Cinémathèque suisse

EM2N
16. avril 2020
Foto: Damian Poffet
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Der spezielle Charme des bestehenden Filmarchivs in Penthaz lag paradoxerweise in seiner einfachen und utilitären Erscheinungsform. Im Grunde genommen bestand die Heimat des nationalen, kollektiven Filmgedächtnisses beim Start des Projektwettbewerbs aus einer Ansammlung unprätentiöser Baracken einer ehemaligen Druckerei.

Foto: Damian Poffet
Foto: Damian Poffet
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


In Form und Ausdruck war die Cinémathèque suisse mehr dem Inhalt als der Verpackung verpflichtet. Diese nicht repräsentative Produktions- und Lagerstätte der Filmkultur wurde für uns deshalb schnell zum zentralen Anknüpfungspunkt und zum Leitgedanken für die bauliche Transformation des Bestands. Die Struktur der bereits existierenden, linear aneinandergereihten Bauten wurde durch Hinzufügen und Überformen in eine komposite, mehrdeutige Form von parallelen, unterschiedlich langen Körpern überführt. Die eingehängten Sitzungszimmer in der zweigeschossigen Eingangs- und Ausstellungshalle sind durch Fenster miteinander verbunden. Diese erzeugen in der Durch- und Quersicht sowohl perspektivische Tiefe als auch Assoziationen zu filmischen Effekten wie Schnitt, Montage und Überblendung, während die modulierte, verdichtete Landschaft aus flach geneigten Dächern das Thema von industriellen Produktionsstätten oder Filmstudios aufgreift.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Die im Wettbewerb getroffenen primären Entscheidungen in der geometrischen Organisation des Gebäudekörpers und der Programmverteilung erwiesen sich im Laufe der Projektentwicklung als richtig. Innerhalb dieser stabilen Grundordnung gab es gegenüber dem Wettbewerbsprojekt zahlreiche planerische Anpassungen, die sich aus dem intensiven Austausch mit den Nutzer*innen und der Bauherrschaft ergaben. Insbesondere der unterirdische Archivtrakt wurde im Hinblick auf die maximale Lagerkapazität und die zukünftige Möglichkeit einer Erweiterung optimiert, was erst in enger Abstimmung zwischen Tragwerk, Haustechnik und detaillierter Lagerlogistik möglich wurde.

Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Durch die Konzentration der öffentlichen Bereiche und aller Arbeitsplätze in einem Trakt konnte das eigentliche Archiv auf der anderen Strassenseite als unterirdisches Lager konzipiert werden. Das Archiv wird zu einem funktionalen Bunker, der den kulturell wertvollen Artefakten optimalen Schutz bieten kann. Hier können die für eine dauerhafte Konservierung notwendigen Rahmenbedingungen wie konstante Luftfeuchtigkeit und differenzierte Temperaturbereiche optimal auf die verschiedenen Kulturgüter abgestimmt werden. Durch die örtliche Separierung entsteht eine Art städtebauliche Disposition – die einerseits auf die Weite der angrenzenden Ackerlandschaft reagiert und andererseits der Institution Cinémathèque suisse eine klare und pointierte Adresse verschafft.

Foto: Damian Poffet
Foto: Damian Poffet
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Der vergrösserte, oberirdische Aufbau des Archivs ist – neben dem Wechsel des Fassadenmaterials von Büro- und Produktionsgebäude aus brandschutztechnischen Gründen – sicherlich die augenfälligste Veränderung gegenüber dem Wettbewerbsprojekt. Im Laufe der Planung zeigte sich, dass aufgrund der komplexen Etappierung der Bauarbeiten im laufenden Betrieb jederzeit ein leistungsfähiger und sicherer Erschliessungsbereich zu den neuen Archivräumen gewährleistet sein musste. Diese notwendige Projektanpassung, die sich im langgezogenen eingeschossigen Pavillon aus Sichtbeton manifestiert, erhöht jedoch gleichzeitig auch die zukünftige betriebliche Flexibilität der Gesamtanlage und erleichtert eine allfällige Evakuierung des Archivs in einem Krisenfall. 

