Stadtarbeit durch Design
Susanna Koeberle
17. Oktober 2019
Die Festivalzentrale der Vienna Design Week befand sich heuer in einem markanten Bau aus den 1970er-Jahren. (Foto © Vienna Design Week, Kollektiv Fischka, Maria Noisternig)
Der Designbegriff hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Vienna Design Week hat das Bewusstsein für die Relevanz von Design geschärft – gerade, was die Rolle von Gestaltung für die Stadt betrifft. Die durch sie initiierten Prozesse schaffen ein Netzwerk, das nachhaltig wirkt, auch nach Ende des Festivals.
Design widerspiegelt gesellschaftliche Prozesse. Dass dies auch im städtischen Gefüge geschieht, ist eine Einsicht, die Besucher*innen jedes Jahr (und dies schon seit 2007) während der Vienna Design Week (VDW) haben können. Das ist nicht selbstverständlich. Statt auf ein Produkte-Spektakel setzt die Vienna Design Week mit ihrem Konzept auf kuratierte Inhalte und Vernetzung – letzteres ganz bewusst auf lokaler Ebene. Nichtsdestotrotz wird mit dem wechselnden Gastland (dieses Jahr Finnland) jeweils auch die internationale Perspektive ins Spiel gebracht. Dass die Festivalzentrale jedes Mal in einer neuen Location domiziliert ist, verändert den Blick auf die Stadt und bietet auch den Einwohner*innen die Möglichkeit, ihre Stadt neu kennenzulernen. Eines der Formate, das seit den Anfängen Teil der VDW ist, sind die «Passionswege». Nationale und internationale Designer*innen werde dabei mit lokalen Manufakturen zusammengebracht und entwickeln gemeinsam ein Projekt. Das Resultat muss kein fertiges Produkt sein, vielmehr steht der Prozess an sich im Vordergrund. Es kann durchaus vorkommen, dass sich aus dieser Begegnung weitere Kollaborationen ergeben. Die «Passionswege» erweisen sich zudem häufig als Sprungbrett für die jungen Designer*innen. Die Wiener Glasmanufaktur Lobmeyr etwa ist eine Kooperationspartnerin der ersten Stunde und präsentiert jedes Jahr überraschende Resultate.
Der finnische Designer Teemu Salonen arbeitete im Rahmen der «Passionswege» mit Glas Bauer zusammen. (Foto © Vienna Design Week, Kollektiv Fischka)
Produktive ZwischennutzungenDoch in der Regel stammen die geladenen Handwerksbetriebe aus dem Fokusdistrikt. In Wien gibt es in der Stadt (noch) viele Handwerker*innen, auch wenn diese allmählich verschwinden. Gerade diese Tatsache bewog damals die drei Gründer*innen Lilli Hollein (heute noch Direktorin der VDW), Tulga Beyerle und Thomas Geisler, auf ein Format zu setzen, das den Wert solcher Institutionen für die Stadt aufzeigt. Auch wenn nicht immer alle «Paarungen» von Erfolg gekrönt sind: Der Einblick in die Werkstätten lenkt die Aufmerksamkeit auf Fertigkeiten und Haltungen (wie etwa die Möglichkeit, Dinge zu reparieren), die gerade im Zeitalter der Massenproduktion und des Konsums bitter not tun. Heuer standen Betriebe im 9. Bezirk, auch Alsergrund genannt, im Vordergrund. Auch die Festivalzentrale, ein imposanter Bau aus den 1970er-Jahren, der sich über dem Franz-Josef-Bahnhof befindet, steht in diesem Stadtteil.
Im Rahmen einer Führung durch die Architektin Marion Kuzmany (Gründerin von Arch On Tour) erfuhren Interessierte mehr über die Geschichte der diesjährigen Festivalzentrale. Der Franz-Josef-Bahnhof am Julius-Tandler-Platz wurde in der heutigen Form im Jahr 1978 eröffnet, zuvor war der alte Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert abgebrochen worden. Das Projekt ist ein Entwurf der Architektengemeinschaft rund um Karl Schwanzer und Kurt Hlaweniczka. Für die damalige Zeit war die räumliche Organisation der Wege innerhalb der Überbauung des Bahnhofs avantgardistisch. Da dieser aber zusehends an Bedeutung verlor und die im Haus untergebrachte Wirtschaftsuniversität sowie die Bank Austria auszogen, wird seit einigen Jahren über eine mögliche Neunutzung nachgedacht und diskutiert. Gegen das städtebauliche Grossprojekt regen sich allerdings Stimmen aus der Bevölkerung, so dass die Zukunft des Baus noch ungewiss ist. Das kommt der VDW gerade recht, denn sie ist jedes Jahr auf der Suche nach solchen Zwischennutzungsobjekten. Aufgrund des gigantischen Ausmasses des Bauwerks fanden die Ausstellungen nur im vorderen Teil des ersten Stockwerks statt, ein Apéro am Eröffnungsabend des Festivals gab dann doch Gelegenheit, die Sicht vom obersten Stockwerk aus zu geniessen. Der auffällige Glasbau ist eine Landmarke und erlaubt mit seinem Innenhof und den meist kleinteiligen Innenräumen verschiedene Formen der Präsentation.
