Unverdrossener Einsatz für Zürichs baukulturelles Erbe

Katinka Corts
14. marzo 2024
Foto: Katinka Corts

Vor nicht allzu langer Zeit fragte eine Ausstellung im S AM «Was wäre wenn» – in ihr versammelten die Kuratoren eine Auswahl jener Projekte, die in Wettbewerben nicht siegreich waren und damit nie realisiert wurden. Zum Buch «Baukultur erhalten» könnte man titeln «Was wäre geblieben», denn in dieser Jubiläumspublikation des nun 50-jährigen Stadtzürcher Heimatschutzes finden sich viele Blicke in die Vergangenheit. Genauso wie man bei Wettbewerben die Realisierung mit den Rängen vergleichen kann, ermöglicht das Buch eine nachträgliche Abwägung: Was haben wir gewonnen, was verloren? 

Ein Buch, das man gerne zur Hand nimmt

Geschickt ist bereits die Aufteilung gewählt, denn glücklicherweise wird in der Publikation nicht Stadtkreis für Stadtkreis abgehandelt. Vielmehr nehmen die drei Autorinnen und vier Autoren einen mit auf thematische Stadtreisen, und die Lektüre der fünf einzelnen Kapitel könnte abwechslungsreicher und interessanter nicht sein.

Allein Format und Haptik haben es mir von Beginn an angetan. Das dicke, griffige und dennoch biegbare Leinencover des Buches in Handtaschengrösse steht inhaltlich genau passend zu dem, was die Publikation sein soll: Sie soll mitgenommen werden – als Lektüre unterwegs, als Orientierungshilfe auf einem Stadtrundgang, als Möglichkeit, das Jetzt und das Damals miteinander zu vergleichen. So kommt das Buch unaufdringlich daher und bietet eine gehaltvollere Auseinandersetzung mit der Umgebung als so manches Coffee-Table-Format in Hochglanz.

Foto: Katinka Corts

Evelyne Noth, Christoph Lanthemann, Markus Fischer, Edi Guggenheim und Petra Hagen Hodgson – allesamt aktuelle oder ehemalige Vorstandsmitglieder – haben für das Buch einzelne Beiträge zu besonderen Objekten verfasst. Einer grossen Recherchearbeit haben sich für die Publikation Ann-Kathrin Seyffer und Thomas Pfister gewidmet: Sie katalogisierten aus digitalisierten Jahresberichten, Aktionsblätter, Stellungnahmen und Protokolle um die 620 Themen und Objekte, mit denen sich der Stadtzürcher Heimatschutz seit seiner Gründung befasst hat. Der daraus resultierende Index ist am Ende des Buches zu finden. Er listet die Themen allerdings lediglich alphabetisch. Ein Mehrwert für mich als Leserin gewesen, hier die Kategorien des Buches wiederzufinden und nachschauen zu können, welche weiteren Objekte zu dieser oder jener Kategorie gehören und wo sie in der Stadt zu finden sind. Der Index ist aber immerhin eine Aufarbeitung, die so erstmals stattgefunden hat und dem Stadtzürcher Heimatschutz eine Grundlage für kommende Projekte sein kann.

Foto: Katinka Corts

Nach der umfassenden Einleitung zum Werden des Stadtzürcher Heimatschutzes gibt auf der Doppelseite 18/19 ein Schwarzplan mit 26 einzeln verorteten Objekten den eigentlichen Startschuss ins Buch. Ungefähr gleich im Umfang gewichtet, werden zuerst der soziale Wohnungsbau, dann Baugruppen und einzelne Objekte sowie Kultur- und Industriebauten beleuchtet. Die letzten beiden Hauptkapitel drehen sich um die städtische Gasthauskultur und Grünräume im dichter werdenden Zürich. 

