Design über den Zaun gedacht
Susanna Koeberle
12. outubro 2023
Die Festivalzentrale befand sich in diesem Jahr im ehemaligen Hotel magdas im zweiten Wiener Bezirk. (Foto: © Vienna Design Week, yokoone)
Die Vienna Design Week stellt seit 17 Jahren die Frage, wie Design zu einer besser funktionierenden und gerechteren Welt beitragen kann. Das multidisziplinäre, sorgfältig kuratierte Festival schaut hinter die Fassade von Produkten und macht Designprozesse auch für ein breites Publikum fassbar.
Oft wird der Materialismus kritisiert, weil er eben alles «nur» an Materie und ihren Gesetzmässigkeiten misst. Doch wir seien nicht Materialist*innen genug, findet Seetal Solanki, Gründerin und Direktorin von Ma-tt-er. Das Beratungsbüro mit Sitz in London versucht Brücken zu schlagen, notabene bereits existierende. Nur, dass wir diesen in der Regel keine Beachtung schenken. Die Rede ist von unserer Beziehung zu Materialien beziehungsweise weiter gefasst zur materiellen Welt an sich. Jeder und jede von uns besteht aus Materie und nutzt täglich Dinge, die aus Materie bestehen. Hätten wir das häufiger vor Augen, würden wir vielleicht respektvoller mit den irdischen Ressourcen umgehen, glaubt Solanki. Die Designerin bezeichnet sich als «material translater» und hat etwa das Buch «Why Materials Matter» publiziert. Sie sprach an der Vienna Design Week im Rahmen der Konferenz «Design im Kreislauf», die verschiedene Fragen nachhaltiger und kreislauffähiger Gestaltung beleuchtete.
Solche Formate sind charakteristisch für das 10-tägige Festival, das sich als Austauschplattform der nationalen und internationalen Designszene versteht. Direktor Gabriel Roland redet gerne von der «agency» von Design und spricht damit die Tatsache an, dass Design eben mit allen Lebensbereichen vernetzt ist – auch jenseits des hübschen Sofas – und deswegen neue Handlungsmuster für eine besser funktionierende Welt anregen kann. «Es gibt eine Geschichte zu erzählen: Davon, wie Design die Möglichkeit hat, unsere Welt zukunftsfähig zu machen, wie es sinnvolle Beziehungen zu Produkten, Räumen und Menschen entstehen lassen kann, wie es frische Perspektiven auf Altbekanntes eröffnet – und uns tagtäglich freut», fasst er seine Vision zusammen.
Im Keller der Festivalzentrale war die Gruppenschau «The Series» zu sehen, die von Laura Houseley kuratiert wurde. (Foto: © Vienna Design Week, yokoone)
Und diese Vision wird jährlich aufs Neue eingelöst. Der wechselnde Fokusbezirk macht den Besuch der Festivalzentrale und des Festivalbezirks jeweils zu einer Entdeckungstour. Meist handelt es sich bei den Locations um Zwischennutzungen, in diesem Jahr verwandelte sich das ehemalige magdas-Hotel (ein wunderbares Projekt der Caritas der Erzdiözese Wien, das jetzt einen neuen Standort hat) unweit des Praters (ja, der legendäre Prater, inklusive Riesenrad) in das Herzstück des Festivals. Der zweite Bezirk heisst auch Leopoldstadt und war gerade für das jüdische Leben Wiens bedeutsam. Bis heute findet man in der Gegend viele Synagogen sowie jüdische Geschäfte und Restaurants. Die Architektin und gewählte Kultusrätin der Israelitischen Kultusgemeinde, Natalie Neubauer-Muzicant, führte während der Vienna Design Week zu bedeutenden Stationen quer durch den Bezirk und sensibilisierte für eine andere Perspektive auf das Quartier.
Die geführten Touren schaffen eine Einbettung des Festivals in das städtische Gewebe und sollen auch die ansässige Bevölkerung ansprechen. Das Angebot richtet sich grundsätzlich an eine sehr gemischte Klientel und ist kostenlos zugänglich. Bekannte Formate wie «Passionswege», «Stadtarbeit» oder «Urban Food & Design» und neue wie «Re:Form» (eine Kooperation zwischen OekoBusiness Wien, also dem Umwelt-Service-Programm der Stadt, und der Vienna Design Week) sowie Talks, Touren und Workshops bilden zusammen mit Beiträgen externer Partner*innen eine ausgewogene Mischung, die für Interessierte jeden Alters etwas bereithält. Oder zumindest sieht das jeweils so aus; die vielen jungen Besucher*innen, darunter auch Schulklassen, die auch gegen Ende der Vienna Design Week den Weg in die Zentrale fanden, beeindruckten und waren der handfeste Beweis für die Niederschwelligkeit des Programms. Und natürlich zogen auch die obligaten Apéros eine festfreudige Crowd an, aber Feste gehören nun mal zum Wesen von Festivals und das ist auch gut so. Auch daraus können neue Vernetzungen erwachsen.
Gestalterische Intervention von KENH Architekten am Praterstern (Foto: © Theresa Wey)
Um Vernetzungen geht es im Grunde immer im Leben. Mittlerweile (oder war das schon immer bekannt?) dürfte den Akteur*innen der Designwelt, der Architekturwelt und aller anderen Welten dämmern, dass viele heutige Probleme hausgemacht sind und deswegen vernetztes und vereintes Handeln die einzig mögliche Strategie ist, um Lösungen zu finden. Das ist schneller gesagt als getan, aber wie man weiss, gibt es für alle Veränderungen einen Anfang. Es gibt sie eben, die guten Bespiele, welche etwa Design, soziale Arbeit, Stadtentwicklung und Architektur zusammenbringen und damit etwas verändern. Bei einem geführten Rundgang am sogenannten Wiener Praterstern zeigten Eric-Emanuel Tschaikner (KENH Architekten) und Isabella Lehner-Oberndorfer, Leiterin der Abteilung Öffentlicher Raum und Sicherheit der Sucht- und Drogenkoordination Wien, wie gestalterische Interventionen in öffentlichen Räumen zur Steigerung von Aufenthaltsqualität und subjektivem Sicherheitsgefühl beitragen können.