Mit der Planung und Realisierung der Cinémathèque suisse hat sich einmal mehr gezeigt, dass sich die programmatischen Anforderungen einer lebendigen Institution nicht in Stein meisseln lassen. Der Film und die damit verbundenen Produktionsbedingungen – denken wir etwa an die allumfassende Digitalisierung – sind einem ständigen inhaltlichen und technologischen Entwicklungsprozess unterworfen. So gesehen ist die bauliche Fassung des Filmarchivs notwendigerweise ein Gefäss, das diesem sensiblen Kulturgut langfristig optimalen Schutz bieten kann, gleichzeitig aber in der Lage sein muss, technologische Veränderungen zu antizipieren und strukturell sinnvoll aufzunehmen.

Foto: Damian Poffet
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


In zweierlei Hinsicht: Einerseits auf der inhaltlichen Ebene als Sammlungszentrum, denn wir haben bereits das Schaulager des Museums für Gestaltung Zürich und das Staatsarchiv des Kantons Basel-Landschaft realisiert, andererseits auf der gestalterischen Ebene, auf welcher wir uns immer wieder mit industrieller Bauweise und dem damit verbundenen architektonischen Ausdruck auseinandersetzen.

Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Eine neue Hülle aus rostendem Stahl, einem industriellen Material mit sinnlicher Ausstrahlung, ummantelt die gesamte Anlage, bindet bestehende und neue Teile zusammen und schützt deren Inhalt. Die langsame Verwitterung des Materials verweist auf die bewahrende Funktion des Archivs und verleiht dem Komplex eine eigenständige Identität. Der warme Rostton steht in einem spannungsvollen Kontrast zum Farbspektrum der umgebenden Landschaft. Das grosse Fenster des zweigeschossigen Ausstellungsraums wirkt als Auge und verweist zeichenhaft auf den aussergewöhnlichen Inhalt des Hauses.

Situation
Grundriss Erdgeschoss
Querschnitte und Längsschnitt
Ort
Chemin de la Vaux 1, 1303 Penthaz

Auftragsart
Wettbewerb (2007)
 
Bauherrschaft
Bundesamt für Bauen und Logistik BBL
 
Architektur
EM2N Architekten AG, Zürich
Partner: Mathias Müller, Daniel Niggli
Associate: Marc Holle, Christof Zollinger
Projektleiter: Bettina Baumberger, Jean-Baptiste Joye, Roger Küng
Projektteam (Wettbwerb): Ruben Daluz, Phillippe Jorisch, Yoshihiro Nagamine
Projektteam (Ausführung): Julia Berger, Stefan Berle, Laurent Chassot, Nadine Coetzee, Nicolas de Courten, Pascal Deschenaux, Melih Dilsiz, Yann Dubied, Ramona Elmiger, Amélie Fibicher, Marita Gelze de Montiel, Gregor Goldinger, Sebastian Knorr, Robert Kuijper, Andreas Lahti, Andrea Landell, Minka Ludwig, Raúl Mera, Stéphanie Morel, Klaudija Oroshi, Fabien Oulevay, Jeremias Pellaton, Bernard Radi, Adriano Reis, Tanja Schmid, Daniela Sigg, Eva-Noemi Thiele, Agata Tyszecka, Danessa Urquiola, Jonas von Wartburg, Sven Ziegler, Michael Zürcher
 
Fachplaner
Bauleitung und -realisation: Tekhne SA, Lausanne und a.planir sàrl, Echallens
Bauberatung: Brandenberg + Ruosch AG, Bern
Bauingenieur: Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Zürich und Boss & Associés Ingénieurs Conseils SA, Ecublens
Fassadenplaner: Basler & Hofmann AG, Zürich
HLKS-Planung und Koordination Haustechnik: Gruenberg + Partner AG, Zürich
Elektroplanung: IBG B. Graf AG, St. Gallen, Josef Piller SA, Givisier und Betelec SA, Villars-Sainte-Croix
Bauphysik: Kopitsis Bauphysik AG, Wohlen
Raumakustik: Applied Acoustics GmbH, Gelterkinden
Brandschutz: CR Conseils Sàrl, Oron-la-Ville
Sicherheit: Holliger Consult, Epsach
Geologe und Geotechnik: De Cérenville Géotechnique, Ecublens
Verkehrsplanung: IBV Hüsler AG, Zürich
Landschaftsarchitekt: Studio Vulkan, Zürich
Signaletik: Jannuzzi Smith Sagl, Lamone
Schadstoffsanierung: HPB Consulting, Zürich
Motion Design: La Boite Visual Art, Locarno und L’Immagine Ritrovata, Bologna (Italien)
 
Jahr der Fertigstellung
2019
 
Bruttogeschossfläche
13'110 m2
 
Fotos
Damian Poffet

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