Sampling, Mixen, Cutten
28. September 2010
Frei + Saarinen haben kürzlich ein Pfarreizentrum in Zürich fertiggestellt. Martin Saarinen wählt zwei Zeichnungen und zwei Fotos und beantwortet unsere vier Fragen.
Der neue Eingang ins Pfarreihaus
Was hat Sie an der Bauaufgabe am meisten interessiert?
Das interessante am Bauen im Bestand ist die Auslotung des latenten räumlichen Potenzials innerhalb einer mehr oder weniger gegebenen Struktur. Im besten Fall gelingt es, den architektonischen Ausdruck des Vorhandenen respektvoll zu schärfen und gleichzeitig mittels präziser Eingriffe neue, vielleicht überraschende räumliche Qualitäten zu schaffen. Dazu sind oft mehrere Entwurfsstrategien erforderlich, wodurch ein Projekt wie das Pfarreihaus einen heterogenen- oder „gesampelten“ Charakter erhält. Wenn Neubau Komposition ist, dann wäre Umbauen eher Mixen und Cutten, wobei die Herausforderung darin besteht, die Übergänge zwischen der Vielzahl an räumlichen und stofflichen Komponenten überzeugend auszuformulieren.
Wie würden Sie den durchlaufenen Entwurfsvorgang beschreiben?
Als vergleichsweise linear. Im Erdgeschoss sollte beispielsweise ein neues Foyer implantiert werden - eine Chance, das «öffentliche Gesicht» der Pfarrei einladender, heller, grosszügiger und stimmungsvoller zu gestalten. Die obsessive Recherche mittels unzähliger Computermodelle führte zur Erkenntnis, dass ein schon fast maschinelles Durchexerzieren einer simplen Entwurfsanleitung zu einer überzeugenden und nachvollziehbaren Lösung führen könnte: Erstens: Den neuen Foyerraum im Zickzack um die mutmasslichen Punkte der statischen Lastabtragung quer durch das Haus legen, wodurch dieser mehr Licht und Ausblick gewinnt (das komplexe Tragverhalten des Bestandes war beim Vorprojekt nebulös, unsere Spekulationen erwiesen sich glücklicherweise als zutreffend). Zweitens: Eine neue Decke als zwischen zwei gegebenen Niveaus vermittelndes Kontinuum entwickeln. So wird dem Foyer eine möglichst grosszügige Raumwirkung verliehen und der mittige Lichteinfall von oben bringt Licht, akzentuiert den Zugang zum Pfarreisaal und «bremst» den länglich ausgedehnten Raum. Drittens: Das aus der Deckengestaltung resultierende Prinzip der abgewinkelten Flächen in Korrespondenz zu diesen auf die Foyerwände übernehmen, wodurch eine einheitliche Raumwirkung mit einer prägnanten Charakteristik entsteht. Viertens: Den «trendigen» Charakter der facettierten Auskleidung mit einer «uncool-traditionellen» Materialisierung und Detaillierung relativieren. So entsteht eine ganz eigene, spezifische Atmosphäre mit dem gebührenden Ernst.
Das neue Foyer als Raumkontinuum
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Wir ersetzen «Ort» durch «bestehende Gebäude»: Im Gegensatz zum Umbau des Kino Xenix, wo «Mimesis» und «Verwischen» zentrale Begriffe waren, lassen sich die entwerferischen Massnahmen beim Pfarreihaus nicht an zwei Worten festmachen. Das Umbauprojekt ist zu heterogen und zerfällt in Bezug auf die gewählten Entwurfsstrategien in verschiedene Themenbereiche, deren Widersprüchlichkeit sich stellvertretend an der janusköpfigen Eingangsfront erläutern lässt: Raumseitig wurde eine formale Nähe zum Ausdruck der getäfelten Wand- und Deckenflächen geradezu forciert, indem der Fensterrahmen in völligem Widerspruch zu jeglicher konstruktiver Logik durch «unnötige» Profile aufgedoppelt wurde. Dazu verhält sich das Element aussen jedoch völlig konträr: Hier wird jegliche formale, stoffliche oder farbliche Anlehnung an den Bestand vermieden - das neue Foyer sollte keinesfalls mit einer eigenen Fassade im klassischen Sinne in Erscheinung treten, sondern als «Nichts» zwischen zwei altehrwürdigen Häusern. In schon fast schizophrener Manier wurde Innen profiliert, eine Fügung suggerierend und aussen geglättet bis an die konstruktiven Grenzen des Materials.
Grundriss Foyergeschoss
Wie bezieht sich das Bauwerk auf Eure anderen Entwürfe und gliedert es sich in die Reihe Eurer Werke?
Obwohl uns die Etablierung einer wiedererkennbaren Formensprache oder «Handschrift» nicht sonderlich interessiert, fällt den Besuchern des neuen Pfarreihauses eine gewisse Verwandtschaft zum Kino Xenix auf, insbesondere die Täfelung im Innenraum sowie die Fügungsprinzipien der Teile zueinander sind durchaus vergleichbar: Die etwas altbackene Fussleiste der erweiterten Xenixbar – dort ein zwingendes Mittel im Dienste einer Verwischungs-Strategie – taucht im Pfarreihaus wieder auf, obwohl sie aus konstruktiver Sicht nicht nötig wäre. Unserer Meinung nach können sich solche Nuancen enorm auf die Raumstimmung auswirken, nicht zuletzt weil sie dem im Schweizer Mainstream vorherrschenden Streben nach grösstmöglicher Abstraktion entgegenwirken, der Architektur eine Massstäblichkeit und Bodenhaftung verleihen. Zur Zeit planen wir ein Wohnhaus, dessen Räumlichkeit massgeblich aufgrund unserer Erfahrungen mit dem Xenix und dem Pfarreihaus entwickelt wurde. Sowohl Kinobar als auch Foyer sind in Bezug auf Dimension, Atmosphäre und Gebrauch ja durchaus mit Wohnräumen vergleichbar.
Schnitt durch das neue Foyer
Pfarreihaus St. Josef
2010
Zürich
Bauherrschaft
Katholische Kirchgemeinde St. Josef
Zürich, ZH
Auftragserteilung
eingeladener Wettbewerb
Architektur
Frei + Saarinen Architekten, Zürich
Projektleitung: Barbara Frei, Martin Saarinen
Mitarbeiter: Nicolaj Bechtel, Stefan Wülser, Corina Trunz, David Winzeler, Bastien Turpin
Fachplaner
Bauingenieur: WGG Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Zürich, ZH
Elektroplanung: Elektro-Engineering AG, Zürich, ZH
HLS-Planer: Consultair AG, Zürich, ZH
Bauphysik: Raumanzug GmbH, Zürich, ZH
Bauleitung
Jaeger Baumanagement GmbH, Zürich, ZH
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Zimmermann (Dacherweiterung, Wand- und Deckenverkleidung Foyer): BAUR Holzbau AG, Wettswil, ZH
Fenster aus Holz (Fenster Dachgaube): Lehmann Arnegg AG, Arnegg, SG
Fenster aus Stahl (Eingangsfront): Aepli Metallbau AG, Gossau, SG
Sonnenschutz (Markise Dachgeschoss): MD Morandi AG, Erlenbach, ZH
Baumeister: Jäggi + Hafter AG, Regensdorf, ZH
Gebäudekosten BKP 2
3.9Mio
Fotos
Nicolaj Bechtel + Stefan Wülser