Zürichs Nachtbild ist sorgfältig gestaltet

Manuel Pestalozzi
5. Dezember 2024
Am Negrellisteg unweit des Zürcher Hauptbahnhofs begann der Stadtspaziergang zum Plan Lumière. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Seine leuchtenden Handläufe erhellen den Negrellisteg, als sich drei Dutzend Interessierte dort in der Abenddämmerung zum «Lichtspaziergang» durch Zürich treffen. Sie wollen mehr erfahren über den Plan Lumière, der seit zwanzig Jahren die Beleuchtung der Limmatstadt regelt. Angeführt wird die Erkundungstour von Annette Burger. Die Architektin ist beim Amt für Städtebau als Projektleiterin für die Bewilligung von Reklame im Stadtraum zuständig. «Menschen sollen sich in der Stadt sicher fühlen und gut orientieren können. Die Beleuchtung wird auf Energieeffizienz und auf eine möglichst geringe Lichtverschmutzung geprüft», erklärt sie ihre Arbeit. «Ausserdem achten wir auch auf einen geringen Aufwand beim Unterhalt und massvolle Kosten.»

Der Plan Lumière unterteilt das Stadtgebiet in verschiedene Nutzungsräume. So gibt es beispielsweise ein eigenes Beleuchtungskonzept für das Gleisfeld des Hauptbahnhofs, für die wichtigsten Verkehrsachsen und für die Quartiere. Besondere Aufmerksamkeit wird den Stadträumen am Wasser geschenkt; nicht nur das Seebecken, die Limmat und die Sihl sind spezielle Interventionszonen, selbst für den Schanzengraben gibt es einen eigenen Beleuchtungsplan. Gemeinsam ist allen Regelungen für die Beleuchtung des Stadtraums, dass sie den Weg durch das nächtliche Zürich angenehm und sicher machen sollen.

Beim Negrellisteg ist die Beleuchtung in die Handläufe integriert. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Von dezenter Beleuchtung und Lichtkunst

Zunächst führt die Route des Stadtspaziergangs über den Negrellisteg an die Europaallee. Die Fussgängerbrücke über das Gleisfeld ist mit LED-Leuchten in den Handläufen indirekt beleuchtet. Ihr Licht wird vom Belag und dem Metallgewebe der Geländer reflektiert. Annette Burger erklärt, die Stadt Zürich nehme nicht nur bei ihren Bauten und im öffentlichen Raum Einfluss auf die Beleuchtung, sondern auch in Bewilligungsverfahren – zum Beispiel eben, wenn Leuchtreklame genehmigt werden soll. Genutzt werden dürfen dabei nur diskrete Farben. Vor allem bei Blautönen gemahnt die Stadt zur Zurückhaltung. Ganz im Sinne der Behörden ist die Beleuchtung des Negrellistegs: Sie lässt die Brück nachts in ihrer Form und Funktion deutlich erkennbar bleiben und verleiht ihr eine unverkennbare «Nachtidentität».

Weiter geht es zur nächsten Station, dem Europaplatz. Gemeinsam mit der SBB hat die Stadt Zürich hier mehrere künstlerische Lichtinstallationen ermöglicht. Grundlage ist ein kuratorischer Masterplan, der mit den Zielsetzungen des Plans Lumière in Einklang ist. Annette Burger lenkt die Aufmerksamkeit auf das Lichtkunstwerk «ALWAYS A WAY ALWAYS AWAY» der österreichischen Künstlerin Brigitte Kowanz. Die Metallstruktur mit mehrfach genickten LED-Bändern ist auf dem Dach des Gebäudes auf dem Baufeld B der Europaallee installiert. Sie flackert im Morsealphabet. Nur wer dieses beherrscht, kann den Titel des Lichtkunstwerks entziffern. Das Kunst-am-Bau-Projekt bedarf also für die meisten einer Erklärung – zugänglicher ist da die Arbeit an der Dachuntersicht des Abgangs in die Sihlquai-Passage: Das Denkmal für den einstigen Regierungsrat Hans Künzi besteht aus Leuchtkreisen, die sich unterschiedlich schnell und in verschiedene Richtungen bewegen. Gesteuert wird die Installation über ein eigens dafür geschriebenes Programm des Künstlers Carsten Höller.

