Magie des Alltags
Susanna Koeberle
12. juin 2020
Miki Tallone, «Archeologie Domestiche», Installationsansicht (Foto: Muriel Hediger)
Die Galleria Daniele Agostini wurde 2017 in Lugano eröffnet. In der aktuellen Ausstellung zeigt der junge Galerist Werke dreier Kunstschaffender, deren Arbeiten durch eine poetische Sicht auf Alltagsobjekte gekennzeichnet sind. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Schau bis Anfang Juli verlängert.
«Archeologie Domestiche» (häusliche Archäologien) nennt die Tessiner Künstlerin Miki Tallone ihre Serie von Rayogrammen. Bei diesem Verfahren (auch Fotogramm genannt) wird ein lichtempfindliches Fotopapier direkt belichtet. Die darauf positionierten Objekte erscheinen auf dem Träger als Negativ. Nicht nur bedarf es dabei keiner Kamera, die als Mittlerin operiert, diese Technik erzeugt auch eine ganz eigentümliche Gegenwart des Objekts. Dieses erscheint als Platzhalter, als gespenstische Spur einer einmaligen Begegnung. Fotografie ist von ihrem Wesen her eine trügerische Angelegenheit, denn was wir sehen, ist ein Abbild der Realität, das zugleich niemals die Sache selbst mitliefern kann. Das Rayogramm (nach dem Fotografen Man Ray benannt, der diese Technik auch verwendete) ist so gesehen ehrlicher, denn es deckt durch die Tatsache der Präsenz im Negativ den Abbildcharakter auf. Gleichzeitig schafft das so entstandene Bild eine neue Bedeutungsebene, die über diese blosse Verdoppelung hinausgeht. Dass Objekte stets mehr sind als ihre augenscheinliche Funktion suggeriert, ist eine Tatsache, die jede Sammlerin und jeder Sammler von Gegenständen intuitiv spürt. Miki Tallone gehört zu diesen Menschen, sie sammelt seit vielen Jahren Löffel. Ihre Sammlung umfasst besondere Utensilien wie ihr erster Löffel (ein Babylöffel mit einem neunzig Grad abgedrehten Laffen) oder Souvenirs von Reisen, welche die Künstlerin unternommen hat. Auch geschenkte Stücke befinden sich in ihrer Kollektion.
Miki Tallone, «Archeologia Domestica 7 + 8», 2020, Fotogramme, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und Galleria Daniele Agostini (Foto: Muriel Hediger)
Der Löffel entpuppt sich dabei als besonders vielschichtiges und bedeutungsgeladenes Objekt. Er verweist auf die Ursprünge der Zivilisation und besitzt überdies globalen Charakter; denn Löffel finden sich in allen Kulturen der Welt. Auf der individualpsychologischen Ebene markiert der Löffel die neu gewonnene Autonomie des Kindes, das sich erstmals selber ernähren kann. In ihrer Arbeit verknüpft Tallone diese archetypischen und individuellen Eigenschaften zu einer installativen und performativen Praxis. Zunächst legt sie die Löffel auf den Träger und kreiert eine Komposition, danach wird das Blatt mehrere Sekunden lang belichtet. In der Dunkelkammer werden die Objekte Schritt für Schritt wieder entfernt. In einem letzten Schritt kommen die Blätter in die Fixierungsflüssigkeiten. Erst dann erscheinen auf magische Weise die Spuren der unterschiedlich geformten Löffel. Interessanterweise liefern diese «Schatten» mehr Informationen als erwartet, sie schaffen auf unerwartete Weise einen Ereignisraum. Denn nicht nur die Form der Löffel wird sichtbar, auch die Materialien, aus denen sie bestehen, sind zu erahnen. Jedes einzelne Objekt hat eine eigene Geschichte, die an seinen Herkunftsort und seine Machart erinnert. Die Löffel stehen zugleich für einen bestimmten Moment im Leben der Künstlerin. Das Souvenir heisst ja nicht umsonst so, denn wir verbinden mit einem solchen Gegenstand die Erinnerung an einen Ort. Diese Objekte sind meist nutzlos, haben aber nichtsdestotrotz eine Funktion, die ihr physisches Dasein transzendiert.
Stefan Milosavljevic, «Ah», Installationsansicht (Foto: Muriel Hediger)
In ihrer künstlerischen Recherche deckt Miki Tallone all diese Aspekte auf, sie wird – wie der Titel der Arbeit das andeutet – zur Archäologin. Was wir auf den Bildern erkennen, ist die Spur all dieser Schichten an Informationen. Eine solche Mehrschichtigkeit und Ambivalenz, die Alltagsobjekten häufig innewohnt, führen auch die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten von Stefan Milosavljevic und Li Gao vor. Der junge Künstler (*1992) serbischer Herkunft arbeitet mit vorgefundenen Materialien und Abfällen, die er zu minimalistischen Skulpturen verarbeitet. Im Werk des chinesischen Künstlers Li Gao wird unsere Wahrnehmung durch die subtile Verfremdung von Alltagsobjekten – wie etwa einer in China gängigen konischen Wegwerftasse – herausgefordert. Durch ihre Materialisierung in Porzellan und ihre geometrisch-strenge Anordnung erfahren die Tassen eine Kontextverschiebung. Auch häusliche Tätigkeiten (wie Sticken) stehen regelmässig im Fokus seines Schaffens. Die drei unterschiedlichen Arbeiten haben eines gemeinsam: Sie verweben weitab liegende Sphären zu einem neuen Kosmos und kreieren damit neue Lesarten unseres Lebensraums.
Li Gao, «Cups» (2020), Porzellan, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galleria Daniele Agostini (Foto: Muriel Hediger)
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