Mutationen und Reaktionen

Aita Flury Architektin
11. February 2021
Silhouettenbildende Südfassade mit den Eingangsloggien der Kindergarteneinheiten (Foto: Ralph Feiner)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Das Bauen für Kinder bringt sicherlich einige spezifische Fragen mit sich wie zum Beispiel in Bezug auf Höhenordnungen oder Massstäblichkeit. Die grundsätzlichen räumlichen Fragen bleiben aber stets die gleichen: Welche Wahrnehmungsempfindung ist erwünscht, welche architektonischen Mittel führen zu welcher Raumwirkung? Das Streben nach Ausgewogenheit und optischer Festigkeit, nach Grosszügigkeit und Würde, das Einführen von gliedernden Massnahmen und das Masshalten der verschiedenen Elemente untereinander, die präzise Verzahnung von Innen- und Aussenraum, die Verhandlung von Ruhe und Dynamik, die Balance zwischen Offenheit und Geschlossenheit, die Art der Raumfiguren und so weiter – diese Themen sind für mich die Treiber von jedem Entwurf.

Das zweigeschossige FuSTA-Gebäude (Familien und schulergänzende Tagesstrukturen) bildet den Schlussstein der Reihung. Wie Hosenträger vertikalisieren «Pfostenschilder» und Regenfallrohre die Eingangsfassade, die Umhüllung des Monoblocks lässt die innere Zentriertheit aufscheinen. (Foto: Ralph Feiner)
Die Gasse zwischen Kindergarten und FuSTA-Bau als taktiler Erfahrungsraum; die Rundschindelschirme der Seitenfassaden sind etwas profilierter und haptischer als die rechteckigen Glattschindelschirme, die bei den Hauptfassaden verwendet worden sind. (Foto: Ralph Feiner)
Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


Wie bei all meinen Projekten nährt sich auch dieses hier aus einem Speckgürtel von unterschiedlichen Vor-Bildern. Genauso wichtig ist aber die gleichzeitige Suche nach Erneuerung: Meine Entwürfe gründen immer auf der Idee, Kontinuität und Veränderung möglichst eng miteinander zu verschränken. Die Morphologie der Baukörper zeigt offensichtliche Bezüge zum Kindergartenhaus in Wiedikon von Hans Hoffmann: Unser Projekt übernimmt sowohl die Typologie der gereihten Kindergärten mit ihren überhöhten Haupträumen als auch die Idee des zweigeschossigen Baukörpers der Tagesbetreuung als Schlussstein beziehungsweise Kopfbaute. Die Grundrisse hingegen folgen anderen, eigenen Absichten: Ziel waren Raumfolgen, die trotz der gereihten Grundordnung kreisende, zentrierende Bewegungen ermöglichen. Die einzelnen, separat organisierten Kindergarten-Abteilungen sind rundlaufartig organisiert und können zudem über grosse Flügeltüren untereinander zu einer ganglosen Entität zusammengeschlossen werden. Die Räume der Familien und schulergänzende Tagesstrukturen (FuSTA) sind kranzartig um ein mittiges Turmzimmer angeordnet. Diese Organisation zeigt gleich doppeltes «Kreisen-Potenzial» – einerseits in direkter Adhäsion zum räumlichen Zentrum, andererseits an peripherer Lage entlang der Fassadenfluchten.

Die blockhaften Baukörper (im Bild die Westfassade des Kindergartens) sind fein moduliert und zeigen ein klares Öffnungs-Schliessungs-Verhalten. Das Ornat des Schindelkleids mit seinen Luminositäten kann in voller Kraft in Erscheinung treten. (Foto: Ralph Feiner)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Die beiden Neubauten komplettieren die Anlage des Stäpflischulhauses, indem sie sich in die Bestandslogik einreihen: Einzelne, leicht zueinander verdrehte beziehungsweise versetzte Baukörper, die am jeweils äusseren Strassenverlauf orientiert sind, bilden zusammen einen durchlässigen Hofraum. Die neuen, kubisch-einfachen und blockhaften Baukörper zeigen in ihren Abwicklungen feine Modulationen, welche die Gebäude und den Umraum miteinander verzahnen: Das neue Kindergartengebäude ist geprägt von seiner silhouettenbildenen Abwicklung, welche die innere Schnittidee der unterschiedlichen Raumhöhen anzeigt. In der Horizontalen unterstützen die eingezogenen Loggien zudem die Erfahrbarkeit der Einheiten. Die vertikale als auch horizontale Rhythmisierung der Fassaden steht im Dienst von Massstäblichkeit, Verortung und Identifikation. Wichtige Pendants zu den Hauptbauten bilden die beiden Gartenhäuser im Westen und Osten, die den privaten Aussenraum innerhalb des Hofraums definieren.

Hauptraum Kindergarten mit Akustikdeckenhaube (Foto: Ralph Feiner)
«Geschminkte» Oberlichtaugen ziehen den Hauptraum im Inneren des Gebäudes optisch in die Höhe. (Foto: Ralph Feiner)
Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Im Zuge von Sparrunden musste die Morphologie der Baukörper teilweise verändert werden. Konkret resultierte daraus eine Verflachung der Kindergarten-Silhouette und damit eine geringere Raumhöhe bei deren Haupträumen. Die Südfassade der FuSTA-Baute wurde durch die Wegnahme der Loggien und deren äusserer Erschliessung «entkleidet». Das Auffüllen ihres mittigen Atriums zu einem Innenraum liess sie zu einem «bobafett» von 20 mal 20 Metern werden. 

