Wie Emil Georg Bührle das Zürcher Stadtbild mitprägte
Manuel Pestalozzi
24. março 2022
Das Hotel Storchen an der Limmat ist als nüchterner Palazzo ins bestehende Gefüge der linksufrigen Altstadt Zürichs eingepasst. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Das Erbe des Waffenproduzenten und die Stadt Zürich stehen in einem schwierigen Verhältnis zueinander. Emil Georg Bührle war nicht nur Kunstsammler, er hat auch im Antlitz Zürichs bleibende Spuren hinterlassen.
Fast denkt man an einen Spuk: Emil Georg Bührle ist seit 1924, also schon beinahe ein Jahrhundert, unablässig in Zürich präsent. Zwar verstarb er 1956, doch in der kollektiven Erinnerung lebt er weiter, lässt es poltern wie ein Geist, der ein Haus nicht in Ruhe lassen will. Manchmal poltert es so leise, dass man ihn doch beinahe vergisst. Dann aber wieder unüberhörbar laut, wie derzeit anlässlich der Provenienz-Geschichten seiner Kunstsammlung, für die sich die Stadt Zürich unter einer linksgrünen Regierung einen Prunkbau von David Chipperfield leistete. Grund für das Poltern ist stets das belastete Vermächtnis des Rüstungsindustriellen: Er produzierte und vertrieb Waffen – in den 1940er-Jahren war sein Hauptabnehmer das «Dritte Reich». Emil Georg Bührle war ein Kriegsprofiteur. Bewaffnete Konflikte machten ihn sehr reich. Und er nutzte Notlagen, die Kriege und Verfolgung verursachten, zu persönlichen Profit- und Profilierungszwecken. Während des Kalten Krieges belieferte er nicht nur beispielsweise die Vereinigten Staaten, sondern tätigte auch zahlreiche illegale Waffengeschäfte. Die Stadt Zürich profitiert von seinen Machenschaften mit – bis heute. Bührles Einfluss lässt sich in der Limmatstadt noch immer an zahlreichen Bauten erkennen.
Die Villa des verstorbenen Rüstungsindustriellen an der Zollikerstrasse 178 im Seefeld liegt hinter immergrünem Gewächs versteckt. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Wer Zürich besucht, kann sich mit der Beziehung zwischen dem Bührle-Vermächtnis und der Stadt vielfältig auseinandersetzen: etwa durch den Besuch des (umstrittenen) Dokumentationsraums in der erwähnten Kunsthaus-Erweiterung. Eine aufschlussreiche Ergänzung mögen Spaziergänge durch die Stadt sein, in der der Industrielle diverse bauliche Spuren hinterlassen hat. Die hier präsentierte kleine Auswahl hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie zeigt aber, wie vielschichtig die Beziehung ist. Der Fokus liegt dabei auf den drei Quartieren Seefeld, Altstadt-Zentrum und Oerlikon.
Wie in der wohlwollenden Kurzbiografie auf der Website buehrle.ch nachzulesen ist, übernahm der aus Pforzheim stammende Bührle 1924 die Leitung der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon und zog deswegen aus Deutschland in die Schweiz. 1937 wurde er deren alleiniger Inhaber, erwarb das Schweizer Bürgerrecht und bezog mit seiner Familie ein grosses Haus an der Zollikerstrasse 178 in Zürichs historischem Villenquartier Seefeld, beinahe in der grösstmöglichen Distanz zu seinem Industriebetrieb am anderen Ende des Stadtgebiets. Gleichzeitig gelangte das Nachbarhaus an der Zollikerstrasse 172 in den Besitz von Bührles Gattin, die ihrerseits einer deutschen Bankiersfamilie entstammte. Es wurde teilweise von den ebenfalls in die Schweiz gezogenen Eltern bewohnt und bald auch für die Lagerung von Kunstwerken genutzt. Dort wurde Bührles Kunstsammlung bis zum Umzug in den Chipperfield-Bau aufbewahrt und ausgestellt.
