Binia Bill – eine Fotografin, die Rätsel aufgibt
Nadia Bendinelli
31. octobre 2024
Binia Bill, Selbstporträt mit Max Bill, 1931 (Foto: © jakob bill / Fotostiftung Schweiz)
Ihr Name taucht meist nur in Verbindung mit ihrem berühmten Mann auf. Dabei war Binia Bill, die viel zu seinem Ruhm beitrug, in den 1930er-Jahren eine anerkannte Fotografin. Nun verschafft ihr die Fotostiftung Schweiz Sichtbarkeit.
«Binia Bill – Bilder und Fragmente», die neueste Ausstellung der Fotostiftung Schweiz, ist auf mehreren Ebenen interessant. Max Bill ist wohl allen Grafik-, Kunst- und Architekturinteressierten bekannt. Doch für seine erste Frau Binia gilt das nicht, obwohl sie eine bemerkenswerte Fotografin war und mit ihren Bildern die öffentliche Wahrnehmung des Gestalters wesentlich mitprägte. Umso mehr macht die Möglichkeit, sie jetzt wieder oder neu zu entdecken, Freude. Was dabei besondere Neugier weckt, ist ihr von Brüchen bestimmter Werdegang – für den es bis heute keine einleuchtende Erklärung gibt.
Binia Bill starb 1988. Ihre fotografische Karriere beendete sie abrupt über vierzig Jahre zuvor. Gewiss, sie ist nicht die einzige Fotografin, die ihre Kamera plötzlich an den Nagel hängte. Lee Miller zum Beispiel sah nach dem, was sie im Zweiten Weltkrieg erlebt und fotografiert hatte, keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit und liess sich zur Gourmetköchin ausbilden. Auch Lisetta Carmi, deren Lebenslauf verblüffende Parallelen zu Binia Bills aufweist, gab die Fotografie auf. Zunächst war sie wie die Schweizerin Musikerin gewesen. Carmi galt als sehr begabte Konzertpianistin, Binia Bill diplomierte in Paris als Konzertcellistin. Beide wechselten dann zur Fotografie – wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Und beide verliessen den Beruf nach einiger Zeit. Was Binia Bill zu diesem Schritt bewog, bleibt unklar. Sie wurde 1942 Mutter und hörte unvermittelt auf zu fotografieren. Ab diesem Zeitpunkt sprach sie nur noch ungern über ihr früheres Leben als Fotografin, wie in der Monografie «Binia Bill – Fotografien» nachzulesen ist, die 2004 bei Scheidegger & Spiess erschien. Auch das Kuratorium der Fotostiftung fragte nun nach ihren Beweggründen, gelangte aber wiederum zu keiner tieferen Einsicht.
Binia Bill, Atelierhaus Zürich-Höngg, 1933 (Foto: © jakob bill / Fotostiftung Schweiz)
Binia Bill, Kleintiermarkt, Paris, 1930er-Jahre (Foto: © jakob bill / Fotostiftung Schweiz)
Binia Bill, Wanderzirkus, 1930er-Jahre (Foto: © jakob bill / Fotostiftung Schweiz)
So dürfen sich die Besucherinnen und Besucher ihre eigenen Gedanken zum Œuvre der Fotografin machen, das in knapp zwölf Jahren entstand. Gezeigt werden in Winterthur Werbefotografien, reportageartige Aufnahmen und private Augenblicke. Binia Bill wurde in den 1930er-Jahren für ihr Schaffen Anerkennung zuteil: Sie war mit ihren Arbeiten mehrfach Teil der Ausstellungen des Schweizerischen Werkbunds, und 1935 wurde sogar eine Einzelausstellung über sie zusammengestellt. Die Berner Fotoagentur Suzanne Blum vertrat sie, und verschiedene Zeitschriften, insbesondere Föhn und Das Werk, druckten ihre Bilder ab. Mit Max Bill arbeitete sie für gemeinsame Kunden: Sie fotografierte, während er für gepflegte Typografie und aufgeräumte Layouts sorgte. In einige Vitrinen der Fotostiftung sind solche Gemeinschaftsprojekte zu sehen.
Binia Bill, Ohne Titel, um 1932 (Foto: © jakob bill / Fotostiftung Schweiz)
Binia Bill, Zweig mit Blütenranke, 1934–1936 (Foto: © jakob bill / Fotostiftung Schweiz)
Besonders ein Selbstporträt des jungen Paars aus dem Jahr 1931 suggeriert eine ebenbürtige Zusammenarbeit. Die Bills tragen sogar dieselbe Frisur, die Fotografin wirkt selbstbewusst. Binia hielt die Arbeit ihres Mannes mit der Kamera fest: In der Ausstellung sind einige Schriftzüge auf Fassaden zu sehen, zum Beispiel die Beschriftung des Zett-Hauses von Rudolf Steiger und Flora Steiger-Crawford in Zürich. Binia Bills Bilder spielten eine wichtige Rolle bei der Inszenierung von Max Bills Werk und machten ihn bekannt.
Ihre avantgardistische Arbeitsweise mit spannungsvollen Licht-Schatten-Kontrasten, ungewöhnlichen Perspektiven und einem experimentellen Ansatz ist in Auftragsfotografien genauso zu erkennen wie in freien Arbeiten. Hinzu kommt ein empfindsamer Blick für kleinste Details und die Schönheit einfacher Dinge. Ein Besuch der wunderbaren Ausstellung führt Binia Bills Können deutlich vor Augen – und macht gerade deswegen ihren Werdegang noch rätselhafter. Warum nur wollte sie plötzlich nichts mehr von der Fotografie wissen?
Die Ausstellung «Binia Bill – Bilder und Fragmente» ist noch bis zum 26. Januar 2025 bei der Fotostiftung Schweiz (Grüzenstrasse 45, 8400 Winterthur) zu sehen.