Jedes der Kapitel beginnt mit einer knappen Einführung ins Thema, bevor die einzelnen Projekte mit Text und Bild präsentiert werden. Besonders sind dabei die Zeit- und Darstellungssprünge: Was stand hier früher, was steht hier heute? Welchen städtebaulichen Gedanken folgte die ursprüngliche Anlage? Dazwischen Abbilder früherer Flugblätter, Kampagnen und Aufnahmen von Komitees bei der Arbeit. Zwischen die schwarz-weissen Gebäudeaufnahmen aus der Vergangenheit mischen sich doppelseitige Farbaufnahmen mancher Anlagen und Siedlungen heute. Ein buntes Sammelsurium, das jedoch nicht unstrukturiert oder unsortiert wirkt, sondern vielmehr einen breiteren Blick auf die einzelnen Orte zulässt, als es ein klassischer Architekturführer täte. Der Sache geschuldet, dass es sich um die Jubiläumspublikation des Vereins handelt, fällt die Blickweise dann doch jeweils klar aus, was bei einigen Berichten hervorsticht. 

Foto: Katinka Corts

Exemplarisch will ich hier konkreter auf das Kapitel über die städtischen Grünräume eingehen. Petra Hagen Hodgson schreibt darin, dass das Konzept der Verdichtung als oberster Leitgedanke für die Zürcher Stadtentwicklung walte und dass somit Grünanlagen aller Art gefährdet seien, reduziert zu werden oder zu verschwinden. Drei Beispiele, für deren Erhalt sich der Stadtzürcher Heimatschutz eingesetzt hat, füllen die Rubrik «Grünräume der Stadt: fragile Elemente im Kontext der Verdichtung»: die Villa Patumbah, das Forstergut und das Landesmuseum. 

Gewidmeter Grünraum: Der Patumbah-Park

Der langwierige Streit um den Erhalt des Patumbah-Parks in seiner Gesamtheit nahm seinen Anfang bereits 1929, als der nördliche Teil des Areals verkauft und mit einem Zaun abgetrennt wurde. Die Töchter des Erstbesitzers Karl Fürchtegott Grob-Zundel hatten das Anwesen nach dessen Tod dem Diakoniewerk Neumünster geschenkt mit der Auflage, «dass Villa und Garten einem gemeinnützigen Zweck zugeführt» würden. Das Vorhaben des Diakonissenwerks, die Villa abzureissen, konnte die Stadt 1977 mit dem Kauf von Gebäude und südlichem Garten verhindern. 1985 schliesslich stimmte das Zürcher Stimmvolk für eine Umzonung des südlichen Parks in eine Freihaltezone, und das Atelier Stern & Partner restaurierte die Anlage. Heute ist der Park wieder in seiner Gesamtheit zu erleben, lediglich die hohen Baumreihen und der Gemüsegarten mussten einer Neubebauung an der Mühlebachstrasse weichen. Auch wenn der Stadtzürcher Heimatschutz dies bedauert, ist die Anlage für die Bevölkerung ein Gewinn und eine überraschende Oase im Quartier. Mit Führungen, Werkstätten und Ausstellungen kann dort heute das Heimatschutzzentrum seinen Beitrag dazu leisten, den gewünschten gemeinnützigen Zweck zu erfüllen.

Das Forstergut oberhalb des Toblerplatzes

Beim zweiten Projekt ist die Grundsituation eine andere, denn das Gelände des Forsterguts oberhalb des Toblerplatzes ist nicht an eine Widmung gebunden, sondern befindet sich in Privatbesitz. Dass über die Jahrhunderte Villa, Chalet und Park in ähnlicher Form erhalten blieben, ist der Motivation der Besitzerfamilie zu verdanken, die gestaltete Gartenanlage nur punktuell zu ergänzen und nicht neu zu überbauen. 

Mit der Ausweisung von Baufeldern an den Rändern des Geländes ging im westlichen Bereich jedoch viel Baumbestand verloren. Die Mitte blieb offen und frei, auch das Chalet im Süden behielt die es umgebenden Bäume. Ob der Bau jedoch stehen bleiben wird, ist ungewiss. Sollten auch die dort liegenden Baufelder überplant werden, könnte das Chalet abgebaut und andernorts neu errichtet werden – das Angebot, der Stadtzürcher Heimatschutz könne das Gebäude übernehmen, besteht. 

Komplett umzäunt und vor der Öffentlichkeit abgeschottet – wenn man vom Angebot privater Führungen absieht –, ist das Gelände mittlerweile vielleicht aber auch etwas aus der Zeit gefallen: Mag es früher gerechtfertigt gewesen sein, ein Chalet mit opulentem Park am damals wenig bebauten Zürichberg als Feriensitz zu errichten, sollten derlei Privatflächen heute zumindest öffentlich erlebbar sein. Denn auch wenn ausser Frage steht, dass sie ein Zeitzeugnis der Gestaltung sind, ist der erlebbare Mehrwert doch nur wenigen vorbehalten und nicht ganzen Bevölkerung, wie es beim Patumbah-Park sozialverträglich gelebt wird.