«Lösungen» können aber auch ganz klein beginnen und im häuslichen Umfeld ihre Wirkung zeitigen, es braucht nicht zwingend grosse Gesten, um Veränderungen zu bewirken oder auch nur etwas mehr Schwung ins Leben zu bringen. Stellvertretend für all die klugen und kreativen Designlösungen, denen wir an der Vienna Design Week begegneten, seien an dieser Stelle zwei Entwürfe für den heimischen Gebrauch erwähnt. Zum einen die Möbel von MOWO Studio der Designerin Lisa Stolz: Sie stellt elastische Sitzmöbel aus Formsperrholz her, die man in verschiedenen Ausführungen haben kann. Nicht nur lassen sich aus den einfach geformten Einzelteilen verschiedene Modelle kombinieren, die Sitzenden werden zudem durch das aktive Wippen, Kippen, Schwingen und Federn zur Bewegung animiert und tragen damit zu ihrer Gesundheit bei. Denn bekanntlich ist Stillsitzen vor dem Computer ziemlich ungesund, davon kann ich ein Lied singen.
MOWO Studio, Sitzmöbel mit Schwung (Foto: © Vienna Design Week, yokoone)
Oder die wunderschönen Stücke aus der Serie «R.I.B. – Rest In Beauty» von Studio Barbara Gollackner: Die Designerin stellte aus Lagerrestposten mehrere Tischobjekte aus den unterschiedlichsten Materialien her. Womit wir wieder bei der Aufmerksamkeit für die materielle Welt wären, von der zu Beginn die Rede war. Es gibt unendlich viele wertvolle Materialien, die irgendwo in Kellern, Depots und dunklen Ecken vor sich hin gammeln. Sie schreien förmlich nach einer Verwendung. Wenn Dinge doch sprechen könnten! Das tun sie mitunter auch, aber sie sprechen eine besondere Sprache.
Studio Barbara Gollackner, Tische der Serie «R.I.B. – Rest In Beauty» (Foto: © Kathrin Gollackner, Vienna Design Week)
Und manchmal kommunizieren Dinge auch über ihre Schattenseiten: Dinge können auch Undinge sein. Etwa, wenn sie unserem reibungslosen Zusammenleben im Weg stehen; oder verstören, verärgern oder gar unförmig sind. Die Ausstellung «Unding» in den Räumlichkeiten des Kollektivs Design in Gesellschaft präsentierte, was irgendwie im Gegensatz zum Ding im nützlichen Sinne steht, und stellte sich dabei auch selbstkritisch den durchaus fragwürdigen Praktiken der Designszene. Die ausgestellten Objekte schienen in der Tat zu «sprechen». Oder waren wir das, die durch sie sprachen? Dinge und Menschen sind manchmal enger miteinander verbunden, als wir das wahr haben möchten. Sind Dinge wie wir oder werden wir wie die Dinge?
Heutzutage etwa muss Design «edgy» oder «chuncky» sein, um zu gefallen. Die Faszination für Dinge am Rande des guten Geschmacks scheint Hochblüte zu haben, schaut man sich etwa in der aktuellen Mode um. Doch wer bestimmt, was «schön» sein soll? Die gesellschaftliche Akzeptanz für das sogenannte Hässliche ist meist auch nur eine Marketingmasche. Damit werden zuweilen Objekte getarnt, die alles andere als inklusiv sind. Das führten einige Exponate ad absurdum. Das kritische und zugleich humorvolle Ausloten machte auch vor heiklen Themen wie der Unterscheidung zwischen Original und Imitation nicht halt.
Die Ausstellung «Unding» in den Räumen des Kollektivs Design in Gesellschaft (Foto: © Pierre Castignola)
Mut zu einem nonkonformen Designverständnis zeigte auch die Ausstellung «Garten» in der Galerie Rauminhalt. Die Arbeiten der vier Designschaffenden Anna Zimmermann, Bettina Willnauer, Klemens Schillinger und Lino Gasparitsch widmen sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise dem Thema Garten und seiner Symbolik. Die Werke bewegen sich zwischen Readymade und Handwerk, sie verknüpfen Design, Kunst und Alltagskultur. Der Garten erscheint nicht als idyllischer Rückzugsort, sondern als Raum, der gesellschaftliche Konventionen reflektiert. Und die kann man eben infrage stellen. Das geschieht in den Artefakten durch Material- und Formverfremdungen, die zudem auch vorführen, wie sich Gestalter*innen künstlerischer Praktiken bedienen, ohne in eine Schublade gesteckt werden zu wollen. Das Motiv des Gartens zeigt selbst, wie absurd und nutzlos Abgrenzungen meistens sind. Über den Zaun denken ist angesagt!
Anna Zimmermann, Bettina Willnauer, Klemens Schillinger und Lino Gasparitsch zeigten Arbeiten zum Thema Garten. (Foto: © L. Hilzensauer)
Bekanntes wurde verfremdet und regte dadurch zum Nachdenken an. (Foto: © L. Hilzensauer)
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