Die beiden Villen liegen in grossen, parkähnlichen Gärten, die ihre Ursprünge in der Gründerzeit haben und einen grösseren Beitrag zum Stadtraum leisten als die Liegenschaften selbst. Jene an der Zollikerstrasse 178 ist in ihrem Park von der Strasse aus praktisch nicht sichtbar. Städtebaulich interessant ist die Lage der beiden Parzellen direkt oberhalb des Areals der Mühle Tiefenbrunnen, einer frühen Umnutzung eines Industrieareals durch den Architekten Pierre Zoelly (1923–2003) aus den 1980er-Jahren. Steht man dort vor dem Feinschmeckerrestaurant Blaue Ente, ragen hoch über dem Pavillon des Lokals die Bäume des Parks der Bührle-Villa auf. An der Zollikerstrasse liegen die Häuser der aussergewöhnlichen Wohnüberbauung von René Haubensak (1931–2018) gegenüber. Ein weiterer Nachbar auf einem parkartigen Grundstück ist die Gazprombank Schweiz. Die beiden Bührle-Villen sind noch immer im Besitz der Familie respektive der Bührle-Stiftung.
Emil Georg Bührle war der Auftraggeber des Bleicherhofs am Bleicherweg. Der für Zürich wegweisende Bürobau des Architekten Otto Rudolf Salvisberg wurde 1940 fertiggestellt. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Bührle im ZentrumMit seiner Einbürgerung scheint auch das Interesse Bührles an der Stadt erwacht zu sein. 1938 erwarb er das Bauprojekt Hotel zum Storchen, welches den Neuaufbau eines seit dem Mittelalter bestehenden Gasthofs direkt an der Limmat und bei der Rathausbrücke zum Ziel hatte. Dieses Projekt wurde vom Architekten Erhard Gull (1895–1970), dem Sohn des einstigen Stadtbaumeisters Gustav Gull, geplant und umgesetzt – als Einpassung in den Bestand. Es konnte 1939 zur Schweizerischen Landesausstellung eröffnet werden, etwa gleichzeitig mit dem Kongresshaus. Der Ersatzneubau entstand in einer Zeit, als für Zürichs Altstadt radikale Tabula-rasa-Konzepte vorlagen. Der Architekt, fünf Jahre jünger als Bührle, betrieb in den Kriegsjahren – während seines Aktivdienstes als Oberstleutnant des 4. Armeekorps – im Maggiatal in dessen Auftrag einen landwirtschaftlichen Betrieb zur Versorgung der Arbeiter der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon. Das Hotel Storchen, heute ein eher diskretes, doch solides 5-Sterne-Haus mit 67 Zimmern und Suiten, scheint so etwas wie eine Herzensangelegenheit der Familie gewesen zu sein. Sie besitzt es nach wie vor.
Vom Hotel aus erreicht man in wenigen Schritten den Münsterhof und von dort den Paradeplatz. Von ihm führt der Bleicherweg nach Südwesten, in Richtung Bahnhof Enge und Sihltal also. Einige Meter nach der Brücke über den Schanzengraben liess Bührle in den Jahren 1939 und 1940 das Bürogebäude Bleicherhof errichten, Architekt war diesmal der ETH-Professor Otto Rudolf Salvisberg (1882–1940), der noch vor der Fertigstellung überraschend starb. Der Bleicherhof begründete einen Geschäftshaustyp, der in Zürich bis in die 1950er-Jahre wegweisend war und einen diskreten Hauch grossstädtischer Eleganz an die Limmat brachte. Für die Realisierung war der junge Bauunternehmer Ernst Göhner (1900–1971) zuständig, der später ein grosser, bisweilen umstrittener Immobilienentwickler wurde.
Die von Bührle mitfinanzierte Christuskirche der christkatholischen Kirchgemeinde steht im südöstlichen Teil des Quartiers Oerlikon an der heute stark befahrenen Dörflistrasse. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Bührle in OerlikonZürichs Quartier Oerlikon war 1924, als Bührle in die Schweiz zog, noch eine autonome Gemeinde, mithin nach Zürich und Winterthur die drittgrösste Industriestadt des Kantons. 1934 fand die Eingemeindung statt. In Oerlikon, wo sich seine Fabrik befand, hat der Industrielle ebenfalls als Mäzen und Sponsor gewirkt. So half er als aktives Mitglied der christkatholischen Kirchgemeinde bei der Finanzierung der Christuskirche, die 1942 eingeweiht werden konnte. Der bescheidene Sakralbau scheint heute aus der Zeit gefallen; er steht eigenartig entrückt auf einer kleinen Gartenparzelle an der stark befahrenen Dörflistrasse am südwestlichen Rand des Quartiers. Die Architekten waren die Gebrüder Alfred Eduard und Heinrich Oeschger, die mit dem 1932 eröffneten Schulhaus Kappeli zu den Pionieren der Schweizer Moderne zählen. Für die Christuskirche wählten sie jedoch einen eigensinnigen, sehr zurückhaltenden «Heimatstil», der mit seinen unverputzten Natursteinmauern an Gotteshäuser in den Südalpen erinnert. Bührle trug übrigens auch mit Bildern und Skulpturen zur Innenausstattung der Kirche bei.
