Dominic Nahr räumt beim Swiss Press Photo Award ab

Nadia Bendinelli
16. maggio 2024
Diese neugeborenen Zwillinge haben das «Erdbeben in Marokko» überlebt. (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)

Die neueste Ausgabe der Wanderausstellung «Swiss Press Photo» feierte auch in diesem Jahr im Zürcher Landesmuseum Premiere. Was die Edition einmalig macht, ist die Häufung des Namens Dominic Nahr: Mit seiner Serie «Gezeichnet vom Krieg» gewinnt er in der Kategorie «Porträt». Zugleich erobert er die ersten beiden Plätze in der Kategorie «Ausland», und zwar mit den Fotoessays «Erdbeben in Marokko» und «Isoliertes Libyen». Die vierte Auszeichnung als «Swiss Press Fotograf des Jahres 2024» scheint da eine logische Konsequenz – und ist eine wohlverdiente Würdigung seiner Arbeit.

Dominic Nahr wurde 1983 im Kanton Appenzell geboren und ist in Hongkong aufgewachsen. Er studierte Fotografie in Toronto und zog anschliessend in Kenias Hauptstadt Nairobi, um den afrikanischen Kontinent zu erforschen. Seine Bilder wurden international in Magazinen und Zeitungen abgedruckt und erhielten zahlreiche Auszeichnungen. Seit 2021 arbeitet Nahr für die Neue Zürcher Zeitung NZZ. Sein Fokus liegt dabei auf Auslandsreportagen. Seine für den Award eingereichten Fotografien erschienen allesamt in der renommierten Tageszeitung. 

Drei hervorragende Fotoserien

Auf zehn Fotografien sind Männer und Frauen aus der Ukraine zu sehen: Sie sind zwischen 15 und 74 Jahre alt und haben ihr Leben unterschiedlich gestaltet. Doch alle sind sie «Gezeichnet vom Krieg». Seit Kriegsausbruch war Dominic Nahr bereits fünfmal in der Ukraine, um über den Konflikt zu berichten. Anfang 2023 entwickelte er die Idee, sich auf einzelne Menschen einzulassen, ihre Geschichten zu erzählen und bildlich festzuhalten, wie der Krieg ihre Gesichter und ihr Wesen gezeichnet hat. Das Setup wurde einfach gehalten, alle Personen wurden gleich fotografiert. Zur Ausleuchtung der Szenen habe er jeweils nur eine Batterielampe benutzt, erklärt Nahr. Die gezeigten Menschen sitzen in ihrem Zuhause, im leeren Korridor eines Krankenhauses, in einer Fabrik oder im Falle des Soldaten in einem Bunker. Besonders das Schlussbild der Serie, das eine Tänzerin in Kiew zeigt, versteht Nahr als einer Art Zusammenfassung von allem, was er im Ukraine-Krieg gesehen hat: Olena Meschtscherjakowas Blick spricht von Zerbrechlichkeit, weist aber gleichzeitig eine grosse Stärke auf.

Mikola Lasorko, 59, Techniker (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)
Walentina Satula, 65, Lackiererin (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)
Alexander «Juma», 37, Soldat (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)
Olena Meschtscherjakowa, 24, Tänzerin (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)

Am 8. September 2023 bebte im Atlasgebirge die Erde. Als Dominic Nahr und der NZZ-Journalist Daniel Böhm für die Serie «Erdbeben in Marokko» in die Unglücksregion reisten, fanden sie vom Dorf Adouz nur noch Trümmer vor. Von den 200 Einwohnern starben 34. Weiter oben in den Bergen habe es niemand geschafft, erklären die Opfer den beiden Journalisten – insgesamt wurden über 2900 Tote gezählt. Jeder in Adouz sucht und gräbt – mit einfachsten Mitteln oder sogar den blossen Händen. Erst in den folgenden Tagen kommt Hilfe. Eine Szene, die Nahr dokumentiert, beschreibt für ihn am besten seine Erlebnisse: Plötzlich hört der Fotograf den Schrei eines Mannes. Nach zweitägiger Suche fand er seinen Vater unter den Trümmern. Endlich aus den Resten des eingestürzten Hauses befreit, wird der leblose Körper weggetragen und gleich begraben. 

Aus der Serie «Erdbeben in Marokko» (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)
Said ben Aid, der lang gesuchte Vater eines Bewohners des Dorfes Adouz, wird nach einem Gebet in einem Grab neben der Strasse beerdigt. (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)

Anfang 2023 reiste Nahr für die Serie «Isoliertes Libyen» nach Nordafrika. Wie geht es den Leuten zwölf Jahre nach der Revolution? Seine Reportage zeigt den Alltag in der Küstenstadt Misrata, wo die Spannungen nach wie vor besonders gross sind. Die Menschen dort hoffen, doch sind ständig auf der Hut. Wer in der Stadt lebt, hat den Krieg hautnah kennengelernt und ist auf alles gefasst. Kampfspuren sind immer noch überall deutlich zu sehen. In Misrata leben junge Milizionäre, die im ganzen Land gefürchtet sind. Sie halten sich ständig kampfbereit. Denn wer weiss, was als nächstes geschieht? Parallel führen sie ein «normales Leben»: Sie studieren, arbeiten, hängen mit Freunden ab. Doch nicht alle in Misrata möchten so leben: Einige junge Unternehmer konzentrieren sich lieber auf den Aufbau einer neuen, innovativen Zukunft und sehnen sich nach politischer Stabilität.

Die Küstenstadt Misrata in Libyen: Noch immer sind die Spuren des Krieges sichtbar. (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)
Aziz Lamin ist Student und Milizionär in Misrata. Jederzeit ist er auf weitere Kämpfe vorbereitet. (Foto: Dominic Nahr für die NZZ, 2023, Swiss Press Photo)

Die Schnelllebigkeit der Tagespresse lässt Fotografien schon nach kurzer Zeit wieder verschwinden – neue Bilder treten an ihre Stelle. Die Schau im Landesmuseum ermöglicht uns jedoch, eine Weile innezuhalten und einige Bilder wieder- oder neu zu entdecken. Alle in den Kategorien «Aktualität», «Alltag», «Schweizer Geschichten», «Porträt», «Sport» und «Ausland» ausgezeichneten Schweizer Pressefotos sind dort noch bis zum 30. Juni zu sehen. Danach zieht die Ausstellung weiter in die Schweizerische National Bibliothek nach Bern, ins Château de Prangins und schliesslich in Bellinzonas Castel Grande.

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