Noch keine Rettung, aber ein Etappensieg

Elias Baumgarten
30. Mai 2024
Foto: © Mara Truog

Wenige Bauvorhaben stehen aktuell so sehr in der Kritik wie das Projekt «Maaglive» der Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site. Es sieht vor, bei der Transformation des Zürcher Maag-Areals zwischen dem Bahnhof Hardbrücke und dem Escher-Wyss-Platz nur die denkmalgeschützten Bauten aus den 1930er- und 1940er-Jahren zu erhalten. Die Lichthalle Maag, das Maag Theater und ein Büroturm der einstigen Zahnradfabrik gleich hinter dem Prime Tower sollen dagegen einem Hochhaus und einem Kulturbau der deutschen Architekten Sauerbruch Hutton weichen. Dabei sind die Gebäude aus den frühen 1970er-Jahren nicht nur Zeugen der industriellen Vergangenheit Zürichs, sondern auch der Entwicklung des Industrieareals zu einem Ort der Kultur: In den ehemaligen Montagehallen finden Konzerte, Theateraufführungen und Kunstausstellungen statt, und das Tonhalle-Orchester hatte dort zeitweise seine Ersatzheimat. 

Der Widerstand gegen die Pläne wuchs umso mehr, als klar wurde: Die Fachjury des Architekturwettbewerbs hatte den Entwurf von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal bevorzugt. Die Pritzker-Preisträger wollten die Maag-Hallen erhalten und ihnen rittlings einen Neubau aufsetzen. Das Komitee «Retten wir die Maag-Hallen» sammelte daraufhin über 10'000 Unterschriften gegen das Projekt «Maaglive» – vergeblich: Die Swiss Prime Site erhielt die Baugenehmigung. Sie hatte sich aus baurechtlichen Bedenken für den Entwurf von Sauerbruch Hutton entschieden: Bis heute gültige Sonderbauvorschriften aus dem Jahr 2004 sehen eine neue Quartierstrasse vor – mitten durch die Maag-Hallen. Allerdings ist das nicht der einzige Grund: Die Immobiliengesellschaft hält das Projekt der französischen Architekten auch für stärker vordefiniert und darum weniger zukunftsfähig, wie ihr Chief Investment Officer Urs Baumann an einem Podium zum Wettbewerb im Sommer 2021 sagte.

Die Stadt muss die Schutzwürdigkeit abklären

Die Hamasil Stiftung und der Zürcher Heimatschutz zogen gegen die Erteilung der Baugenehmigung im Juli vorigen Jahres vor Gericht – wo sie zwei Gutachten vorlegten: Friederike Mehlau-Wiebking und Ruggero Tropeano wiesen auf den Wert der Maag-Hallen als Zeugen des Wandels vom Industrie- zum Kulturbetrieb hin. Für Michael Hanak halten die Bauten vor allem die Erinnerung an die Schweizer Industriekultur wach. Am 16. Mai schliesslich hiess das Baurekursgericht die Anfechtung der Baugenehmigung für «Maaglive» gut. Sie ist nicht mehr gültig. Die Stadt muss jetzt zunächst prüfen, ob Schutzmassnahmen zum Erhalt der drei Bauten zu erlassen sind oder nicht. «Der Entscheid des Baurekursgerichts ist ein Erfolg. Es bestätigt den kulturellen und bauhistorischen Wert der Maag-Hallen», freut sich Alain Thierstein, strategischer Berater der Hamasil Stiftung.

Foto: © Mara Truog
Scheitern als Neustart?

Transformationen anderer Schweizer Industrieareale lehren, dass solche Projekte mit dem klugen Weiterbauen an alten Fabrikhallen, Lagern und Bürohäusern stehen und fallen. Denn ohne Zeitlichkeit und Geschichte bleibt wenig, womit man sich identifizieren könnte – von der ökologischen Fragwürdigkeit von Abriss und Neubau ganz zu schweigen. Das Gerichtsurteil bietet jetzt die Chance, innezuhalten, die Pläne für das Maag-Areal zu hinterfragen und bessere zu entwickeln. Denn erleiden Projekte solche Rückschläge, sind sie meistens noch nicht rund. Es ist Zeit zu zeigen, dass auch in einer Stadt wie Zürich, wo viele potente Investoren auf rasche Entscheidungen drängen, ein umsichtiges Weiterbauen statt Ersatzneubauten möglich ist. Die alten Sonderbauvorschriften müssen angepasst werden. Sie dürfen einen zeitgemässen und klimafreundlichen Umgang mit dem baukulturellen Erbe nicht länger blockieren, weil die Bauherrschaft befürchtet, Baurechtsverstösse zu begehen. 

Doch zum Feiern ist es noch zu früh: Wie der Tages-Anzeiger unter Berufung auf Urs Baumann berichtet, wird die Swiss Prime Site den Entscheid vor dem Verwaltungsgericht anfechten. Und wenn sie das Verfahren doch nicht weiterzieht oder in der nächsten Instanz verliert, ist erst die Prüfung der Schutzwürdigkeit durch die Stadt abzuwarten – wobei die beiden vorliegenden Gutachten positiv stimmen. Guter Städtebau erfordert einen langen Atem. Er entsteht aus Widerspruch, Debatten und manchmal eben auch aus Verwerfen und Umdenken. Das bestätigt ein Blick auf die Geschichte: Selbst die heute viel gelobte und international rezipierte Umgestaltung des Sulzer-Areals in Winterthur gelang erst nach dem Scheitern zweier Grossprojekte. Der Entscheid des Baurekursgerichts ist ein Etappensieg.

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