Foto: Katinka Corts
Vom Blick auf einen Grünraum zur Architekturkritik: Platzspitz und Landesmuseum

Den Abschluss dieser Reihe bildet der Platzspitz-Park, wobei hier die Wahl des Titels «Landesmuseum» bereits klar den Fokus auf die Gebäude am Park legt – den Bestandsbau von Gustav Gull sowie den Erweiterungsbau von Emanuel Christ und Christoph Gantenbein. Letzterer liess seit Planungsbeginn bis über seine Fertigstellung hinaus die Gemüter in Politik, Architektur und Bevölkerung hochkochen. Petra Hagen Hodgson erinnert in ihrem Text zunächst an die Entstehungsgeschichte des Parks und die Gestaltung der Aussenanlagen von Evariste Mertens. Von der Wichtigkeit des Parks ausgehend, erläutert sie den Verlust von Sichtachsen und Grünraum, der mit dem Neubau einhergehe. Das ist nachvollziehbar und verständlich, ist doch der Platzspitz mit seiner bewegten Geschichte immer ein öffentlicher und zugänglicher Ort gewesen und eine der ältesten Grünanlagen der Stadt.  

Dennoch: Verglichen mit den anderen beiden Projekten des Kapitels geht es bei der Bebilderung zu Platzspitz und Landesmuseum sehr stark um den Neubau. Schön wäre gewesen, hier mehr auf die heutigen Qualitäten des Parks zu schauen und der immer noch herausragenden Fläche in zentraler Lage eine entsprechende Würdigung zu ermöglichen. Das Argument, dass mit dem Neubau die Sichtachse vom Gull-Bau zu Park verbaut wurde, lässt sich nämlich genauso auf das Jahr 1892 übertragen, als das Landesmuseum den Blick vom Kopfbau des Bahnhofs in den Park verstellte.

Foto: Katinka Corts
Ein neuer Blick auf Zürichs Baugeschichte

Ein Bilderessay zu Bauten, die dem Stadtbild verloren gehen werden, schliesst sich an die Kapitel über die ausgewählten Objekte an. Zugleich leitet er zu jenen Texten über, in denen Evelyne Noth, Ann-Kathrin Seyffer, Hanspeter Rebsamen sowie Andreas Hauser in kurzen Rückblicken ihre Verquickung mit dem Stadtzürcher Heimatschutz darstellen und ihre Motivation zum Einsatz für die gebaute Umwelt erläutern. Diese sehr persönlichen Texte lesen sich wie Kurzbiografien aus der Ich-Perspektive, was dem Buch einen sehr nahbaren Abschluss verleiht.

Zu empfehlen ist das Buch jenen, die die Geschichte des Bauens in Zürich auf eine neue Art kennenlernen wollen. Ein neutraler Architekturführer will die Publikation dabei nicht sein, in ihr werden die Standpunkte des Stadtzürcher Heimatschutzes zu einzelnen Bauten und Themen sehr schön und nachvollziehbar erläutert. Auch die Wahl der gezeigten Objekte ist interessant, stehen sie doch stellvertretend für viele Bauten ihrer Art (oder ihres Kapitels in Buch und Index). Die teilweise etwas politisierenden Texte zeugen jedenfalls davon, worum man über die Jahrzehnte gekämpft und wofür man sich eingesetzt hat. Die kritische Einordnung des Gelesenen bleibt dabei – wie immer – der Rezipientin überlassen.

Baukultur erhalten. Urbane Qualität schaffen. Stadtzürcher Heimatschutz 1973–2023

Baukultur erhalten. Urbane Qualität schaffen. Stadtzürcher Heimatschutz 1973–2023
Stadtzürcher Heimatschutz (Hrsg.)

220 x 150 Millimeter
264 Pagine
200 Illustrations
Broschur mit Gewebeüberzug
ISBN 978-3-03863-080-7
Triest Verlag
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