«Eingiessen»
Susanna Koeberle
18. febbraio 2020
Katja Schenker, «Dreamer (Wie tief ist die Zeit?)» im Gebäude der FHNW in Muttenz von pool Architekten, Baustellenansicht, 2018; die Signaletik stammt von Emanuel Tschumi. (Foto: Martin Stollenwerk)
Der Affspace in Bern hat sich einem transdisziplinären Diskurs verschrieben. Im Zentrum stehen Architektur, Stadtentwicklung und themenverwandte Inhalte. Die aktuelle Ausstellung «Eingiessen» fokussiert auf den 2018 fertiggestellten Bau der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in Muttenz.
Architektur entsteht aus einem Dialog mit der Umwelt – dazu gehören auch wesensverwandte Disziplinen. Dabei muss die Verwandtschaft nicht zwingend einem vertikalen Muster folgen. Architektur ist nicht die Mutter der gebauten Umgebung, sondern entsteht im Austausch mit vielen anderen Kompetenzen und «Dinglichkeiten». Den Fokus auf die Materialität und ihre handwerkliche und technische Handhabung legt auch die nächste Ausstellung im Affspace. Mit «Eingiessen» führt der Berner Offspace für Architektur sein transdisziplinäres Programm weiter. Gegossen wird auch Beton, ein Material, das den Bau der Fachhochschule in Muttenz (pool Architekten) wesentlich prägt. Skulpturale Elemente wie die den mittleren Lichthof überbrückenden Treppen verhelfen dem Gebäude im Innern zu einem fast gravitätischen Auftritt – im doppelten Sinne. Denn die Schwerkraft spielt gerade bei Betonbauten aufgrund des hohen Materialgewichts eine zentrale Rolle. Dieses wird durch Stahlarmierungen getragen. Einen anderen Zugang zum Material Beton wählte die Künstlerin Katja Schenker.
Katja Schenker, «Dreamer (Wie tief ist die Zeit?)», 2018 (Foto: Tom Bisig)
2014 gewinnt sie den Kunst und Bau-Wettbewerb des Hochbauamtes Basel-Landschaft. Dank der frühzeitigen Planung kann Schenker eine monumentale Skulptur vorschlagen, die für den Bau auch statisch funktioniert. Ihr Monolith «Dreamer» ist elf Meter hoch und wiegt mehr als hundert Tonnen! Mit Spezialisten bespricht die Künstlerin, welche Art Beton sie für dieses gewagte Unterfangen verwenden soll, wenig später entstehen erste Testversuche. Wichtig ist ihr, «dass der Beton möglichst fein ist, um den Kontrast zwischen eingegossenen Teilen und der umfliessenden Masse zu betonen».
Im Lauf von zwei Jahren sammelt Katja Schenker 30 Kubikmeter Rohstoffe: verschiedene Steine, Erze, Kleinholz und Baumstämme sowie Tannenzapfen. Diese werden schliesslich nach Muttenz gebracht. Im Januar 2017 beginnt die Arbeit an der Skulptur – mitten auf der Baustelle. Die Künstlerin lebt während mehreren Monaten vor Ort und positioniert in täglicher Arbeit die Fundstücke. «Die Komposition ist eine Mischung aus Intuition, Genauigkeit und Zufall», erklärt sie. Am Ende jedes Tages wird der Beton auf die unzähligen Einzelteile gegossen. Die Masse trocknet über Nacht an, sodass am folgenden Tag weiter geschichtet werden kann – ein unglaublich aufwendiger und kräfteraubender Prozess.
Das Resultat ist dafür einmalig: Nach dem Austrocknen der Skulptur wird das Konglomerat Seite für Seite mit einem Diamantseil geschnitten, sodass die eingegossenen Stücke durch den Anschnitt sichtbar werden. Einer dieser «Cuts» wird nun in Bern gezeigt. Ergänzt wird dieses Pars pro toto-Kunstwerk durch architektonische Maketten von Fensterelementen sowie durch Polyurethan-Matrizen einzelner Buchstaben, die der Grafiker Emanuel Tschumi entworfen hat. Die Ausstellung macht deutlich, wie drei verschiedene Disziplinen mit dem Prozess des Eingiessens umgehen. Die drei Arbeitsweisen vereinen sich zu einem vielschichtigen Ganzen.