Identitäten schaffen
Susanna Koeberle
17. februari 2020
Die Wandarbeit von Shirana Shahbazi fällt von weitem auf. (Foto: Conradin Frei)
Der ehemalige Swisscom-Turm in Bern ist zurzeit Schauplatz für Kunst. Shirana Shahbazi hat eine grosse Wandarbeit im öffentlichen Raum realisiert. Auch eine Intervention von Cristian Andersen wertet den Bau auf.
Zwischennutzungen sind heute en vogue. Damit wollen Investoren unangenehme Besetzungen verhindern. Was oftmals eher wie ein Feigenblatt-Projekt wirkt, kann auch Plattform für kulturelle Projekte sein. Die Zeit zwischen Kauf und konkretem Bauprojekt kann für Kreative eine Chance darstellen. Dafür müssen allerdings die Voraussetzungen stimmen. Das höchste Gebäude Berns wurde von der Firma Reinvest Capital aus Genf erworben. Im Swisscom-Turm sollen bezahlbare Wohnungen entstehen. Bis im Sommer 2020 steht der Bau für verschiedene kulturelle Nutzungen zur Verfügung. Koordiniert und kuratiert wird die Zwischennutzung von Georgina Casparis.
Sie lud die Künstlerin Shirana Shahbazi sowie den Künstler Cristian Andersen ein, eine Kunst am Bau-Arbeit umzusetzen. Während solche Projekte üblicherweise über Wettbewerbe ausgelobt werden, setzen Kuratorin und Investoren auf Direktaufträge. Die Finanzierung der temporären Werke übernimmt Reinvest. Das Ganze soll aber nicht einfach ein kurzfristiges Spektakel sein, Kunst soll auch nach dem Umbau zum Berner Hochhaus gehören. Beim Auftrag erhielten Shahbazi und Andersen mehr oder weniger Carte blanche. Das sei auch eine Gelegenheit gewesen, um etwas völlig Neues auszuprobieren, sagt die Zürcher Künstlerin, welche 2019 für ihr Schaffen den «Prix Meret Oppenheim» erhielt. Erfahrung bei Kunst am Bau-Werken konnte sie bereits sammeln, allerdings reizte sie schon seit längerem, etwas mit Keramik zu machen. Die Risikobereitschaft der Auftraggeber beweist Mut, denn erschwerend kommt hinzu, dass der Bau aus den 1970er-Jahren denkmalgeschützt ist.
Balance zwischen Chaos und Raster (Foto: Conradin Frei)
An der Vernissage Ende Januar 2020 konnten sich Besucher*innen ein Bild der beiden Interventionen machen. Die grossformatige Wandarbeit «A Bigger Wall» fällt schon von weitem durch ihre Farbigkeit auf. Sie setzt ein markantes, eigenständiges Zeichen, ohne ein Fremdkörper zu sein. Die geometrischen Farbflächen antworten auf die Strenge des Baus, die wilden Farbspritzer schaffen dazu eine Gegenwelt. Das Gleichgewicht zwischen Rasterstruktur und Chaos kreiert eine besondere Form der Erdung und verleiht dem schwierigen Ort eine neue Identität. Tatsächlich wirkt Ostermundigen wie eine «Weder-noch-Zone» an den Rändern der Stadt – für die Schweiz keine untypische Situation. Das Hochhaus vermittelt zwar ein urbanes Gefühl, aber es fehlt an einem Anschluss zum restlichen Gefüge. Solche Unorte können auch als offene Matrix gelesen werden, die gerade durch Kunst ein neues Gesicht bekommen können. Shahbazis farbenfrohe Arbeit soll eventuell erhalten bleiben.
Die rote Metalllinie wird als grafisches Element eingesetzt, die den Raum strukturiert. (Foto: Conradin Frei)
Auch die installative, mehrteilige Arbeit «Dinner for one with dad» von Cristian Andersen bespielt eine schwierige Zone des Hochhauses. Der Eingangsbereich ist während der Zwischennutzung durch eine Schleuse abgegrenzt. Andersen reagiert mit verschiedenen Elementen auf die Architektur. Zwei Leuchtskulpturen oszillieren subtil zwischen Gebrauchsobjekt und Kunstwerk und schaffen eine eigene Innenraumsituation. Diese wird ergänzt durch zwei hockerartige Stücke, die eine gewisse Verunsicherung auslösen. Darf man sich da draufsetzen? Die Hocker bestehen aus Tonware, welche sonst bei Abwasserrohren verwendet wird. Der Künstler war fasziniert von der Hochwertigkeit dieses Materials und holt damit quasi ein Stück Unterwelt an die Oberfläche. Gefüllt sind die Rohrsegmente mit Schaum, der teilweise am Rand noch etwas «heruntertropft» (der Schaum ist natürlich trocken). «Wie bei einem Cappuccino», meint Andersen mit trockenem Humor. Das Wechselspiel zwischen Alltäglichem und Fremdem schafft eine Irritation, die den Raum belebt. Dass die Zusammenarbeit mit dem Investor auch nach der Zwischennutzung weitergehen soll, wertet der Künstler positiv. Die beiden Kunst am Bau-Arbeiten stellen sich der Herausforderung eines Dialogs mit der Architektur und schaffen dadurch einen Mehrwert. Auf diese Weise profitieren alle Seiten von den künstlerischen Eingriffen.
Auch die hintere Wand nimmt mit ihrer metallenen Verkleidung auf die Architektur Bezug. (Foto: Conradin Frei)
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