Das Unsichtbare sichtbar machen
Susanna Koeberle
31. agosto 2020
Ausstellungsansicht «As Hands Remember» in der Galleria Monica De Cardenas. (Foto: Andrea Rossetti)
Claudia Losis Schaffen kreist um Themen, die heute besonders aktuell sind. Es geht der Künstlerin auch darum, die Beziehung zwischen Mensch und Natur sichtbar zu machen. Gezeigt werden ihre Arbeiten zurzeit in der Galerie Monica De Cardenas in Zuoz.
Die Figürchen haben etwas Berührendes – schon nur auf den Fotos der Einladung. Bei unserem Besuch in der Galerie Monica De Cardenas in Zuoz, wo einige der Arbeiten von Claudia Losi noch bis Mitte November (auf Voranmeldung) zu sehen sind, zeigt sich, dass die den Arbeiten vorauseilenden Bilder nicht gelogen haben. Die Mischwesen zwischen Mensch und Tier, die an japanische Netsuke erinnern, lösen eine Art Schutzinstinkt aus, man möchte sie augenblicklich in die Hand nehmen und ihnen gut zureden. Sie wirken seltsam vertraut, auch wenn sie aus einer unwirklichen und fremden Welt zu stammen scheinen. Claudia Losi fertigte die Amulette («Amuleti») während des Lockdowns zuhause in ihrer Wohnung in Piacenza. Da sie während mehreren Wochen nicht in ihr Atelier gehen konnte, begann sie, an kleineren Werken zu arbeiten. Das Herstellen von Keramikfiguren mit den Händen hat etwas Meditatives. Das passt nicht nur zu dieser besonderen Zeit, die Arbeiten fügen sich zugleich in die gängige Arbeitsweise der Künstlerin.
Die «Amuleti» schuf Claudia Losi während des Lockdowns. (Foto: Andrea Rossetti)
Der spirituelle Aspekt ist im Werk der italienischen Künstlerin allerdings stets mit einem kollaborativen Handeln verbunden. Insofern stellt der Rückzug in die eigenen vier Wände etwas Ungewöhnliches dar. Der Titel der Schau bei Monica De Cardenas «As Hands Remember» benennt sowohl diesen speziellen Moment als auch eine allgemeine Charakteristik von Losis Arbeitsweise. Der runde Teppich etwa, der in der Haupthalle der Galerie in einem umgebauten Engadiner Haus (Architektur: Hans-Jörg Ruch) am Boden liegt, ist das Werk vieler Hände und nahm fast zwei Jahre in Anspruch. Claudia Losi lud verschiedene Frauen in ihr Atelier ein, um daran zu arbeiten. Inspiration für «Poli Antartici Constitutio» bildeten Zeichnungen von Athanasius Kircher (1602 – 1680), einem Jesuiten und Universalgelehrten (1). Seine Idee der miteinander verbundenen Pole faszinierte die Künstlerin. Alles ist verbunden, wusste schon Kircher.
Das Verbinden von Gegensätzen webt Losi im wortwörtlichen Sinn in ein neues Bild weiter, sie strickt (oder stickt) den Gedanken weiter. Im 17. Jahrhundert war das Verbinden unterschiedlicher Disziplinen nichts Ungewöhnliches, im Zuge der Aufklärung bildeten sich voneinander abgegrenzte Wissensgebiete heraus. Heute nehmen sowohl Wissenschaftler*innen (2) wie auch Kreative diesen Faden wieder auf und erinnern uns daran, dass das Leben auf unserem Planet auf symbiotischen Prozessen basiert.
Claudia Losi, «Lingue Foglia» 2020. (Foto: Andrea Rossetti)
Es ist kaum verwunderlich, dass das Thematisieren unserer Beziehung zur Natur auch bei Claudia Losi eine zentrale Stellung einnimmt. Sie schafft dafür immer wieder anschauliche Metaphern wie etwa in ihren «Lingue Foglia» (Blattzungen). Aus den horizontal an die Wand platzierten Metallblättern sind Figuren gestanzt, die sie anschliessend heraufgeklappt hat. Das Blatt verwandelt sich zur Bühne, zu einem Schauplatz von kleinen Geschichten. Das so entstehende anmutige Schattenspiel könnte zugleich als Weckruf verstanden werden: Wir sind eins mit der Natur, wir sind lediglich aus einem Blatt gestanzte Lebewesen. Die Idee zu diesem Werk entstand durch eine Beobachtung, die sie in Asien gemacht hatte: Das Bild der Insekten, die kreisrunde Löcher in Blätter gefressen hatten, übersetzte sie später in Kunst. Wir brauchen den Blick von Künstler*innen, um die Welt neu zu sehen.
(1) Athanasius Kircher vermutete als einer der ersten den Einfluss «kleiner Wesen» auf die Verbreitung der Pest.
(2) darunter Lynn Margulis und James Lovelock mit ihrer Gaia-Hypothese
Claudia Losi, «Le mani insegnano pazienza» und «Asking Shelter», 2020. (Foto: Andrea Rossetti)
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