Beim Format «Stadtarbeit» steht Social Design im Vordergrund. (Foto © Spekulatives Institut für soziale Interventionen, Vienna Design Week)
Die Stadt als DesignlaborDas Besondere an der Vienna Design Week ist allerdings die grossflächige Ausbreitung der unterschiedlichen Programmpunkte in der Stadt und eben nicht die Beschränkung auf eine einzige Lokalität. Die Stadt wird als Designlabor verstanden. Bestes Beispiel dafür ist das Format «Stadtarbeit», das 2009 zunächst unter dem Namen «Carte Blanche» ins Leben gerufen wurde. Auch das ist übrigens speziell: Im Laufe der Jahre hat die VDW immer wieder neue Formate entwickelt, denn Design selbst ist in stetem Wandel begriffen. Es geht den Macher*innen der VDW genau um das Herausarbeiten dieses transformativen Aspekts, was jeweils auch an die Besonderheiten der Stadt Wien gekoppelt wird. Für die «Stadtarbeit» können Gruppen im Vorfeld des Festivals über einen Open Call einen Vorschlag einreichen, der dann von einer Jury bewertet wird. Im Fokus stehen die Themen öffentlicher Raum und Social Design. Eines der fünf Projekte, die in diesem Jahr angenommen wurden, ist das «Sisi», das «spekulative Institut für soziale Interventionen».
Beim Besuch der Institutseröffnung erklärt uns ein Beteiligter das Projekt. Zuerst die Diagnose: In der Stadt fehlen Orte der Gemeinschaft. Die Antwort von «Sisi»: Die Verbindung von digitalem und konkretem Raum soll eine neue Form der Gemeinschaft schaffen. Zu diesem Zweck werden «Neue Räume der Commmons» (NRC) kreiert, nämlich digitale Datenräume, die in der Stadt verortet sind. Anwohner*innen sind dazu aufgefordert in sechs Schritten eigene NRC zu schaffen. Zuerst gilt es, einen Ort in der Stadt zu finden, der sich dafür eignet, also frei zugänglich ist. Durch das Ausfüllen eines Formulars kann der Vorschlag an das «Sisi» übermittelt werden. Nach erfolgter Zustimmung seitens des Instituts kann man dort eine sogenannte «Raumbombe» abholen, die einen NRC-Tag, ein Passwort und einen Gemeinschaftsvertrag beinhaltet. Der Tag ist die direkte Schnittstelle zwischen den User*innen und dem Datenraum. Als erste gemeinsame Handlung wird der Gemeinschaftsvertrag mit den von den Teilnehmenden festgelegten Nutzungsbedingungen des NRC in den digitalen Raum geladen, so dass andere User*innen Zugriff darauf haben. Das klingt zunächst etwas abstrakt und dürfte ältere Menschen davon abhalten, am Projekt teilzunehmen. Doch es kann auch eine Gelegenheit sein für neue Gemeinschaften und Interaktionen. Für Digital Natives gehören digitale Kommunikationsformen zum Alltag. Diese an eine bestimmte Verantwortung zu knüpfen, ist auch als Empowerment zu verstehen. Denn man muss die digitale Welt einfach «richtig» nutzen. Dann kann sie zum Instrument von neuen Beziehungen werden – und zwar auch ganz realen.
