Wiener Migrations-Absorption
Manuel Pestalozzi
23. August 2017
Raum-im-Raum-Modul von the next ENTERprise Architects im einstigen Siemens-Bürokomplex. Studenten und Zugewanderte teilen sich die Geschosse. Bild: Paul Kranzler
Zugewanderte wollen machen, und meist bringen sie bestimmtes Können mit. In Wien wird in verschiedenen Projekten die pragmatische Partizipation getestet. Im Bericht der NZZ hört sich das gut an.
Die schwer kontrollierbare Zuwanderung der vergangenen Monate belastet vielerorts den gewohnten Gang und die Ordnung. Verschiedene Standards geraten miteinander in Konflikt, die unsichere Zukunft der Angekommenen erschwert eine stringente Planung. In solchen Situationen braucht es meistens kein starres Konzept sondern primär «die richtigen Leute am richtigen Ort». Erst hinterher weiss man mit Sicherheit, ob sie präsent waren. In Wien erhält man aber schon jetzt den Eindruck, dass vieles auf gutem Weg ist, liest man einen ausführlichen Artikel von Gabriele Detterer in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).
Die Mutter Courage, die sich der Sache in der Hauptstadt Österreichs angenommen hat, heisst Elke Delugan-Meissl. Die Architektin präsentierte ihr Konzept «Orte für Menschen» auf der Architekturbiennale Venedig 2016. Es will mitunter die Freilegung des Willens zur Eigeninitiative bei den Angekommenen bewirken. Jenseits der Architekturbiennale haben Caramel Architekten, EOOS sowie the next ENTERprise Architects nach diesem Konzept in drei Wiener Stadtbezirken konkrete Unterkünfte geplant. Dabei werden bestehende, aktuell nicht genutzte Bauwerke und auch ihre Umgebung genutzt. Die Bewohnerinnen und Bewohner erhalten die Gelegenheit, sich an der Umsetzung der von den Architekturbüros entworfenen Einrichtung zu beteiligen. Vielen hilft es, dass sie mit ihrem Können einen aktiven Beitrag leisten können. Offenbar bleibt den Involvierten auch genügend Raum für individuelle Ergänzungen. An einem Ort konnte der Eigentümer der betreffenden Liegenschaft dazu bewogen werden, auch den Grünraum für die Zwischennutzung freizugeben. Gemäss Autorin Detterer kann so das Areal zum Stadtbaustein werden, dessen hybride Nutzung den vitalen Quartierswandel fördert.
Vieles bleibt bei der räumlich-zeitlichen Bewältigung der Zuwanderung offen. Deshalb ist es nicht nur für die Angekommenen sondern auch für die Angestammten wichtig, dass solche Zwischenorte entstehen, an denen eine Interpretationsfreiheit gewahrt werden kann. Wenn es funktioniert, stehen die Chancen gut, dass sich eine erträgliche «Normalität» einstellt und vielleicht sogar so etwas wie ein aktualisiertes Heimatgebühl spürbar wird.