Um die räumlich schmerzhaften Änderungen zu kompensieren, wurden zahlreiche neue architektonische Massnahmen implementiert: Zur Vertikalisierung des verflachten Baukörpers des Kindergartens und zur Bewahrung eines Mindestmasses an feinräumlicher Verzahnung des FuSTA-Gebäudes mit dem Umraum wurden an den Hauptfassaden plastische «Pfostenschilder» eingeführt. In Kombination mit den neu vor der Fassade geführten Regenwasserfallrohren wurden sie zu gliedernden Ornamenten, die den gedrungenen Baukörpern lisenenartigen Höhentrieb geben. In den Haupträumen des Kindergartens ziehen die wie ein geschminktes Augenpaar optisch erweiterten Standardoberlichter den Blick ebenfalls in die Höhe und gleichen so den Verlust der ehemaligen Schnittfigur des seitlichen Oberlichtbands aus. Die neue Ausgangslage einer mit Innenraum aufgefüllten Mitte bei der FuSTA-Baute führte zur Erfindung eines zweigeschossigen Turmzimmers, dessen Atmosphäre sich aus den gleichen Quellen speist, wie die der Haupträume des Kindergartens und damit zum neuen innenräumlichen «missing link» der beiden Häuser wurde. Insgesamt durchlief das Projekt über fünf Jahre ernsthafte Mutationen, die stets aufs Neue architektonisch korrektive Reaktionen erforderten.

Blick von einer Kindergarten-Garderobe in deren Eingangsloggia; der haptische Übergangsraum verzahnt innen und aussen und ist vielfach nutzbar. (Foto: Ralph Feiner)
Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


Jedes neue Projekt beinhaltet transformatorische Anteile früherer Arbeiten. In diesem Fall spielen unter anderem materielle Aspekte des Hauses «Biene» mit Fassadenthemen des Mehrfamilienhauses «La Contenta» zusammen. 

Das zweigeschossige Turmzimmer der FuSTA als innenräumlicher «missing link» zu den Kindergarten-Haupträumen (Foto: Ralph Feiner)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Das FuSTA-Gebäude musste Minergie Eco zertifiziert werden, ein Label, das in seiner Punktvergabe nicht widerspruchsfrei ist. Zudem fressen Technisierung und Zertifizierung sehr viel Geld, das nachher am realen Bau eingespart werden muss, im konkreten Fall bei den Ausbaumaterialien. Zum aktuell beliebten Bauen mit Holz ist zudem anzumerken, dass der für die Einhaltung aller Anforderungen notwendige Schichtenaufbau sehr aufwendig (bis fragwürdig) ist.

Das mittige Turmzimmer ist von seinem Scheiben-Platten-Tragwerk geprägt und zeigt rotierende Momente. (Foto: Ralph Feiner)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Holz und Holzwerkstoffe prägen die Atmosphäre des Projekts in Holzelementbauweise. Die hölzerne Aussenhaut in Lärche ist als strukturierendes, massstabeinführendes Grid interpretiert: Vertikale und horizontale Nut und Kamm Schalungen definieren die Fassadenordnung, Fensteröffnungen und Schindelfelder sind präzise darin eingeschrieben. Unterschiedliche Schindelformen betonen dabei die Hierarchien der Fassaden. Das straffe, textil anmutende Schindelkleid wird insbesondere in den Übergangsräumen (Loggien) und in der Gasse zwischen den beiden Häusern zur taktilen Erfahrungsmöglichkeit. Die figürlichen Halbreliefs aus Holz, eine Kunst-am-Bau-Arbeit von Severin Müller aus Zürich, sind integrale Bestandteile der Fassadenhülle und zeichnen die vier Eingänge aus. Die saubere Konstruktion und Koordination aller feinräumlich abgestimmten Fassadenebenen (inklusive der variierenden Unterkonstruktionen!) erforderte ein Masswerk wie im Möbelbau und eine enorme Planungsdisziplin.

Situation
Pläne von oben nach unten: Grundrisse 1. Obergeschoss und Erdgeschoss
Längsschnitt 
Querschnitt Kindergarten
Bauwerk
Kiga + FuSTA Aarau Rohr
 
Standort
Hinterdorfstrasse 2a/2b/2c/4, 5032 Aarau Rohr
 
Nutzung
Dreifach-Kindergarten mit Tagesbetreuung
 
Auftragsart
Offener Wettbewerb 2015, 1. Preis
 
Bauherrschaft
Stadt Aarau
 
Architektur
Aita Flury dipl. Arch. ETH SIA BSA, Zürich
Projektleitung: Aita Flury
Mitarbeit: Desirée Amport, Sabina Kickhofel und Mirella Mascolo
 
Fachplaner 
Holzbauingenieur: Primin Jung Schweiz AG, Rain
Landschaftsrachitektur: Müller Illien Gmbh, Zürich
HLS-Planung: Abicht AG, Aarau 
Elektroplanung: Schäfer Partner AG, Lenzburg 
 
Bauleitung 
baderpartner AG, Aarau
 
Jahr der Fertigstellung
2020
 
Energiestandard
Minergie Eco 
 
Kunst am Bau 
Severin Müller, Zürich: Halbreliefs in Holz in Fassade integriert
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer
PM Mangold Holzbau AG, Ormalingen
Vogel Design AG, Ruswil 
 
Fotos
Ralph Feiner, Malans 

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