Kunst und Architektur der 70er erleben

Elias Baumgarten
22. Mai 2024
Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal

Ein mittelalterliches Engadiner Bauernhaus, ein traditionelles Tessiner Steinhaus aus dem 18. und eine Jugendstilvilla aus dem frühen 20. Jahrhundert – über 50 historische Gebäude aus unterschiedlichen Epochen macht die Stiftung Ferien im Baudenkmal inzwischen als Urlaubsorte zugänglich. Einzig Bauwerke aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg suchte man bisher in ihrem Angebot vergeblich. Doch nun können Kulturinteressierte eine Ferienwohnung im Hochhaus H2 des Berner Fellerguts mieten. Die Maisonett-Wohnung befindet sich im 14. und 15. Stock des vom Architektenpaar Hans und Gret Reinhard gestalteten Wohnturms. Sie bietet einen herrlichen Blick über die Stadt und bis zum Berner Oberland. 

Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal
Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal

Das Hochhaus mit 20 Stockwerken wurde 1972 als Teil der Siedlung Fellergut gebaut. Es entstand in Systembauweise: Bauteile wie Böden, Decken, Wände und Fassadenelemente aus Beton wurden seriell hergestellt und auf der Baustelle zusammengefügt. So hoffte man, der seit den 1950er-Jahren grassierenden Wohnungsnot rasch entgegenwirken zu können. Hans und Gret Reinhard, die zu Berns bekanntesten Architekten der Nachkriegszeit zählen, orientierten sich an Le Corbusiers bekanntem Konzept der «Rue Intérieure»: Mehrere horizontale Erschliessungsräume verbinden die vertikalen Zugänge zu dem Scheibenhochhaus. Hier treffen sich Bewohnerinnen und Bewohner und können miteinander ins Gespräch kommen. Auf diese Weise würde, so die Hoffnung der Architekten damals, eine Gemeinschaft in dem Grosswohnbau entstehen. 

Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal

Die Erschliessungsräume sind bis heute gut erhalten, genau wie beispielsweise die gemeinschaftliche Dachterrasse und die Waschküche. Auch die nun von der Stiftung Ferien im Baudenkmal vermietete Wohnung erlaubt, in die Baugeschichte einzutauchen: Sie blieb über Jahrzehnte im Besitz der ersten Bewohner und wurde kaum verändert. Nur im Jahr 2019 fanden Renovierungsarbeiten statt. Dabei wich der bauzeitliche Nadelfilz einem Plattenboden und einige Räume wurden dünn verputzt. 2023 kaufte ein Künstler die Wohnung und stattete sie mit Fundstücken aus den 1970er-Jahren aus: Speisen können die Gäste aus Tellern von der Kunstschau «Documenta 5» essen, schlafen werden sie in Betten, die mit dem Verbindungssystem «Klem» gebaut wurden, das einst an der Berliner Akademie der Künste bei Ausstellungen im Einsatz war. Kurzum, die Ferienwohnung, in der bis zu sechs Personen übernachten können, lädt zur Zeitreise in die 70er ein.

Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal
Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal
Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal
Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal

Überhaupt ist das ganze Stadtquartier Bern-Bümpliz, wo sich die Siedlung Fellergut befindet, eine lohnende Adresse für Entdeckungstouren in Sachen Baugeschichte: Das einstige Bauerndorf, in dem Berner Patrizierfamilien sich im 17. und 18. Jahrhundert herrschaftliche Landsitze bauten, entwickelte sich mit der Industrialisierung zum dicht besiedelten Stadtviertel. Heute stehen dort Bauernhäuser neben vornehmen Schlösschen und Arbeiterhäusern, Reihenhaussiedlungen wechseln sich ab mit Wohnhochhäusern. Gerade die Grossüberbauungen aus den 70ern sind dabei übrigens bei den Bewohnenden nach wie vor recht beliebt: Sie schätzen die weitläufigen Grünräume, die Nähe zum Stadtzentrum und die vergleichsweise günstigen Mieten.

Foto: Studio Gataric Fotografie, Stiftung Ferien im Baudenkmal

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