Ein Spaziergang von der Christuskirche zur Werkzeugmaschinenfabrik führt quer durch Oerlikon, über die Gleise der Bahnlinie und an die Grenze des Quartiers Affoltern. In den Hang südlich des Fabrikareals wurde ein Wohlfahrtsgebäude eingebettet, das ebenfalls 1942 fertiggestellt wurde. Architekt war Robert Winkler, die Zeitschrift das Werk publizierte 1949 den L-förmigen Trakt, in dem sich das Personal auf mehreren Etagen verpflegen konnte. Zwischen dem Wohlfahrtsgebäude und der benachbarten Wohnbebauung legte der bekannte Landschaftsarchitekt Gustav Ammann (1885–1955) einen Park an. Mit der Umnutzung von Teilen des Fabrikareals wurde der ehemalige Wohlfahrtsgarten öffentlich zugänglich und in Gustav-Ammann-Park umbenannt. Die Anlage ist nach wie vor in privatem Besitz, wird aber im Parkverzeichnis der Stadt aufgeführt. Das Nutzungsrecht für die Bevölkerung und die Pflege durch Grün Stadt Zürich sind vertraglich geregelt. Es handelt sich um einen verborgenen Pocket-Park am Ende der Langwiesstrasse. Das Besondere: Eigentlich war der Raum viel zu klein für die Massen an Arbeitern, die den Park nutzen wollten. Also wurden unter Ausnutzung der Hanglage mehrerer Park-Etagen geschaffen. Ein verwunschenes Weglein führt quer durch die Anlage in die angrenzende Wohnsiedlung Regina-Kägi-Hof von Theo Hotz Partner Architekten.
Blick aus dem Gustav-Amman-Park auf das Areal der Werkzeugmaschinenfabrik und den angrenzenden Regina-Kägi-Hof. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Zurück ins ZentrumDie hier vorgestellten Anlagen und Bauwerke, die an das Wirken von Emil Georg Bührle erinnern, stammen allesamt aus der erstaunlich kurzen Zeitperiode zwischen 1937 und 1942. Es fällt schwer, in ihnen eine zusammenhängende Absicht zu erkennen. Dies kann man als pragmatischen, «mitfühlenden Opportunismus» im positiven Sinn werten. Es ist aber auch möglich, diese Werke als Denkmäler sehen, welche die umstrittene Persönlichkeit in Erinnerung rufen.
Zurück im Zentrum lässt sich gleich vis-à-vis von der Chipperfield-Erweiterung noch auf den Kunsthaus-Ausstellungssaal hinweisen, der ab 1944 geplant, aber erst 1958, nach Emil Georg Bührles Tod also, eröffnet wurde. Dieser radikale Annex zum Kunsthaus von Karl Moser, ein Werk der jüngeren Gebrüder Pfister aus Zürich (Kurt und Hans), hatte lange den Ruf, das mutigste architektonische Statement der Limmatstadt zu sein. Der grosse Saal im Obergeschoss ist seit jeher als Bührle-Saal bekannt, wodurch an den Stifter des Baus erinnert wird. Die Finanzierung dieses gewagten Werks, die sich Zürich notabene trotz berechtigter Zweifel am Geschäftsgebaren des Donators gefallen liess, weist jenseits des entschieden zu kritisierenden Opportunismus auf eine gestalterische Weltoffenheit hin, die Zürich insgesamt eigentlich gut ansteht.
Der von Kurt und Hans Pfister geplante und 1958 fertiggestellte Kunsthaus-Erweiterunsbau mit dem sogenannten Bührle-Saal galt lange als mutigstes architektonisches Statement der Limmatstadt. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Nach dem Erscheinen dieses Beitrags hat Professor Dr. Matthieu Leimgruber vom Historischen Seminar der Universität Zürich, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die unten stehende Übersichtskarte zur Verfügung gestellt. Professor Leimgruber hat im November 2020 den Forschungsbericht «Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus» zuhanden des Präsidialdepartements der Stadt Zürich und der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich veröffentlicht. Er lässt sich kostenlos herunterladen.
Infografik: Historisches Seminar, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich
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