Vergabekriterien als Zankapfel
Juho Nyberg
11. juni 2019
Welches Gewicht soll der Preis künftig als Vergabekriterium haben? (Foto: Juho Nyberg)
Gerade öffentliche Vergaben stehen unter kritischer Beobachtung. Erhält dabei ein Anbieter mit besonders tiefem Preis den Zuschlag, lässt die Kritik nicht lange auf sich warten. Ist das Büro nicht aus der Schweiz, geht es noch schneller, wie das Beispiel des Neubaus der Heilpädagogischen Schule von Bern jüngst zeigte.
Für den Neubau der heilpädagogischen Schule in der Hauptstadt wurden die Bauingenieurleistungen am 14. November des vergangenen Jahres öffentlich auf der Plattform Simap ausgeschrieben. Die Ausschreibung erfolgte als offenes Verfahren nach GATT/WTO. Dies war zwingend, da der massgebliche Schwellenwert für Dienstleistungen bei 350'000 Franken liegt. Den Zuschlag erhielt ein deutsches Ingenieurbüro, das mit rund 280'000 Franken deutlich tiefer offeriert hatte als alle Schweizer Mitbewerber, die im Durchschnitt rund 470'000 Franken veranschlagten. Angesichts des beträchtlichen Preisunterschieds liess die Kritik nicht lange auf sich warten.
Mario Marti, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Schweizerische Vereinigung Beratender Ingenieurunternehmungen (usic), wandte sich in der Sache mit einem Brief an den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried. Neben den krassen Preisunterschieden der Teilnehmer erwähnte er ebenso, dass «die Ausschreibung offenbar von falsch geschätzten Baukosten ausging». Weiter wies Marti darauf hin, dass die ortsüblichen minimalen Arbeitsbedingungen einzuhalten seien und das sogenannte Entsendegesetz zu achten, das eine achttägige Voranmeldung für Arbeitseinsätze in der Schweiz vorschreibt.
In seiner Replik verwies der Berner Stadtpräsident zunächst auf den Umstand, dass gegen die ordentlich publizierte Ausschreibung kein Rechtsmittel ergriffen wurde und diese folglich als anerkannt gelte und rechtsgültig durchgeführt wurde. Ferner zitiert von Graffenried die Gewichtung der Zuschlagskriterien. Demnach macht der Preis 30 Prozent aus, die Konzeptidee wird mit 35 etwas höher gewichtet, die im konkreten Fall als sehr gut bewerteten Referenzen zählen mit 20. So gesehen ist der reine Preis ein untergeordnetes Kriterium.
Spannender ist die präsidiale Antwort auf die Frage nach den ortsüblichen minimalen Arbeitsbedingungen, sprich Lohn und Arbeitszeiten: «Die Arbeitsbedingungen sind jeweils am Ort der Ausführung einzuhalten. Da die Zuschlagsempfängerin einen Grossteil ihrer Planungsarbeiten an ihrem Firmensitz in Deutschland ausführen wird, hat sie für diese Arbeiten die deutschen Arbeitsbedingungen einzuhalten.» Selbstredend sei eine entsprechende vertragliche Verpflichtung mit der Anbieterin vereinbart worden. Letztlich mag die Vergabe zwar aus Sicht der Schweizer Ingenieure sehr stossend sein – insbesondere angesichts des offensichtlich krass tiefen Preises –, doch anfechtbar ist sie aktuell wohl leider nicht.
Um zukünftig zumindest etwas mehr auf qualitative Kriterien setzen zu können, engagiert sich die Allianz für ein fortschrittliches öffentliches Beschaffungswesen (AföB) politisch. Zu Beginn dieses Monats konnte ein Erfolg verbucht werden: Am 5. Juni hat der Ständerat die Differenzbereinigung des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungsrecht fortgesetzt. Künftig soll anstelle des «wirtschaftlich günstigsten» Angebots das «vorteilhafteste» den Zuschlag erhalten. Diese Haltung ist in beiden Kammern unbestritten. Das Geschäft gelangt diese Woche wieder in den Nationalrat und im Falle von bestehenden Differenzen noch einmal in den Ständerat. Die Schlussabstimmung ist für den Vormittag des 21. Juni zu erwarten.