Sie war ein lebendiges Stück Geschichte

Manuel Pestalozzi
14. September 2024
Die Verkehrskanzel wurde nach der Sanierung des Central im Jahr 2017 zunächst wieder aufgestellt und genutzt. Sie avancierte zur gerne fotografierten Touristenattraktion, und noch 2022 widmete der Lokalsender TeleZüri ihr einen Beitrag. Doch jetzt wurde sie endgültig abgebaut. (Foto: Manuel Pestalozzi)

Das Central ist ein Nadelöhr für den Verkehr in Zürich: Auf dem zu allen Seiten von Strassen gefassten Platz unweit des Hauptbahnhofs halten mehrere Tramlinien. Ein- und aussteigende Fahrgäste, Fussgängerinnen und Radfahrer wuseln durcheinander, Autofahrer hupen genervt. Um für Verkehrssicherheit zu sorgen, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kanzel aufgestellt, besetzt mit einem Polizisten. Die fassförmige Stahlrohrkonstruktion war in Zürichs Farben Weiss und Blau gestrichen und besass einen runden Baldachin, der vor Wind und Wetter schützte und nachts leuchtete. Zwar handelte es sich um ein anonymes Amtsdesign, doch offensichtlich bemühte man sich um eine ansprechende Gestaltung. 

In den 1950er- und 1960er-Jahren gab es in Zürich mindestens ein halbes Dutzend solcher Kontrollstellen, sie standen unter anderem auf dem Bahnhofplatz und am Bellevue. Die Kanzeln waren Symbole für die pulsierende Grossstadt und versprachen einen möglichst fliessenden, geordneten und sicheren Verkehr. 

Am Bellevue stand die Kanzel mitten in der Kreuzung. (Foto: © Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)
Verglaste Kanzeln am Bellevue (links) und an der Sihlporte; von den Türmchen wurden die Ampeln von Hand bedient. (Fotos: © Michael Wolgensinger, Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)

Mit der voranschreitenden technischen Entwicklung änderte sich in den 1950er-Jahren auch das Kanzeldesign: Man baute kleine Kontrolltürme, von denen die Ampeln manuell bedienten wurden. Die Ordnungshüter steuerten sie nach Augenmass und Verkehrsaufkommen. Diese grösseren Kanzeln boten eine Sitzgelegenheit und waren rundherum verglast, wobei bei den Brüstungen das Farbdesign mit blauen und weissen Streifen beibehalten wurde. Der Höhepunkt der Entwicklung war 1959 mit runden, nunmehr mit schimmerndem Chromstrahl verkleideten Kontrollposten erreicht. Solch futuristisch anmutende Kanzeln gab es beispielsweise an der Sihlporte und am Walcheplatz – sie besassen sogar eine Klimaanlage. «Die auffallende Höhe der neuen Kanzel ermöglicht dem Polizisten den notwendigen Überblick. Sie schützt ihn aber auch vor den schädlichen Wirkungen der Abgase, denen er bei tieferem Standort ausgesetzt ist», schrieb die NZZ damals. Eine lange Nutzungsdauer war den Anlagen indes nicht beschieden: Mit der Automatisierung der Ampelanlagen wurden die meisten abgebaut.

Schon in den 1950er-Jahren war das Central ein hektischer Verkehrsknotenpunkt. (Foto: © Wolf-Bender's Erben, Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich)

Dass die Kanzel beim Central nahe der Bahnhofbrücke am längsten erhalten blieb, liegt an der besonders komplexen Verkehrssituation. Bis vor kurzem wurde sie pünktlich um 8 Uhr morgens in Betrieb genommen. Oft liessen ärgerliche Rufe von der Kanzel Passanten erstaunt die Köpfe drehen. Während der Sanierung der ganzen Platzanlage im Jahr 2017 wurde der Kleinbau entfernt und nach Abschluss der Arbeiten wieder aufgestellt. Noch 2022 berichtete der Lokalsender TeleZüri über die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten auf der Kanzel. Doch jetzt ist die Zeitzeugin endgültig verschwunden. In den letzten Jahren seien mehrere Verkehrsprojekte am Central umgesetzt worden, begründet die Stadt Zürich in einem Communiqué diesen Entscheid, beispielsweise die Dosierung des Verkehrs auf den Zufahrtsstrecken in die Innenstadt oder das autofreie Limmatquai. Das Verkehrsaufkommen habe dadurch leicht abgenommen, und die Komplexität des Verkehrsknotens sei reduziert worden. Deshalb habe man entschieden, den Einsatz des Polizeilichen Assistenzdiensts am Central einzustellen. Die Kanzel soll als Erinnerungsstück erhalten bleiben und im Polizeigebäude an der Förrlibuckstrasse 61 wieder aufgebaut werden.

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