Schulrealität und Illusionsraum
Karin Frei Rappenecker
19. November 2014
Yvonne Müller «ZeitRaum», Berufsfachschule Basel. Bild: Martin Friedli
Ein Gang durch die neu renovierte Berufsfachschule Basel birgt Überraschungen.
Was sich «hinter» einzelnen Rundbögen im Schulhausgang befindet, irritiert auf den ersten Blick. Zunächst vermutet man einen verborgenen Gang, der über einen anderen Eingang zu erreichen ist. Dann ein riesiges Fenster, das sich über mehrere Geschosse zieht und das durch den Bogen nur partiell sichtbar ist. Locken hier etwa Gegenwelten wie bei Harry Potter, in die sich die SchülerInnen verziehen können?
Partner Kunst & Architektur: Implenia
Yvonne Müller «ZeitRaum», Berufsfachschule Basel. Bild: Martin Friedli
Erst, wenn man nähertritt, entpuppen sich diese «dahinter»liegenden architektonischen Elemente als Illusion. Doch das Trugbild wird nicht etwa durch klassische Illusions-Malerei hervorgerufen, sondern durch auf Wände applizierte Fotografien von Architekturdetails sowie durch skulpturale Setzungen wie Attrappen von Treppen oder hölzerne Handläufe, die sich in den realen Raum vorschieben.
Verbindungselemente
Die Basler Künstlerin Yvonne Müller stellt mit ihrem Werk «ZeitRaum» eine Verbindung zwischen Schul- und Traumwelt her, zwischen Realität und Fiktion. Die Treppenattrappen bieten über ihren visuellen Reiz hinaus auch reale Sitzmöglichkeiten. Warum nicht auch zum Tagträumen? Die Verschränkung funktioniert jedoch nicht nur inhaltlich und im Hier und Jetzt. «ZeitRaum» schafft auch eine zeitliche Verschränkung. Dass Müller die architektonischen Details, die fotografisch abgebildet sind, vor der Innensanierung der Berufsschule aufgenommen hat, sieht der Laie zwar nicht. Diese Nicht-Unterscheidbarkeit von «vorher» und «nachher» macht aber deutlich, dass sich sowohl die Architekten wie auch die Künstlerin sehr an die Vorlage des 1914 bis 1916 von Hans Bernoulli erbauten und heute unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes gehalten haben.
Müllers Arbeit bringt den originalen Zustand mit demjenigen von heute zusammen. Mit der visuellen Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart bringt sie auch Generationen zusammen – eine sinnige Geste in einem Schulhaus, in welchem Wissen von einer Generation an die nächste vermittelt wird.
Yvonne Müller «ZeitRaum», Berufsfachschule Basel. Bild: Martin Friedli
Kunst im Korsett?
Für die Kunst wurden von der Wettbewerbs-Jury drei Nischen auf drei übereinander liegenden Stockwerken als Perimeter gewählt – ein sehr enger Rahmen für eine künstlerische Intervention im architektonischen Kontext. Da stellt sich die Frage, warum nicht mehr Möglichkeiten als Aktionsradien vorgeschlagen wurden.
Eine Antwort praktischer Natur liegt auf der Hand: Bernoulli hatte in den Gängen Waschbecken installiert, die heute nicht mehr gebraucht werden. In diesen Nischen machten damit auch die denkmalgeschützten Kacheln der ehemaligen Nasszonen für die BerufsfachschülerInnen keinen Sinn mehr. Man musste sich überlegen, was mit diesen Nasszonen passieren sollte. Dies ist aber nur ein Teil der Antwort, gibt es doch bei Umbauten immer viele Auflagen von Feuerpolizei oder Denkmalschutz, die es nicht nur für die Architektur zu berücksichtigen gilt. Auch die Kunst muss sich diesen Bedingungen stellen.
Im vorliegenden Fall hat die Auftraggeber- und Nutzer-Seite explizit eine «Aufwertung» des Gangbereichs gewünscht. Für den offenen Kunstwettbewerb wurde somit ein Perimeter ohne Alternative angeboten. Der so eng gesetzte Rahmen könnte einem Korsett gleichkommen, in das man die Kunst zwängt: Welche Funktion wird der Kunst hier genau zugespielt? Zeichnet sich Kunst nicht eben durch Funktionslosigkeit aus? Allzu oft wird der Anspruch an Kunst im architektonischen Kontext gestellt, dass sie Unstimmigkeiten in der Architektur kaschieren oder vernachlässigte Partien «aufwerten» soll. Aufträge mit diesem Hintergrund kommen für Künstler jedoch einer Gratwanderung gleich, die nicht immer gelingt.
Yvonne Müller hat diese Herausforderung souverän gemeistert: «ZeitRaum» kommt unspektakulär daher, besticht aber durch seine intelligente Integration ins Gebäude. Die Arbeit bindet sich ein in die bestehende Architektur und wird eins mit ihr, bleibt aber dennoch eigenständig. Sie verbindet Altes mit Neuem und ist gleichzeitig ein Spiel mit fiktiven Welten, ohne die realen Bezüge zu vernachlässigen. Müllers Illusionen dienen nicht dazu, die Räume grösser wirken zu lassen oder Ausblicke auf Fantasielandschaften zu gewähren, wie dies das Ziel der klassischen Trompe l’oeil-Malerei – der Kunst der Augentäuschung – war. Vielmehr verführen sie uns dazu, den Blick zu schärfen auf dem Weg durchs Gebäude – und vielleicht auch auf dem Weg durchs Leben.
Yvonne Müller «ZeitRaum», Berufsfachschule Basel. Bild: Martin Friedli
Informationen Architektur
Bauherrschaft: Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt, Hochbauamt
Architektur: Rüdisühli Ibach Architekten BSA SIA AG
Baukosten: CHF 3 Mio.
Informationen Kunst
Auftraggeber: Kanton Basel-Stadt
Auftragsart: Offener Wettbewerb, Ausschreibung Kunstkredit Basel-Stadt
Künstlerin: Yvonne Müller
Titel: ZeitRaum, 2014
Material: Fotografisch bedruckte Folien (Prepasted Wallpaper Sol Persomural), mit UV-Mattlack lackiert, bemaltes MDF, Eiche
Dimensionen: adaptiert an die architektonische Situation
Budgetrahmen: CHF 80'000
Yvonne Müller «ZeitRaum», Berufsfachschule Basel. Bild: Martin Friedli
Yvonne Müller «ZeitRaum», Berufsfachschule Basel. Bild: Martin Friedli
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