Beim Abgang vom Europaplatz in die Sihlquai-Passage des Hauptbahnhofs ist eine animierte Lichtinstallation des Künstlers Carsten Höller montiert. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Die Animation (hier im Zeitraffer) lässt an die Simulation des Verkehrsflusses in einem Stellwerk denken. (Videosequenz: Manuel Pestalozzi)
Licht und Dunkelheit entlang der Limmat

Unter dem Escherdenkmal auf dem Bahnhofplatz spricht Annette Burger über die Anleuchtung von Fassaden. Der Plan Lumière regelt, dass dabei kein Licht in den Himmel oder die Fenster strahlen darf. Die Zürcher Firma Opticalight habe dafür einen speziellen Projektor entwickelt, erklärt die Architektin: Eine für den betreffenden Bau massgeschneiderte Maske steuert die Beleuchtung. Zum Einsatz kommt das System zum Beispiel beim Hotel Schweizerhof am Bahnhofplatz. Doch nicht jede Lichtsituation ist ideal: «Das Hotel Central ist eine alte Geschichte», sagt Annette Burger, während die Gruppe die Bahnhofbrücke überquert. Die Stadt hatte der Beleuchtung zugestimmt, bevor der Plan Lumière in Kraft trat. Und so trifft helles Licht aus integrierten Strahlern auf die Hotelfassade und leuchtet in den Himmel über Zürich. Etwas flussaufwärts am Limmatquai sind die Fassaden dafür nicht beleuchtet. Das ist von den Behörden so gewollt: Im oberen Limmatraum soll Licht entlang des Ufers nur zurückhaltend eingesetzt werden.

Das erste Projekt im Zuge des Plans Lumière war die Beleuchtung der Limmatbrücken zwischen Landesmuseum und Seebecken. Als Vorbild diente damals die Stadt Lyon. Zürcher Experten besuchten die französische Metropole und waren begeistert vom dortigen Umgang mit Kunstlicht. Die Idee, die Ufer von Rhone und Saône dunkel zu halten und nur die Brücken hell zu beleuchten, wurde in den Limmatraum übertragen. Roland Jéol, ein Lichtgestalter aus der «Ville des Lumières», entwickelte Beleuchtungskonzepte für mehrere Limmatbrücken an. Er sah vor, jeweils die Konstruktion hervorzuheben, sodass Form und Richtung auch eine Signalwirkung erzeugen. Bei der Walchebrücke beispielsweise wird sein Konzept seit mehr als zwanzig Jahren angewandt. Die Beleuchtung wurde auch nach der Brückensanierung in diesem Jahr beibehalten.

Die die Idee dunkler Flussräume mit erhellten Brücke stammt aus Lyon. Die Beleuchtung ist dabei in Zürich immer der Brückenkonstruktion angepasst, wie das Beispiel der Münsterbrücke zeigt. (Foto: Manuel Pestalozzi)
Dunkler Lindenhof und eine «verrutschte Maske»

Von der Schipfe führt der Spaziergang auf den Lindenhof. Auch dieser ist bewusst dunkel gehalten: Nur wenige Laternen werfen kleine Lichtkreise auf den Platz. «So kann man von diesem wichtigen Ort für Zürich die gute Sicht auf die nächtliche Stadt geniessen», kommentiert Annette Burger die Massnahme. Das Grossmünster liegt derweil im Dunkeln, es soll ebenso wie das Fraumünster demnächst eine dem Plan Lumière entsprechende Beleuchtung erhalten. St. Peter hat sie schon. Umso heller strahlen auf der anderen Flussseite die Hauptgebäude von ETH und Universität in die Nacht. Annette Burger lässt durchblicken, dass die Stadt bei diesen Bauten noch kein ihren Vorstellungen entsprechendes Beleuchtungskonzept durchsetzen konnte. Dafür entspricht die Inszenierung der hohen Stützmauer des Lindenhofs ihren Vorgaben. Das wirkt im Gesamtbild so selbstverständlich, dass man darauf hingewiesen werden muss.

Der Turm der Kirche St. Peter und die Mauer des Lindenhofs werden im Sinne des Plans Lumière sanft beleuchtet. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Die Führung endet unter dem Waldmann-Denkmal. Seitlich stehen Masten mit Leuchten, die Trottoir und Strasseraum in angenehmes Licht tauchen. Sie sind zusätzlich bestückt mit Opticalight-Projektoren, die Fraumünster und Stadthaus anstrahlen. Wer die Gegend bei Tag kennt, ist überrascht, wie diskret diese multifunktionalen Beleuchtungsvorrichtungen wirken. Das Leuchtendesign demonstriert die grossen Fortschritte in der Lichttechnik, die in den vergangenen Jahrzehnten gemacht wurden; zeitgemässe Lichtquellen haben einen bescheidenen Raumbedarf. 

Von der Münsterbrücke her wird auch die Barockfassade des Zunfthauses zur Meisen angestrahlt. Annette Burger macht auf Schattenspuren unter den Fensterbänken und helle Streifen im Sturzbereich der Öffnungen auf der rechten Fassadenseite aufmerksam. Hier sei wohl eine Projektor-Maske leicht verrutscht, meint sie augenzwinkernd. Der Plan Lumière muss also nicht nur unverdrossen durchgesetzt werden, sondern bedarf auch viel Fachwissen und Präzision in Umsetzung und Unterhalt.

Wahrscheinlich wegen einer verrutschten Projektor-Maske leuchtet die Fassade des Zunfthauses zur Meisen momentan nicht ganz wie gewünscht. (Foto: Manuel Pestalozzi)

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