio Kohler Research, ETH Zürich)

Die andere Bewegung der Apparaturen geschieht gegen die Schwerkraft nach oben: Parallel zur runden Fläche befindet sich auf einigen Metern Höhe ein kreisförmiger Draht, an den die Maschinen mit dem Faden nach algorithmisch errechneten Mustern eine Maschenstruktur anbringen. Fast sieht es so aus, als würde die Maschine Wäsche auf eine Wäscheleine aufhängen. Kraft der Gravitation verschiebt sich das Maschengebilde mit der Zeit etwas nach unten und verändert sich so fortlaufend. Es entsteht eine prekäre Balance. Die Roboter sind auf fünf Abläufe programmiert, die abwechselnd drei Zeichnungen von Netzhammer erstellen und anschliessend wieder an der Maschenstruktur im Raum arbeiten. Die Kombination von physikalischer Kraft, künstlerischer Idee und ausführender Apparatur hat etwas von einer körperlosen Tanzperformance. Das Körperliche wird auf eine Geste reduziert und wirkt dadurch als gespenstische Präsenz nach. Dass die Bewegung aus einer Maschine stammt, ist brisant und regt zum Nachdenken an über unser eigenes Verhältnis zum physischen Dasein. Indem die Gravitation abstrahiert wird – also auch behauptet, wie der Titel der Installation andeutet –, wird sie erst erfahrbar gemacht. Ich werde an eine Aussage der Künstlerin Marion Baruch erinnert, welche in einem Gespräch die «Schwer-kraft» als poetisch bezeichnete. Die Gravitation durchdringt jedes einzelne Objekt auf dieser Erde, doch manchmal wird die Schönheit dieser Kraft erst durch die Kunst wahrnehmbar. Sie macht Unsichtbares sichtbar. Das Zwiegespräch zwischen Wissenschaft und Kunst erweist sich als anregende Annäherung an die abstrakte Welt der künstlichen Intelligenzen.

Die Ausstellung wird ergänzt durch eine erweiterte Recherche des Künstlers auf Papier. Zusammen mit dem Drucker Arno Hassler (Atelier de gravure, Moutier) beschäftigt sich Yves Netzhammer zum allerersten Mal in seinem Schaffen mit dem Tiefdruck. Aus diesen Experimenten ist eine Graphikedition hervorgegangen, die zusammen mit umfangreichem Probedruckmaterial ebenfalls in der graphischen Sammlung präsentiert wird.

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