Ein Klang-Manifest im städtischen Raum
Susanna Koeberle
10. maggio 2022
Die Eröffnung des Programms «Sound Turm» fand am 6. Mai statt. (Foto: Axel Crettenand)
Das Oto Sound Museum bespielt dieses Jahr mit seinem Programm «Sound Turm» einen historischen Ort in Zürich: den Wasserturm beim Schanzengraben.
Der Bau stammt aus dem Jahr 1724 und befindet sich mitten in Zürich. Dass ich den Wasserturm dennoch googeln musste, sagt schon einiges aus über unsere fehlende Aufmerksamkeit, wenn wir uns im öffentlichen Raum bewegen. Zum Pronomen im Plural: Ich gehe davon aus, dass ich nicht die einzige Bewohnerin dieser Stadt bin, der es so ergeht. Gebaut wurde der Wasserturm damals, um den Haushalten und Kleinbetrieben in der Nachbarschaft den Zugang zu Wasser zu ermöglichen. Zu dieser Zeit war die allgemeine Verfügbarkeit von Wasser keine Selbstverständlichkeit. Zwecks Zugang zu diesem überlebensnotwendigen Gut tat sich eine Gruppe von Bürger*innen zusammen. Fast 200 Jahre lang erfüllte der Wasserturm seine Funktion – zunächst durch ein Wasserrad, später durch Dampftechnik. Nachdem die Stadt Zürich den Turm erworben hatte, wurde er nicht mehr genutzt. Heute beherbergt er ein Zentrum für sportliche Aktivitäten. Der achteckige Bau mit vier Stockwerken besitzt ein geschwungenes Kupferhelmdach, dessen Form an eine Zwiebel erinnert.
Zentrales Thema der Praxis des Duos Stirnimann-Stojanovic (Nathalie Stirnimann und Stefan Stojanovic) ist das Reflektieren des Kunstsystems. (Foto: Flavio Karrer)
Der Wasserturm ist gleichsam ein stummer Zeuge aus einer vergangenen Epoche. Im Verlaufe der Zeit entstanden in der Gegend neue Bauten, der Turm steht heute als Solitär inmitten des städtischen Gewebes. Seine symbolische Bedeutung macht diesen Ort in verschiedener Hinsicht interessant. Diese Vielschichtigkeit interessierte auch das interdisziplinäre Kuratorenkollektiv Zaira Oram, das letztes Jahr das Oto Sound Museum gründete. Das nomadische Format präsentiert Klangarbeiten unterschiedlicher Künstler*innen. Dies geschah in einem ersten Schritt auf einer digitalen Plattform, doch sollen diese Arbeiten in Zukunft zusätzlich mit der physischen Welt interagieren können. Im Idealfall soll diese durch die Interventionen auch transformiert werden – im Hinblick auf eine neue Wahrnehmung von real existierenden Orten.
Ein solcher Ort ist dieses Jahr der Wasserturm beim Schanzengraben. Eingeweiht wurde das diesjährige Programm «Sound Turm» durch eine kollektive Hörperformance am 6. Mai. Das Hörstück «Resist! Persist! Maintain!» ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Duo Stirnimann-Stojanovic (Nathalie Stirnimann und Stefan Stojanovic arbeiten seit 2015 zusammen) und der Komponistin mfj rulla. Die Arbeit kann bis zum 25. Juni 2022 über einen QR-Code (je ein Schild befindet sich beim Wasserturm und beim Botanischen Garten) aktiviert werden. Das Programm sieht danach noch zwei weitere ortsspezifische Interventionen vor.
Das kollektive Zuhören schuf eine besondere Art der Gemeinschaft. (Foto: Axel Crettenand)
Zentrales Thema der Praxis von Stirnimann-Stojanovic ist das Reflektieren des Kunstsystems. In ihrer Kunst erproben sie die Grenze zwischen Kunst, Aktivismus und Gesellschaft. Das Thema Wasser als Ressource bot in konkretem Fall viel Stoff, um über soziale und politische Fragen nachzudenken.
Am 6. Mai fand sich eine Gruppe von Interessierten am Badweg beim Wasserturm ein und bekam professionelle Kopfhörer ausgehändigt. Nach einer kurzen Einführung durch die Kuratorinnen und die Künstler*innen bewegte sich unser Tross Richtung Alter Botanischer Garten. Von dort aus hatte man den Wasserturm gut im Blick und erkannte auch das schwarze Banner mit der Aufschrift «Resist! Persist! Maintain!». Eine Stimme führte durch den Soundteppich und rezitiere Texte, die Nathalie Stirnimann, Stefan Stojanovic und mfj rulla ausgesucht hatten. Die Klänge boten eine Art akustische und zeitliche Einbettung der vorgetragenen Texte, die wiederum ein eigenes Narrativ erzeugten.
Zu viel soll an dieser Stelle nicht verraten werden; die Zuhörer*innen dürfen eine anregende Reise erwarten, die kritische Stimmen zur neoliberalen kapitalistischen Ordnung zum Klingen bringt. Solche Momente der Reflexion können vielleicht auch zum Handeln anregen. Oder zumindest dazu, unsere nähere Umgebung – seien es Bauten, Pflanzen, Tiere oder Menschen – aufmerksamer wahrzunehmen.