Die Galerie Rauminhalt zeigte Arbeiten von Stefan Oláh. (Foto: Rauminhalt)
Transdiziplinäre BefruchtungAnaloge Plattformen gehören immer noch zum Kern des Festivals, das ist auch gut so. Wir verbringen genug Zeit in virtuellen oder zumindest in nicht physischen Welten. Wie man physische Räume mit vernetzten Inhalten füllen kann, zeigt die Galerie Rauminhalt inmitten des Kunstgalerienviertels an der Schleifmühlgasse. Gründer Harald Bichler versteht seine Galerie als Ort, an dem unterschiedliche kulturelle Bereiche (Kunst, Architektur, Design, Fotografie) auf respektvolle Art in einen Dialog gebracht werden. Er nimmt regelmässig an der VDW teil. Das verstärkte Interesse an architektonischen Inhalten seitens des Festivals bewog ihn dazu, dieses Jahr eine besondere Fotoausstellung zu zeigen. Stefan Oláh ist ein bekannter Architekturfotograf, dessen Arbeit auf spezifische Aspekte von Architektur fokussiert. Ihn interessieren auch Unorte, die sich nicht auf den ersten Blick als Architektur lesen lassen oder die nicht zugänglich sind. Dazu gehören etwa Nuklearstationen oder Museumsdepots. Aber auch vernakuläre Bauten wie Wiener Würstelstände werden zu Objekten seiner fotografischen Recherche. Die Ausstellung versammelt unterschiedliche Werke seines Oeuvres. Diese sensibilisieren auch für die Verwandtschaft zwischen Architektur und Design. Architektur wird dadurch als Teil unseres Alltags erfahrbar gemacht.
Die Sicht auf eine Disziplin von einer «fremden» Warte aus kann durchaus zu produktiven und ungewöhnlichen Lösungen führen. Das zeigt das «Haus Wittgenstein» sehr schön. Die Architekturikone ist ein Werk des Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889–1951), der es in Zusammenarbeit mit dem Architekten Paul Engelmann entwarf. Nach der Baugenehmigung im Jahr 1926 übernahm Wittgenstein die Bauüberwachung sowie die gesamte Detailplanung. 1975 erwarb die Botschaft der Republik Bulgarien das Gebäude; seit 1977 befindet sich das bulgarische Kulturinstitut darin, so dass das «Haus Wittgenstein» in der Regel nicht immer frei zugänglich ist. Ende September war dieses eindrückliche Bauwerk im Rahmen des Tags des Denkmals zu besichtigen.
Im «Haus Wittgenstein» ist seit 1977 das bulgarische Kulturinstitut domiziliert. (Foto: Aldo Ernstbrunner via Wikimedia.org)
Bewegte GeschichteDas Haus wurde 1928 als Wohnpalais für Margarethe Stonborough-Wittgenstein (die Schwester von Wittgenstein) fertig gestellt. Diese wanderte 1940 in die USA aus, das Haus wurde danach enteignet und während des Krieges als Heereslazarett benutzt. Nach ihrer Rückkehr 1946 wurde es restituiert und von der Besitzerin bis zu ihrem Tod 1958 wieder bewohnt. Ihr Sohn verkaufte es 1971, woraufhin es beinahe abgerissen wurde, um einem Hotelhochhaus Platz zu machen. Dank eines Artikels von Bernhard Leitner, eines in New York ansässigen österreichischen Architekten, wurde die Fachwelt ausserhalb Österreichs zwar schon davor auf das Bauwerk aufmerksam, doch dem damaligen Landeskonservator schien das Haus nicht schützenswert zu sein. Erst ein internationaler Aufschrei verhinderte den Abbruch, nach langem Hin und Her wurde der Bau schliesslich unter Denkmalschutz gestellt. Wer ihn heute sieht, ist über die damalige Blindheit für die Einzigartigkeit dieser Architektur erstaunt.
Schon das Äussere mit seinen besonderen Proportionen offenbart die Durchdachtheit und Modernität des Entwurfs. Fast scheint es, als bilde das Bauwerk die Gedankenwelt des Philosophen ab. Im Inneren «verbot» Wittgenstein sowohl Vorhänge als auch Teppiche. Stattdessen entwarf er Vorhänge aus Metall, die man versenken und von unten heraufziehen konnte. Jedes Detail wurde mit grösster Akribie entworfen, von den Dimensionen der Platten des Kunststeinbodens über die Radiatoren bis hin zu den Türfallen aus Messing. Wie bei Design zeigt sich gute Architektur in der Liebe zur Gestaltung der Einzelheiten und Details. Solche kulturellen Leistungen müssen manchmal ins rechte Licht gerückt werden, um nicht in Vergessenheit zu geraten.