Diskussion und Spatenstich
Elias Baumgarten
19. dicembre 2019
Visualisierung © Herzog & de Meuron
Bis zuletzt wurde höchst emotional diskutiert, jetzt sind Fakten geschaffen: Am 3. Dezember 2019 fand in Berlin der Spatenstich für das Museum des 20. Jahrhunderts der Neuen Nationalgalerie statt. Bis 2026 wird zwischen der ikonischen Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe und der wunderbaren Philharmonie von Hans Scharoun ein Grossbau von Herzog & de Meuron entstehen. Politiker*innen und Bauherrschaft sind erleichtert. Doch dass die Debatte mit dem symbolischen Beginn der Bauarbeiten zu Ende ist, scheint unwahrscheinlich.
Seit den 1960er-Jahren haben sich die Bestände der Neuen Nationalgalerie mehr als verdreifacht; dies aufgrund zahlreicher Schenkungen und Käufe sowie wegen der Eingliederung von Sammlungen der ehemaligen DDR. Aus Platzgründen können die Kunstwerke nur verteilt auf verschiedene Standorte und niemals gesamthaft gezeigt werden. Darum der verständliche Wunsch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach einem grossen Neubau. 2016 wurde ein internationaler Architekturwettbewerb um die Gestaltung des Museums des 20. Jahrhunderts ausgefochten, den Herzog & de Meuron gegen stärkste Konkurrenz gewannen. Ihr Entwurf polarisierte sofort. Während einige das Projekt als mutig und kraftvoll lobten, kam bisweilen heftige Kritik aus der Architektur- und Kunstszene, aber auch aus der Berliner Bevölkerung. Angegriffen wurde zuvorderst die Grösse des Baukörpers, seine archaische Form mit riesenhaftem Satteldach («Kulturscheune», «Bierzelt», «Aldi»), aber auch seine städtebauliche Setzung. Tatsächlich wirkt der Bau etwas deplatziert – anders als das ebenfalls archaische Schaudepot auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein der Basler Architekten, ihr Parrish Art Museum in seinem ländlichen Kontext oder das Ricola Kräuterzentrum aus ihrer Feder am Rande des Dorfes Laufen. Bald nach dem Wettbewerb wurde sogar eine Petition gegen das Projekt lanciert. Ihre Initiatoren konnten aber nur 1'200 Unterstützer*innen hinter sich versammeln.
Visualisierung © Herzog & de Meuron
Im Spätsommer dieses Jahres wurde die erste Kostenrechnung für das konkretisierte Projekt präsentiert. Rund 450 Millionen Euro soll der Bau, der vom Bund finanziert wird, demnach kosten – statt der ursprünglich angekündigten 200 Millionen. Im November bewilligte dies schliesslich der Haushaltsausschuss des Bundestages. Zornige Proteste der deutschen Presse, etwa der Süddeutschen Zeitung, verhallten ungehört. Allerdings: Alle sechs Monate muss die Bauherrschaft dem Bundestag nun über die Entwicklung des Finanzbedarfs berichten.
Parallel gewann im Spätsommer und Herbst auch die architektonische Debatte wieder an Schärfe. Die Kritiker*innen attackierten erneut die städtebauliche Setzung, die als autistisch bezeichnet wurde. Das Projekt sei der Wirkung der ikonischen Monumente von Scharoun und Mies van der Rohe abträglich, hiess es. Volkwin Marg meinte wenig konstruktiv, statt dem Bau solle besser ein öffentlicher Park entstehen. Und Stephan Braunfels, der in Deutschland als besonders widerborstig bekannt ist und schon mehrfach gegen Vorhaben geklagt hat – zuletzt gegen den Wettbewerb um die Gestaltung der neuen Münchner Konzerthalle –, wollte nachgewiesen haben, dass der Neubau in seiner Ausdehnung unnötig ist und auch an der Berliner Sigismundstraße hätte (verträglicher) platziert werden können. Mit eigenen Visualisierungen machte er gegen das Projekt mobil. Bestätigt sehen er und die übrigen Kritiker*innen sich dadurch, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bisher Grundrisse und Schnitte unter Verschluss hält. Eine Informationsveranstaltung am 18. November mit Jacques Herzog konnte die Gemüter auch nicht beruhigen.
Visualisierung © Herzog & de Meuron
Visualisierung © Herzog & de Meuron
Nun also sind Fakten geschaffen, das Projekt ist politisch «durch». Die Verantwortlichen hatten auf den Spatenstich noch in diesem Jahr gedrängt, «weil Sammler ihre Werke für das Museum damit verbunden hatten», wie die Berliner Morgenpost schrieb. An die Gegner*innen des Projekts wurde mit dem symbolischen Baubeginn von Bauherrschaft und Politik ein klares Signal gesandt. Wer indes dem Bau erwartungsfroh entgegensieht, dem bot Jacques Herzog an besagtem 18. November einige Argumente. Er rief dabei Vorzüge der Gestaltung, die seit dem Sieg am Wettbewerb merklich verbessert und an den Stirnseiten geöffnet wurde, ins Gedächtnis, welche zuletzt in der Debatte vergessen gingen. Das Museum werde nicht als Solitär wirken, sondern als Fokus, versprach er. Ohne Vorder- und Rückseite werde der Bau das Maximum aus dem Ort herausholen. Noch einmal strich er die Transparenz des Museums, das über eine Backsteinfassade durchsetzt mit Glasbausteinen sowie große Fensterflächen und Hangartore verfügen wird, und seine Öffnung zum Aussenraum als Stärken heraus. Zudem betonte er, dass der Entwurf auf der Idee zweier sich kreuzender Boulevards beruht, die zum Verweilen innerhalb des Museum auch abseits der Ausstellungen einladen sollen. Tatsächlich dürfte das Innere mit seiner räumlichen Tiefe beeindrucken. Diesbezüglich bleibt allerdings zu hoffen, dass die Durchwegung des Gebäudes wirklich rund um die Uhr offen gehalten wird. Im Interview mit der B.Z. meinte Herzog, es sei Sache der Politik, das zu entscheiden. An selber Stelle sagte er übrigens auch, dass es hinsichtlich der angedachten Verbindung zur Neuen Nationalgalerie noch keine endgültige Lösung für die Umsetzung gebe. Auch wenn die Bauarbeiten nun abrollen, sind die Diskussionen um das Projekt somit wohl längst nicht beendet.
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