In New York oder jenseits der Erde?
Susanna Koeberle
12. avril 2021
Leere Strassen während des letztjährigen Lockdowns – «Park Avenue», Untertitel: «Manhattan Project», 2020 (mit freundlicher Genehmigung des Künstlers)
In der kleinen Galerie König Büro sind zurzeit Arbeiten des Künstlers Jonas Burkhalter zu sehen. Seine fotografische Recherche in New York während des letztjährigen Lockdowns erlaubt eine Sicht auf die Stadt, welche die Verflechtung zwischen dem Alltäglichen und dem Politischen freilegt.
«Distance Black» nennt Jonas Burkhalter (*1983) seine Ausstellung. Wenn wir die kleinen Räume betreten, zeigen sich tatsächlich erste schwarze «Spuren»: Zwei schwarze Stühle stehen vor einer Gruppe kleinerer, dunkler Fotografien, die L-förmig ein grösseres Bild umrahmen. Und eine schwarze Holzrampe, die ausgehend von einer Art Schaufenster-Barrikade in den Raum führt, lässt erahnen, dass es hier im weitesten Sinne auch darum geht, sich mit der Schräglage der Welt auseinanderzusetzen. Das wird auch schnell klar, wenn man sich den beiden schwarzen Stühlen nähert und sie inspiziert. Er habe diese auf der Strasse in New York gefunden und danach bearbeitet, erklärt mir der Künstler vor Ort. Burkhalter weilte schon 2018 im Rahmen des Atelierstipendiums der Stadt Zürich sechs Monate in New York, danach pendelte er einige Zeit zwischen der Schweiz und den USA. Letztes Jahr beschloss er trotz der unsichern Pandemie-Situation, seine früher begonnene Recherche fortzusetzen. Ging es vielleicht darum, diese merkwürdige, fast surreale Realität der Pandemie einem Reality-Check auszusetzen? Quasi durch eine Überlagerung zweier Perspektiven eine neue Realität zu imaginieren? In der Tat: Von Burkhalters Fotografien geht eine eigentümliche Faszination und Strahlkraft aus. Die leergefegte Metropole offenbart ganz ungewohnte Perspektiven, legt gleichsam neue Bedeutungsschichten frei.
«Times Square», Untertitel: «Manhattan Project», 2020 (mit freundlicher Genehmigung des Künstlers)
Die Grossstadt wird zum Erkundungsfeld von Burkhalters präzisem, messerscharfem Blick durch die Kamera, der uns dank seiner Bilder zuteil wird. Die beinahe schwarzen Fotografien etwa hinter den Stühlen tragen den Titel «Monolith»; sie stellen nichts anderes dar als Bänke aus dunklem Marmor, die der Künstler auf dem leeren Times Square vorfand und so in aller Ruhe fotografieren konnte. Durch das Zoomen auf Details des städtisches Mobiliars werden die Bänke zur abstrakten Landschaft, in der sich die Stadt traumartig in den Wasserflecken spiegelt. Überhaupt erscheint die sonst belebte Stadt durch Burkhalters Augen wie verändert.
Unser Blick verfängt sich in Details, folgt den klar konstruierten Linien der Bilder, die dann plötzlich gefährlich in Schräglage geraten. So etwa beim Bild «Worlds Beyond Earth», das den Eingang des Naturhistorischen Museums (American Museum of Natural History) mit dem Banner der gleichnamigen Ausstellung zeigt. Über dem Rundbogen prangen die Wörter «Truth», «Knowledge» und «Vision», vor dem Aufgang erkennen wir rechts eine riesige Statue des berittenen Theodor Roosevelt, der sowohl einen Schwarzen Menschen als auch einen Native American an Ketten vorführt – eine Geste, die tief in die Denkweise der USA und die ausbeuterische Praxis der amerikanischen Geschichte blicken lässt. Mehrere Absperrvorrichtungen könnten sowohl auf die Corona-Situation als auch auf die Black Lives Matter-Ereignisse des letzten Jahres hindeuten. Weil das Monument ein Symbol von Rassismus und Kolonialismus darstellt, wurde die Statue schliesslich entfernt.
«Worlds Beyond Earth», Untertitel: «Manhattan Project», 2020 (mit freundlicher Genehmigung des Künstlers)
Burkhalter war während seines Aufenthalts in New York meist mit dem Fahrrad unterwegs, suchte seine Sujets aus und lichtete sie zunächst mit einer Digitalkamera ab, bevor er die Örtlichkeiten mit der analogen Grossformatkamera erneut heimsuchte und gezielt ein Bild konstruierte. Von diesem Eingang beispielsweise existieren zwei Aufnahmen, die exakte Komposition ist für den Künstler extrem wichtig, denn erst so beginnt das Bild eine eigene Sprache zu sprechen: Es hält etwas fest, das wir sonst nicht sehen würden. Die surrealen Situationen, die Burkhalter in New York vorfand, bilden ein eigenes Narrativ für den Zustand unserer Welt. Auch dafür steht der Titel «Distance Black». Das Einbetten dieser Bilder in ein installatives Setting verstärkt ihre Wirkung.
Im zweiten, kleineren Raum der Galerie entdecken wir zwei hängende, schwarze Wale («Deep Sleep»), Pottwale um genauer zu sein. In dieser senkrechten Position würden diese faszinierenden Tiere schlafen, erklärt der Künstler. Auch sie nehmen den «schwarzen» Faden des Ausstellungstitels auf. Mich erinnern sie im Umkehrschluss an den weissen Pottwal Moby Dick aus dem gleichnamigen Roman von Herman Melville (1819–1891). Dieses Meisterwerk der Literatur erzählt Kapitän Ahabs Suche nach und den Kampf mit dem Wal Moby Dick. Der irrwitzige Rachefeldzug eines Menschen gegen seinen «Widersacher» steht zugleich für die Ökonomisierung und Ausbeutung der Natur durch den Menschen, ein Thema, das gerade heute grosse Dringlichkeit besitzt. Vielleicht sollten wir, statt gegen das «Ungetüm» Natur zu kämpfen, uns mit dem Propheten Jona(s) in den Walfischbauch begeben und seinem Beispiel folgend Busse tun. Innezuhalten ist bestimmt keine schlechte Idee. Jonas Burkhalters sensible Arbeiten jedenfalls erzeugen die Möglichkeit, unsere Denkrichtung zu ändern. Dass diese vielschichtige Recherche im städtischen Umfeld geschieht, macht sie noch relevanter.