Die Axt des Grossvaters
Susanna Koeberle
13. octubre 2020
Installationsansicht der Schau «Grandfather’s Axe» (Foto: Bianca Pedrina)
Bianca Pedrina lud fünf Künstler*innen ein, sich ausgehend vom Areal der Kaserne Basel mit dem Thema der Identität eines Ortes auseinanderzusetzen. Die Schau «Grandfather’s Axe» im Ausstellungsraum Klingental eröffnet neue Perspektiven auf den städtischen Raum und seine Veränderung.
Gerade Städte sind Orte, die sich stetig wandeln. Diese Transformationen tragen zur Identität eines Ortes bei. Diese basiert allerdings auf einem vielgestaltigen Konglomerat von Informationen, die sowohl materieller wie auch immaterieller Natur sind. Die Schweizer Künstlerin Bianca Pedrina setzt sich in ihrer Arbeit stark mit dem Thema Identität auseinander. In diesem Kontext befasste sie sich auch mit der Bedeutung der städtebaulichen Eingriffe im Rahmen der Renovation des Basler Kasernenareals durch Studio Focketyn Del Rio. Der Ausstellungsraum Klingental ist Teil dieser Anlage. Pedrina lud fünf Kunstschaffende ein, mit ihren Arbeiten die Geschichte des Ortes sowie die allgemeine Frage nach der Wahrnehmung von Stadt zu reflektieren. Die unterschiedlichen Positionen in der Schau «Grandfather’s Axe» (zum Titel später mehr), die bis zum 15. November 2020 zu sehen ist, konzentrieren sich dabei einerseits auf den Raum als solchen, indem sie seiner Geschichte nachgehen. Andere nehmen den Ausstellungsraum zum Ausgangspunkt, um grundsätzliche Fragen zu Architektur und Ort zu stellen.
Auch die Archäologen der Stadt Basel nutzten den Umbau, um ältere Schichten des Ortes freizulegen und zu untersuchen. Die Recherche der Kuratorin, der Künstler*innen sowie verschiedener Autor*innen ergab ein vielschichtiges Bild, das vom Mittelalter bis in die Neuzeit reicht und sogar in die Zukunft weist; eine Begleitpublikation zur Ausstellung rollt verschiedene Aspekte dieser Untersuchungen auf: Bevor das Gebiet im Zuge der Reformation militärischen Zwecken zugeführt wurde, befand sich dort das Nonnenkloster Klingental. In den 1970er-Jahren wurde aus der Kaserne schliesslich ein Kulturzentrum. Die vielen materiellen und funktionellen Veränderungen werfen die Frage auf, wie sich die Identität eines Ortes bildet. Auf diese Fragestellung weist der etwas kryptische Titel der Schau hin, der ein philosophisches Gedankenexperiment bezeichnet. Besser bekannt als «Schiff des Theseus» berührt es die Frage, ob ein Gegenstand seine Identität verliert, wenn viele oder gar alle seiner Einzelteile nacheinander ausgetauscht werden. Können wir immer noch von derselben Axt sprechen, nachdem Stiel und Kopf ersetzt wurden? Wie verhält es sich mit der Identität eines Ortes? Was genau macht einen Ort aus? Inwiefern wird die Identität eines Gebäudes, eines Raumes oder eines Platzes durch seine vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Bestandteile beeinflusst, geprägt und geformt?
Eine der Glasskulpturen von Anna Maria Balint (Foto: Bianca Pedrina)
Die Kuratorin lud Kunstschaffende ein, die sich in ihrer Arbeit Aspekten der Zeitlichkeit widmen. Zu den fünf zeitgenössischen Positionen (Anna Maria Balint, Karsten Födinger, Michiel Huijben, Christian Kosmas Mayer, Valle Medina & Benjamin Reynolds (Pa.LaC.E)) gesellen sich eine Arbeit von Superstudio sowie ein historisches Dokument aus dem Klosterarchiv. Im ganzen Raum verteilt sind Arbeiten der jungen Basler Künstlerin Anna Maria Balint, die aus Antikglas und Blei bestehen. Balint liess sich durch die Kirchenfenster des Klosters inspirieren, von denen bei den Ausgrabungen nur noch Scherben gefunden wurden. Die Formen der Objekte stellen abstrahierte Gewänder der Nonnen dar. Karsten Födinger wiederum baute eine Säule aus rot pigmentiertem Beton. Er bekam dafür die Originalfarbe des Neubaus der Kaserne, die ihrerseits auf den roten Sandstein Bezug nimmt. Hier scheint die titelgebende Fragestellung wieder auf, die den Zusammenhang zwischen Original und Nachahmung ergründet.
Installation von Valle Medina & Benjamin Reynolds (Foto: Bianca Pedrina)
Die Ausgrabungen im Klingental förderten auch einen Kalkofen aus dem Mittelalter zutage. Dies weckte Christian Kosmas Mayers Interesse. Das Wissen um die Nutzung von Kalk als Baustoff geht heute zusehends verloren. In Zusammenarbeit mit dem Engadiner Verein kalkwerk entwickelte der Künstler eine mehrteilige Installation. Am Eröffnungsabend gab es eine Performance, bei der Branntkalk gelöscht wurde. Über verschiedene Objekte verbindet Christian Kosmas Mayer den Kreislauf von Kalkstein mit verschiedenen Zeitepochen.
In eine andere Richtung geht das Video von Michiel Huijben, das ein architektonisches Detail thematisiert, namentlich einen Türgriff, den Ludwig Wittgenstein für das bekannte «Haus Wittgenstein» in Wien entwarf. Huijben fragt damit nach der Beziehung zwischen Teil und Ganzem (beziehungsweise Autor*in und Werk).
Die beiden Architekten Valle Medina und Benjamin Reynolds setzten sich mit der Bedeutung von Wasser auseinander. Sie bauten einen abstrakten Schiffsbug, der in seiner Materialität und Farbigkeit allerdings sehr organisch wirkt. Darunter deuten sie mit sechs «Waschbrettern» ein Waschhaus als Ort der Kollektivität an. In die Mitte platzierten sie ein auf Seife basierendes Material, das zudem an das Sekret einer invasiven Spezies erinnert, die über die Ballasttanks vorbeifahrender Schiffe nach Basel eingeschleppt wurde.
Die letzte Arbeit stammt vom legendären Kollektiv Superstudio, das in den 1960er- und 1970er-Jahren aktiv war. Von Gian Piero Frassinelli, einem der Gründer, bekam Pedrina eine Originallithographie aus der Serie «Il monumento continuo: un modello architettonico di urbanizzazione totale» ausgeliehen. Die Vielfalt der unterschiedlichen Werke eröffnet einen transdisziplinären Dialog, der einen neuen Blick auf den städtischen Raum und seine Veränderung erlaubt.
Die Öffnungszeiten sind montags, donnerstags und freitags jeweils von 15 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 13 bis 18 Uhr.