Die Schule der Wahrnehmung: Wie vermittelt man Kindern Baukultur?

Elias Baumgarten
5. April 2022
Foto: Elias Baumgarten
«Manchmal behaupte ich, ich würde mich für Architektur interessieren. Gelogen ist es zwar nicht, wenn ich dann aber mein baukulturelles Wissen so richtig ernsthaft in die Mangel nehme, muss ich zugeben, dass ich es in diesem Bereich nicht so weit gebracht habe, wie ich mir vielleicht vorgaukle.»

Roland Reichenbach

 

Voriges Jahr wurde das Buch «Elemente einer baukulturellen Allgemeinbildung» mit dem Preis für Architekturbücher des Deutschen Architekturmuseums und der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet. Das überaus lesenswerte Grundlagenwerk des Vereins Archijeunes stösst auch im Ausland auf grosse Resonanz und viel Wertschätzung. Von Samuel Bänziger, Rosario Florio und Larissa Kasper hervorragend ausgestaltet, trifft das rote Buch mit 16 Beiträgen von Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen rund um das Bauen einen Nerv: Es zeigt, welch grossen Einfluss unsere gebaute Umwelt auf die Lebensqualität eines jeden Einzelnen hat. Und es macht deutlich, dass baukulturelles Grundwissen in der Schule vermittelt werden muss, soll die Welt von morgen ein besserer Ort sein. Doch wie bringt man Kindern und Jugendlichen Grundwissen über die gebaute Umwelt eigentlich bei? Besonders Lehrer*innen dürften sich das nach der Lektüre wohl fragen. Antworten liefert nun ein weiteres Buch: «Kinder erkunden die lokale Baukultur» von Noëlle von Wyl, Lea Weniger und Barbara Windholz. 

 

Elemente einer baukulturellen Allgemeinbildung

Elemente einer baukulturellen Allgemeinbildung
Archijeunes (Hrsg.)
Mit Beiträgen von Ákos Moravánsky, Roland Reichenbach, Martin Tschanz, Martina Löw, Anne Brandl, Niklas Naehrig, Joseph Schwartz, Benjamin Dillenburger, Markus Koschenz, Gabi Dolff-Bonekämper, Elli Mosayebi, Laurent Stalder, Heiner Monheim, Kristina Orehounig, Claudia Moll und Vittorio Magnago Lampugnani

160 x 220 Millimeter
412 Pages
268 Illustrations
Broschiert
ISBN 9783038602262
Park Books
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Mit ihm legen die drei Autorinnen die Ergebnisse ihres umfangreichen Forschungsprojekts «Schuldetektive – Kinder erkunden die lokale Baukultur» (Pädagogische Hochschule Schwyz) vor. Lehrer*innen finden in dem neuen Buch ein Unterrichtskonzept mit konkreten Anwendungsbeispielen. Sie bekommen gezeigt, wie Schulstunden zu verschiedenen baukulturellen Themen aufgebaut werden können. Die Praxisbeispiele sind kompakt beschrieben und inspirierend bebildert. Immer umfasst die Präsentation eine diagrammatische Darstellung der Unterrichtseinheit, einen Beschreibungstext, Fotos sowie Hinweise zu den benötigten Werkzeugen, Materialien und zu weiterführender Fachliteratur. Letztendlich handelt es sich also keineswegs um die trockene Aufbereitung einer wissenschaftlichen Arbeit, sondern um ein Lehrbuch für Lehrende. Das vermittelt auch die Buchgestaltung überzeugend.

Gezeigt wird zum Beispiel, wie Kinder der ersten Klasse Steinhausen erkundet haben: Nachdem sie gelernt hatten, einen Schwarzplan zu lesen, unternahmen sie mit ihrer Lehrerin einen Erkundungsspaziergang. Ihre Entdeckungen hielten sie mit der Kamera fest, hernach wurden «Kopfkarten» gezeichnet. Schliesslich wurde der gemeinsame Spaziergang zur Grundlage für die Auseinandersetzung mit Fassadenmaterialien und deren Wirkung. Dabei lernten die Kinder verschiedene Baustoffe kennen und meisterten den Transfer zwischen 2D-Zeichnungen und selbst gebauten dreidimensionalen Modellen. 

 

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten
«Ich möchte, dass meine Kinder die Welt verstehen, aber nicht nur, weil die Welt faszinierend und der menschliche Geist neugierig ist. Ich möchte, dass sie sie verstehen, damit sie in der Lage sind, sie zu einem besseren Ort zu machen.»

Horward Gardner, in: «Frames of Mind: The Theory of Multiple Intelligences», 2011

Wo, wie viel und wie wir künftig bauen, hat einen grossen Einfluss darauf, ob es gelingt, viele der grossen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen: Schaffen wir es, die Klimakrise zu meistern? Gelingt uns die Bewahrung wertvoller Naturlandschaften und die Pflege unseres baukulturellen Erbes? Können wir unsere Städte und Dörfer architektonisch qualitätsvoll, aber auch sozial nachhaltig verdichten? Wohl alle am Bau Beteiligten sind sich ihrer Verantwortung mittlerweile mehr oder weniger bewusst, doch gesamtgesellschaftlich ist die Bedeutung des Bauens noch viel zu wenig Thema. In der politischen Debatte wird die soziale, ökologische und ökonomische Bedeutung der gebauten Umwelt zu selten und zu wenig breit besprochen. Es wäre sehr wünschenswert, möglichst vielen Menschen ein Grundwissen rund um das Bauen an die Hand zu geben und bei ihnen vor allem ein Interesse an der Architektur zu wecken. Und es ist auch klar, dass gerade die Schweiz mit ihrem basisdemokratischen System, in dem über die Gestaltung der (gebauten) Umwelt vielfach abgestimmt wird, hiervon noch in erhöhtem Masse profitieren könnte. Im Unterricht an unseren Schulen wird die Thematik aber noch zu wenig beackert, und andere Institution ziehen sich aus der Vermittlungsarbeit gar zurück: In den Schweizer Tageszeitungen zum Beispiel finden wir gut gemachte Artikel von ausgewiesenen Expert*innen zu baukulturellen Themen leider immer seltener. 

Doch die blosse Forderung, Schüler*innen baukulturelles Grundwissen beizubringen, reicht natürlich nicht. Lehrer*innen brauchen Inspiration und auch konkrete Hilfestellung. «Kinder erkunden die lokale Baukultur» liefert genau das. Das Buch ist als gelungene Antwort auf «Elemente einer baukulturellen Allgemeinbildung» zu verstehen. 

 

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten
Kinder erkunden die lokale Baukultur. Ein Unterrichtskonzept für baukulturelle Vermittlung

Kinder erkunden die lokale Baukultur. Ein Unterrichtskonzept für baukulturelle Vermittlung
Noëlle von Wyl, Lea Weniger und Barbara Windholz

210 x 270 Millimeter
272 Pages
Freirückenbroschur mit vollflächig verklebtem Vorsatz
ISBN 9783035519716
hep
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